Dokumentiert:
Filmland Schleswig-Holstein – unterbelichtet?
Vortrag von Dr. Kurt Denzer, Leiter der AG Film der CAU, in der Herman-Ehlers-Akademie Kiel am 19.1.2004
„Filmland Schleswig-Holstein – unterbelichtet?!“ lautete das Thema eines Vortrags im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Landeskulturverbandes in der Kunsthalle zu Kiel im Februar 1986. Die Frage ist, ob es heute überhaupt noch zeitgemäß ist, angesichts bundesweiter Beziehungen, internationaler Verflechtungen der Filmbranche, der weltweiten Verfügbarkeit von Filmen in Kassettenform, als DVD, im Internet und der allgemeinen Globalisierung dieses Thema noch mit diesem Landesbezug zu behandeln; schließlich hat sich in den letzten 18 Jahren politisch, technisch und wirtschaftlich so viel ereignet, dass zumindest ein Fragezeichen angebracht ist – das ja schließlich jetzt auch mitgedruckt ist. Blicken wir also angesichts dieser Erweiterung der Möglichkeiten auf die Region und fragen nach 18 Jahren nach dem Stellenwert der Filmkultur hierzulande.
Kennen diejenigen, die diese griffige Formulierung in polemischer Absicht benutz(t)en, die Bedeutung, die dieser Metapher zugrundeliegt? Wer oder was ist mit „unterbelichtet“ gemeint? Der Film, der hier im Lande produziert wird, das Land und wie es mit Film umgeht, oder gar der flinke Benutzer dieses Begriffs? Was versteht er darunter? Denn es war damals und ist heute die Frage, ob es die Produkte sind, die gemeint waren, oder das Publikum, das diese zu beurteilen hatte.
Den aus der Filmsprache entlehnten Begriff „unterbelichtet“ kann man so verstehen, dass ein fertiges Produkt, ein Film, für die Zuschauer nicht die Brillanz hat, die erwartet wird, d.h der Film erscheint dem Betrachter schlicht düster, dunkel, weil zu knapp belichtet, ohne dass er in seiner Dunkelheit die Ahnung von etwas Obskurem, Mystischen, Geheimnisvollen erahnen lässt.
Was erwartet der gemeine Zuschauer? Die anwesende Generation erinnert sich sicherlich an die Fassbinder-Serie „Berlin Alexanderplatz“, die damals in der für das Allgemeinverständnis maßgeblichen Kulturberichterstattung der bildenden Boulevard-Blätter gegeißelt wurde: Fassbinder solle das Geld nicht für Drogen ausgeben, sondern für mehr Scheinwerfer, damit man genügend sehe, schließlich sei diese Produktion ja gebührenfinanziert. Fassbinder versuchte zu erklären, dass man ungeheur viel Licht brauche (wie es Beleuchter Fischer auch tat), um brillante Schwärze oder geheimnisvolle Dunkelheit zu erzeugen. Geholfen hat es nicht: helle, klar auf den ersten Blick erkennbare Bilder mussten her, so schnell eingängig wie die veröffentlichten Meinungen der Bild-Redakteure. Scheinbar zu dunkle Bilder waren und sind ein rascher Grund, Filme nicht für die TV-Ausstrahlung zuzulassen.
Unterbelichtet – der Begriff steht als Handlungsanweisung des Kameramannes auf dem belichteten Film, den er an das Kopierwerk schickt: er hat den Film bewusst unterbelichtet, und zwar genau um das doppelte oder vierfache, also ein oder zwei Blenden, und er gibt nun den Auftrag ans Kopierwerk, den Entwicklungsprozess zu forcieren, wie man sagt: 1x, 2x, max. 3x. Das bringt nun nicht nur die erwartet richtige Helligkeit hervor, sondern gibt dem Film – vor allem beim 3fachen Forcieren – außerdem eine charakteristische Körnung. Diese bewusste Angabe des Kameramannes kann also eine gewollte Entscheidung sein unterzubelichten, um eine bestimmte Atmosphäre zu erreichen. War das damals oder ist dies heute gemeint, wenn man hier hurtig und publikumswirksam urteilen möchte?
Unterbelichtet kann eine erzwungene Situation bezeichnen: wenn tatsächlich nicht genügend Licht vorhanden ist und auch nicht zugeführt werden soll, um die reale Stimmung nicht zu gefährden, und der Film dennoch als richtig belichtet erscheinen soll. Also eine Zwangssituation, die man nicht anders lösen kann, wenn man möglichst authentisch bleiben möchte.
Die vielschichtige Bedeutung der Metapher „unterbelichtet“ ist sicherlich von denen, die damals die Filmszene mit diesem Begriff glaubten griffig beschrieben zu haben, nicht im vollen Umfang gemeint gewesen – und das sollte ein Ärgernis sein, denn es wirft ein bezeichnendes Licht auf die kulturelle Situation, auf die Kenntnis des Kulturguts Film, auf das Verständnis, das man von dieser Kunst hier erwarten darf. Wohl jeder versteht, wenn man in der Beschreibung eines Vorgangs „andante“ sagt, dass es hier nicht um einen feurigen Charakter im Tempo allegro con brio geht, und wenn fortissimo angesagt ist, wird man schwer ins Träumen kommen. Kenntnis und Begrifflichkeit aus dem Bereich des Films waren vor 20 Jahren in unserem Land nicht gerade kulturelles Allgemeingut, über das man sich verständigen konnte, und ich bezweifle, ob sich daran viel geändert hat.
Die Akzeptanz des Films als Kulturgut war unter den damaligen Bedingungen nicht gegeben. Selbst in zwangloser Unterhaltung konnte die Frage nach Lieblingsfilmen zur Verlegenheit führen: konnte man sagen, dass man mit Godard nichts anfangen kann, dass einem Wim Wenders-Filme als ein Balance-Akt über kitschigem Abgrund erschienen, dass Alexander Kluge zwar seinem Namen gerecht wurde, dies aber in seinen Filmen nicht zu vermitteln vermochte? Allgemein akzeptierte Urteile wie über Mozarts „Kleine Nachtmusik“, „Wanderers Nachtlied“ von Goethe oder Rembrandts „Nachtwache“ gab es im Filmdiskurs nicht. Selbst bei anerkannten Spitzenwerken wie „Panzerkreuzer Potemkin“ schwang die Furcht mit, hier als Kommunistenfreund dastehen zu müssen, und wenn einer „Rio Bravo“ von Howard Hawks uneingeschränkt großartig fand, wurde er ebenso offen oder zumindest insgeheim als unkultiviert und unreif angesehen wie ich als Schüler, als ich mal in einem Atemzug das „Nibelungenlied“ und das Genre des Western nannte. Wenn ich zu meiner Zeit als Lehrer mit einer Filmrolle in der Hand in die Klasse ging, hieß es bei einigen Kollegen: „Aha, der Denzer ist mal wieder nicht vorbereitet und zeigt einen Film.“
Dass es auch damals schon ernsthaften Medienunterricht an der Schule geben konnte, war zwar in Lehrplanvorschlägen nachzulesen, und das IPTS versuchte, hier Hilfestellungen zu geben, aber die Praxis war von Initiativen einzelner bestimmt. Möglichkeiten, diese Situation ohne großen Kostenaufwand zu ändern, führte ich damals an, einzelne kleine Stätten im Lande kümmerten sich um Nachwuchspflege: einzelne Lehrer in Arbeitsgemeinschaften, so Herr Reschke in Itzehoe, aus dessen Kurs drei später namhafte Filmemacher hervorgingen, die LAG Jugend und Film auf dem Scheersberg unter der Ägide des Filmpädagogen Ulrich Ehlers, die Film-AG im Studentenwerk SH. Mit dem großen Kulturplan von Kultusminister Bendixen gab es erste Gelder und Anzeichen, dass Film in die Reihe anderer Kulturtätigkeiten aufgenommen wurde. Eine rege Diskussionstätigkeit begann, kleine Anfragen im Landtag wurden gestartet, der Vorschlag zur Errichtung eines Filmhauses ernstgenommen und der Vertreter des Films saß zusammen mit den etablierten Kulturschaffenden in einer gemeinsamen Kultur-Kommission.
Der Zusammenschluss der landesweit im Filmbereich Tätigen zu einer Projektgruppe, die zur Gründung einer Filmförderung führen sollte, brachte schließlich 1989 den erhofften Erfolg: die Gründung des Vereins Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. Mit Rückenwind durch MP Björn Engholm konnten dann in Selbstverwaltung Gelder für filmische Aktivitäten verteilt werden, die künftig im Landeshaushalt für diese Arbeit bereitgestellt waren, und die institutionelle Förderung von Filmbüro und Filmwerkstatt war der entscheidende Durchbruch. Finanziell war der Beginn bescheiden, aber die Hoffnung auf Wachstum begleitete uns wie der Schatten den Wanderer in der Wüste Sahara. Die geringen Mittel veranlassten uns festzulegen, dass wir nur Filme der kleinen und mittleren Form fördern konnten, d.h. dass es sich nur um Kurzfilme, kleine Trickfilme oder mittelgroße Dokumentarfilme handeln konnte, die Aussicht auf Förderung durch ein unabhängiges Gremium haben konnten.
Problematisch bei den zur Förderung anstehenden Produktionen war der unumgängliche SH-Bezug: durften auch auswärtige Produzenten Förderung beantragen, wenn sie mit ihrem Projekt inhaltlich, personell oder lokal einen Bezug zu SH nachweisen konnten? Die Frage barg eine vielschichtige Problematik. Aus der bis dahin praktizierten Förderung der anderen Bundesländer hatten wir in unseren deutschen Spielfilmen die Erfahrung gemacht, dass es immer wieder zu inhaltlich inkohärenten Erscheinungen kam. Da sprachen in einem in Berlin spielenden Film die Hauptpersonen mit bayerischem Akzent, weil es eine Produktion mit der Förderung aus dem großen Topf der bayerischen Filmförderung war, die Handlung aber großenteils in Berlin spielte und auch dieses Bundesland an den Produktionskosten beteiligt war. Nicht selten schrieben die Autoren noch schnell eine Szene hinein, die in Hamburg angesiedelt war, weil sich auch dort Geld abholen ließ, wenn man die Ausgaben in der Hansestadt nachweisen konnte. Sicherlich hätten sich die Protagonisten auch gerne einen Wochenendausflug auf einem Reiterhof in Schleswig-Holsteinen oder auf einer Nordseeinsel gegönnt, wenn von uns ein Zuschuss gekommen wäre, aber die geringe Höhe des finanziellen Beitrags hätte kaum einen lockenden Dreh in unseren reizvollen Locations erlaubt. Über die mögliche Authentizität der berlin-bayerisch-hanseatischen Film-story dürfen Sie sich nun Ihre eigenen Gedanken machen.
Garantiert authentisch und mit 100% Landesbezug entstand daher als Reaktion einer der ersten Filme dieser neuen Förderung, der sowohl den engen SH-Bezug karikierte als auch die nun opulenten Möglichkeiten durch die Filmförderung, der Zeichentrickfilm „Düster, dunkel, knapp belichtet“, den ich mit dem Trickfilmer Michael Zamjatnins in der neuen Filmwerkstatt der KuFiFö produzierte; Komponist war Thilo v. Westernhagen. Der SH-Bezug reicht bis in die Farbgebung: es sind allein die Landesfarben blau-weiß-rot (allerdings auf braunem Untergrund aus Packpapier). Filmisch ist alles enthalten, angefangen vom Weltraum-Zoom über Panorama-Travellings und Reißschwenks, Mehrfachbelichtung und selbstreferentielle Filmdekonstruktion, Geschichte von An-Beginn bis zur aktuellen Blaupause und dem Krieg im Nahen Osten – aus Geldmangel aber alles nur gezeichnet, wie im Taschenkino der vor-kinematographischen Ära. Viel Spaß!
Seit jener Zeit taucht in vielen Filmen im Nachspann der Hinweis auf Hilfe aus Schleswig-Holstein auf – mag sie auch noch so gering gewesen sein, so wurde sie doch angeführt, es sei denn, der Nachspann lief vor leeren Zuschauerreihen oder wurde sanft synchron mit schließendem Vorhang ausgeblendet. Übrigens: der Nachspann! – Er ist zwar in den letzten Jahren exorbitant angewachsen (die Krone gebührt auch hier dem „Herrn der Ringe“) und nervt zuweilen, aber er gehört zum Film. Es ist ein Ausklang mit Musik, die zum Werk gehört. Man kann erkennen, wie viele Menschen zu der Produktion nötig und an ihr beteiligt waren, und oft erkennt man den einen oder anderen Namen oder wundert sich, welche wundersamen Begriffe da auftauchen. Egal, er gehört zum Film, zum Ausklang, und sollte ebenso respektiert werden wie unsere Geduld. Aber hier treffen sich im Verhalten die Kinozuschauer mit den Besuchern des SHM-Festivals und der konzertanten Opern-Aufführungen: kaum ist der letzte Ton verklungen, bricht ein Beifallssturm los, der einen jäh aus allen Musikgefühlen reißt. Christoph Eschenbach hat letztens ein gutes Mittel dagegen gefunden: er lässt gegen Ende des Dirigats die Arme oben und senkt sie erst nach langer Nachbesinnung. Einige Filme erlauben sich sogar einen Clou und lassen noch nach Ende des Abspanns eine auflösende Szene folgen. Mit derartigen Tricks arbeitete in den 50ern Heinz Erhardt, wenn er nach vermeintlichem Ende den Applaus unterbrach mit: „Noch nicht! Da kommt doch noch was – ich sag‘ schon wenn.“
Die Möglichkeit zur Film-Förderung in SH ist inzwischen in allen einschlägigen Publikationsorganen einsehbar – SH ist also aufgenommen in die Liga der Förderer. Allgemein gibt es seit Mitte der 80er bundesweit mehr Ausbildungsplätze für Film an Fachschulen, Akademien, Kunsthochschulen oder eben in Studiengängen an Universitäten. SHs Filmemacher und Filmemacherinnen haben seitdem ihre Ausbildung an auswärtigen Stätten erfahren, arbeiten in anderen Bundesländern und sind in Koproduktionen tätig. Sie erhalten auswärts Förderung und bringen Erfahrung mit ins Land, wenn sie hier produzieren und Mitarbeiter benötigen. Eine besonders enge Beziehung gibt es zur Filmwerkstatt Ebeltoft in Dänemark, die auch Stipendiaten aufnahm.
In größerem Stil war Filmförderung möglich geworden, als die MSH, die Medienstiftung SH, gegründet wurde, die sich als wirtschaftliche Filmförderung verstand. Finanziell abgesichert durch Gebührengelder, organisatorisch verantwortet durch einen Medienrat, der in enger Anlehnung an den NDR Fördermittel vergab. Die Mittel sind beachtlich, wenn auch in der Höhe von Jahr zu Jahr schwankend und beziehen sich auf alle Bereiche: Film- und Fernsehproduktion, Hörfunk und Weiterbildung. Die Chance zur Filmförderung haben nur solche Werke, die „fernsehtauglich“ sind. „Richtig!“ raunt der Gebührenzahler, „schließlich kann nicht jeder Mist gesendet werden“. Aber Vorsicht! Dieser Vorbehalt „fernsehtauglich“ hat zunächst nichts mit Qualität zu tun, höchstens mit Quantität. Das zu fertigende Produkt muss bereits einen Sendeplatz haben, auf dem es ausgestrahlt werden kann – und das ist nicht einfach: die meisten Themen im Lande hat der NDR bereits mit informativen 1 1/2 bis 2 1/2 Minuten-Beiträgen abgehandelt, und die akzeptierten Sujets haben sich nach der vorhandenen Fenstergröße zu richten, egal ob der Stoff so viel hergibt oder beim Dreh plötzlich Ereignisse eintreten, die eine Verlängerung angeraten erscheinen lassen. Stellen Sie sich die Landesschau des BBK vor: alle Künstler sind maßstabgerechter zu beurteilen, wenn es nur zwei Formate gibt. Die Hängung geht schnell vonstatten, alle Bilder sind auf Augenhöhe. Von ähnlicher Praktikabilität wäre dieses Verfahren im Hörfunk, wenn nur eine begrenzte Sendezeit zur Verfügung stünde: die Redakteure könnten dann die „Unvollendete“ zwar nicht von Keilberth oder Günter Wand einspielen, aber Toscanini böte sich mit bekannter Virtuosität und Schnelligkeit bei Zeitproblemen an.
Die Filmemacher sind natürlich bei der Gestaltung auch gehalten, an die Größe des Fernsehschirms zu denken, denn eine Kinoauswertung von Kurzfilmen und Dokumentarfilmen ist nahezu ausgeschlossen. Das Äquivalent stellt schnell sich ein, wenn wir an die Malerei denken: Die gesamte Kunstgeschichte, ob Tizian, Tintoretto oder Cy Twombly auf Kunstpostkarten und statt Beethovens Chor aus der „Neunten“ den „Song of Joy“.
Freilich, den meisten reicht dies hierzulande – in Frankreich und Italien ist das anders. Beim 1. deutsch-französischen Filmtreffen lehnte Jean-Jacques Aillagon, der französische Kollege von Christina Weiss, eine zu große Liberalität im Welthandel zugunsten einer „exception culturelle“ ab, während die Verantwortlichen in Deutschland Film primär unter dem Aspekt der Investition sehen. Bavaria-Chef Thilo Kleine beneidete dort die „klaren kulturpolitischen Grundsätze, die Eigenständigkeit gegenüber Hollywood zu erhalten“, während es bei uns an Selbstbewusstsein mangelt. „Doch der gravierendste Unterschied“, schreibt Margret Köhler im Kameramann 12/03: „In Frankreich gibt es eine strenge Trennung zwischen Kino- und Fernsehfilmen, bei uns ersetzen Fernsehfilme die Kinofilme.“ Das hat sich bei
ugendlichen inzwischen insofern geändert, als sie neugierig sind auf den director’s cut und sich DVDs wegen des „making of“ kaufen – hier haben die anderen Künste Nachholbedarf, falls diese Blickweise erlaubt ist.
Die wesentliche Stätte für Filmarbeit im Lande ist die Filmwerkstatt, an deren Existenz ich nicht ganz unschuldig bin. Ich hatte in meiner Zeit als Leiter der Studentischen Arbeitsgemeinschaften und insbesondere der Film-AG im Studentenwerk erfahren, wie viel Nachfrage es nach Geräten, Know-How und einem Ort für Kommunikation gab, und so war bei der Gründung der Kulturellen Filmförderung klar, neben dem Filmbüro auch eine Filmwerkstatt einzurichten. Bei der Suche nach einem geeigneten Leiter hatten wir das Glück, mit Bernd-Günther Nahm einen Fachmann zu finden, der zudem engagiert und praktisch veranlagt war, um aus diesen Anfängen die zentrale Stätte hiesiger kultureller Film-Produktion zu machen, und der nicht nur die Not der zu Anfang geringen technischen Ausstattung und des bescheidenen Budgets auffing, sondern mit Weitblick, Geschick und Durchhaltevermögen eine Stätte der Filmkultur am Blühen hält. Inzwischen gibt es hier nahezu alle technischen Geräte, die zur Herstellung der angepeilten Ziele nötig sind – auch zur elektronischen Produktion und Nachbearbeitung. Dass es auch hier die Ideen sind und deren Umsetzung, die zu qualitätvollen Produkten führen, zeigte früh der Kieler Kai Zimmer, der sich inzwischen international einen guten Namen als Videokünstler gemacht hat. Sehen Sie als Beispiel „One minute in America“ aus dem Jahr 1994, eine in meinen Augen grandiose Stellungnahme zum US-amerikanischen Wahlkampf, der im Fernsehen stattfindet und den Kontrahenten bekanntlich jeweils eine Minute zur Antwort gibt.
Sie fragen sicherlich, wo man derartige Beipiele sehen konnte und kann. Kai Zimmers Video gewann bei einem Wettbewerb des ZKM Karlsruhe und kam ins Fernsehen, u.a. bei Arte. Die Programmplätze des NDR – und fast nur um diesen Sender handelt es sich hier – sind begrenzt, oft liegen sie zu Zeiten, die nur für Nachtschwärmer taugen. Das Kommunale Kino in der Pumpe in Kiel gibt es weiterhin mit anspruchsvollem Programm, in Lübeck steht das Koki vor der Schließung. Die „Traumfabrik“ in Kiel macht unter ähnlichem Namen qualitätvoll und publikumswirksam weiter, weil das Kino sich durch Andreas Steffens Leitung kontinuierlich ein interessiertes Publikum herangezogen hat. Cineasten-Inseln wie das Kleine Theater in Bargteheide leben von dem Engagement ihrer Betreiber, gelegentliche persönliche Aktionen, die im Kieler CinemaxX durchgeführt werden, sind die Ausnahme und könnten bald ganz ausbleiben, wenn diese Art Kinos weiterhin große Verluste machen. Die in Aussicht gestellten höheren Kino-Abgaben könnten den endgültigen Garaus bedeuten und schüren weiter den Ärger über TV-Anstalten, die statt dessen Gebührenerhöhung verlangen.
So notwendig das Fernsehen für den Film inzwischen geworden ist – viele Autoren träumen weiterhin von der großen Leinwand. Dieser Wunsch kann für die hier produzierten Filme, die nicht zur Kategorie abendfüllender Spielfilm gehören, nur auf Festivals erfüllt werden. Ihre Zahl ist in Deutschland zwar stetig gewachsen, aber in dieser Menge liegt auch die Crux: Anmeldungen kosten ungeahnt viel Zeit, und je mehr man anschreibt, um so mehr Sichtungskopien, Verpackungsmaterial und Porto benötigt man, denn die meisten Festivals haben aus organisatorischen Gründen eine Zeit von 12 Monaten vorgegeben, die der Film alt sein darf. Festivals sind aber meist die einzige Möglichkeit, diese Filme einem Publikum zu zeigen und Reaktionen kennenzulernen. Jede kleine Band spielt öfter, hat innigeren Kontakt zum Publikum. Die Auseinandersetzung mit dem Zuschauer ist aber lebenswichtig für eine Kultur, die sich weiterentwickeln soll. Ähnliche Probleme haben junge Literaten, die zwar heute bei Lesungen im Literaturhaus die Ansprache an interessierte Zuhörer finden können, die damit aber auch die Möglichkeiten zumeist schon ausgereizt haben. Allerdings ist die literarische Vorlage, aus der gelesen wird, billiger als eine hochwertige Vorführkopie.
Im Kino können die Filmemacher zusammen mit dem Publikum ihr Werk auf großer Leinwand sehen, und dann zeigt es sich, ob die Bilder die Größe aushalten. Die Vorführung im Lichtspieltheater bietet zudem gegenüber dem Puschenkino die Chance, Zuschauer zu haben, die nicht zwischendurch zum Kühlschrank gehen oder Illustriertenverkäufer an der Tür abwimmeln müssen. Und plötzlich erkennen Sie den Unterschied zwischen einem TV-Konsumenten und einem Kinozuschauer: Für das Fernsehen ist man als Autor gezwungen, auf der Jagd nach der Quote ständig Action zu bieten, Überraschungen bereitzuhalten und Tempo vorzulegen, um den gnadenlosen Zapper packen und ihm ein paar Augenblicke seiner Zeit abzwacken zu können. Wenn Sie als Regisseur nicht die erlernten Vorgaben eines Pitching-Kurses erfüllen, um den potentiellen Seher festzuhalten, wird ihr Film gar nicht erst beim Sender angenommen (von anderen Bedingungen ganz zu schweigen) – Ruhe dürfen weder Sie sich selbst noch Ihrem Zuschauer gönnen. Wenn Sie in ein Konzert gehen, ins Theater – ob Musical, Schauspiel oder Oper – haben Sie sich mindestens zwei Stunden freigenommen, die Sie diesem Ereignis widmen; selbst bei einem Sportereignis mit zeitlich ungewissem Ausgang – einem Pokalspiel, Tennismatch usw. – kalkulieren Sie Zeit ein und geben Ihrer Stimmung Ausdruck: mit Klatschen, Pfeifen, Trampeln – oder Weggehen. Aber Autor und Akteure können gewiss sein, dass die Anwesenden ihretwegen gekommen sind und sich die nötige Zeit genommen haben – vorzeitiges Verlassen der Arena ist Urteil genug.
Produktionen für das Fernsehen im Rahmen der hier zu beredenden Größe erfahren keine derartige Würdigung. Einschaltquoten, die heute wesentlich genauere Auskunft über das Zuschauerverhalten geben als vor 18 Jahren und den hiesigen NDR dazu gebracht haben, das SH-Magazin nach deren Auswertungen zu strukturieren und äußerst erfolgreich zu gestalten, Einschaltquoten melden keine Pfiffe der Fans, kein Kreischen, keinen Applaus.
Solange die Dokumentarfilme im Nachtprogramm versteckt sind, für Kurzfilme nur ein Sende-Fenster geöffnet ist und die Kinos weiterhin keine Kurzfilme im Vorprogramm zeigen, sind Festivals der geeignete Ort für die Publizierung dieser Werke. Und da ist SH in den letzten 18 Jahren erwachsen geworden. Am 11. September 1986 begannen die Husumer Filmtage, Filme mit biographischem SH-Bezug zu zeigen. Als Komplementärveranstaltung der Nordischen Filmtage Lübeck begann 1988 das SH-Forum, die heimischen Produkte gesondert zu präsentieren. Im Lauf der Zeit wurde es allerdings beinahe zu einer Hausveranstaltung des NDR, der hier seine TV-Produkte großflächig platzierte und erkennen müsste, dass sich Fernsehproduktionen nicht beliebig vergrößern lassen, wie es bei der Kollwitz-Plastik in der Neuen Wache in Berlin gerade noch hinnehmbar ist. 1989 kam der Neumünsteraner Dr. Hans-Hoch-Filmpreis für jugendliche Filmemacher hinzu, der einer der höchstdotierten Filmpreise in der gesamten Bundesrepublik ist und im Zwei-Jahresrhythmus eine Auswahl der neuesten Werke jugendlicher Filmemacher aus SH zeigt und mit 10.000 Euro für den 1. Preis eine lohnende Anschubfinanzierung bereithält. Die Kurzfilmtage in Flensburg gibt es seit 2000 und der Verein Kulturelle Filmförderung SH e.V. gibt durch die Filmwerkstatt unter dem schönen Titel „Augenweide“ seit 1993 dem Publikum in der Pumpe in Kiel die Chance, die Ergebnisse der Förderung zu begutachten. Erweitert wird hier nicht nur der Blick, sondern auch der Horizont der Besucher durch Einladungen internationaler Dokumentarfilmfestivals wie Nyon oder Sheffield, die sich und ihr Konzept vorstellen. Jung geblieben in den letzten Jahren ist das Fest junger Filmer auf dem Scheersberg, das als Amateurfilmforum 1975 gegründet wurde.
Etwas besonderes ist das Internationale Archäologie-Film-Kunst Festival CINARCHEA, das einzige seiner Art in Deutschland, das seit 1994 in Kiel stattfindet und Ende April sein 10jähriges Jubiläum feiert. „Archäologie“ ist hier ein sehr weit gefasster Begriff, und das Programm umfasst alle Genres des Films. Es ist zwar ein Fachfestival, versteht sich aber als Plattform, das alle filmischen Formen am Beispiel der Archäologie abhandelt. Das integrierte Symposium thematisiert allgemeine Fragen zum Medium am Beispiel des Fachs Archäologie, wie „Archäologie und Neue Medien“ und diesmal „Filmische Formen der Emotionalisierung“ oder – populär ausgedrückt – „Die Moorleiche im Gegenlicht – Große Gefühle im Archäologiefilm“.
Neu gegenüber den Produktionen, die in den ersten Jahren dieser Festivals gelaufen sind, ist, dass die meisten heutzutage über ein elektronisches Medium projiziert oder schon direkt auf Video, wie der allgemein gebräuchliche Begriff immer noch lautet, gedreht werden. Zu Anfang ließen wir beim Hans-Hoch-Preis keine elektronischen Formate zu, weil damals noch die Handhabung weitgehend vom Geldbeutel abhing, in welchem Format und mit welchem Schnitt-Programm produziert werden konnte. Was dann jeweils vorgegebenes Programm oder eigenes kreatives Potential war, blieb oft unerkannt. Seitdem die Filmwerkstatt der KuFiFö jedoch die Möglichkeit eröffnet, hochwertiges Equipment für Aufnahme und Bearbeitung günstig auszuleihen, hat sich die Situation geändert. Nahezu alles wird heute auf elektronischem Bildträger produziert und mit dem Mediacomposer bearbeitet. Das brachte einen Aufschwung in der Anzahl der hergestellten Filme und die Gestaltungsmöglichkeiten erweiterten sich durch das Angebot in der Filmwerkstatt.
Filmische Qualitäten, die auch vom Equipment abhängig sind, finden sich heute bei Anfangsproduktionen, die man früher nicht sah. Erzählen in Bildern scheint in der jüngeren Generation flinker von der Hand zu gehen als einst. Der Rechner als alltäglicher Gebrauchsartikel wird virtuos gehandhabt. Die Beherrschung der Tastatur, die flinken Hände sind vielleicht vergleichbar mit dem Einsatz des Synthesizers in der Musik: wieviele Klänge, Instrumente, Rhythmen können heute von einem einzigen mit Hilfe der entsprechenden Programme produziert werden! Allerdings: die Qualität hängt nicht von dieser käuflichen Technik allein ab. Die Möglichkeit, alles aufbereiten zu können, wird oft allein schon deshalb genutzt, weil sie vorhanden ist. Und die Chance, von Programmen vorgefertigte Versatzstücke verwenden zu können, birgt die Gefahr der Schablonenhaftigkeit in der Darstellung, die keinen individuellen Ausformungen gerecht wird.
Gravierend erkennbar ist eine Qualitätsveränderung bei Produktionen, die errechnete Bilder enthalten: hier gelten plötzlich nicht mehr eine historisch erworbene filmische Syntax und Grammatik und damit Sehgewohnheiten, die sich in 100 Jahren Kinogeschichte herausgebildet haben. Der Faktor Zeit erscheint nicht mehr in filmisch gestalteter Form, und Elemente einer Erzählung werden nicht mehr kreativ miteinander verflochten, wenn das Kaufprogramm per Mausklick Szenenübergänge anbietet oder rechnererzeugte Bilder die Mühsal historisch zu gestaltender Szenen vergessen lassen. „Filmische Analphabeten“ nannte sie Martin Emele vom ZKM Karlsruhe bei CINARCHEA in Kiel und hofft, dass diese medialen Werkzeuge „irgendwann den Computerfreaks entrissen und den Gestaltern zur Verfügung“ stehen. Aus meiner Sicht erfreulich ist, dass dies bisher bei den hier produzierten Werken im Gegensatz zu reinen TV-Erzeugnissen nicht zum Ärgernis wurde. Zu verdanken ist dies vielleicht der Zusammensetzung des Födergremiums, das mit jeweils einer Person aus den Bereichen Filmproduktion, Verleih/Präsentation und Bildender Kunst besetzt ist und unabhängig urteilt.
Die Filmliebhaber bedauern die Ausrichtung auf eine TV-Ästhetik und die Bewertung ihrer Werke nach dem Kriterium, ob denn der Film schon im Fernsehen gelaufen sei. Zu einer bescheidenen wirtschaftlichen Existenz hat zwar die beschriebene Art der Förderung beigetragen, ein Aufschwung der Filmkultur ist etwas anderes. Doch bedenken wir: obwohl es ein hiesiger Kurzfilm ins Programm nach Cannes gebracht hat oder die Film-Gruppe Chaos in ihrem speziellen Genre internationale Beziehungen pflegt, sollten uns Einzelbeispiele eher kritische Aufmerksamkeit entlocken als falschen Besitzerstolz. Unsere drei ehemaligen Tennisheroen waren individuelle Ausnahmespieler – dahinter breitete sich Brache aus, die jetzt sichtbar wird. Und im Vergleich zur kulturellen Ödnis der riesigen US-Bundesstaaten, von denen kaum einer als filmkulturelles Biotop bekannt ist, braucht sich das überschaubare Schleswig-Holstein nicht hinterm Deich zu verstecken. Die Vielfalt filmkultureller Formen in Europa lässt den Wirtschaftsgiganten Hollywood eintönig und hohl erscheinen.
Hier ein Stein im vielfarbigen Mosaik zu sein ist verdienstvoller als eine käufliche und schnell zur Disposition stehende Aktie an der Börse zu sein. Dazu gehört allerdings auch der Respekt vor dem Film: wenn die geachteten Nordischen Filmtage Lübeck 2003 mehr „Glamour“ und VIPs anstrebten, wie sie verkündeten, und die feierliche Eröffnung in die Muk verlegten, ohne sich durch einen Film irritieren zu lassen, während zur gleichen Zeit das Filmereignis „Dogville“ in Originalfassung das Filmprogramm im Festivalkino eröffnete, könnte dies eine kunstvolle Performance-Collage aus gewolltem Glanz und praktizierter Peinlichkeit sein. Eine hoffnungsvolle Entwicklung zu mehr Akzeptanz zeigte die Verleihung des schleswig-holsteinischen Kulturpreises. Musste sich vor Jahren der für den Nachwuchspreis geehrte Lars Büchel noch in feierlichem Akt die live gespielte Musik aus seinem Episoden-Film bei geschlossener Leinwand anhören, so konnte das Publikum bei der Verleihung des großen Preises an Detlev Buck Szenen aus seinem Werk auch auf der Leinwand genießen. Sehen Sie nun den Kurzfilm eines jungen Talents aus Itzehoe: Toke Hebbelns „Der ewige Tag“, auf 35mm in schwarz-weiß gedreht, von der LAG-Film gefördert und Gewinner des diesjährigen Dr. Hans-Hoch-Film-Preises. (Dr. Kurt Denzer)