Sechzig Jahre Uli Ehlers

Über die strahlend weißen Gipfel der Papiergebirge, umflossen von breiten Gletschern aus Aktenordnern, Faltblättern und Notizzetteln geht sein Blick weit hinaus ins Angeliter Land. Am Horizont grast selbstvergessen eine Schwarzbunte im Schatten eines Windrades: Hier auf den Höhen des sturmgepeitschten Scheersbergs steht ein Mann, der weiß, wo’s langgeht. Schelmisch umspielen die Lachfältchen seine wissenden Augen, als er an seinem Darjeeling nippt. Jaaa, er hat viel gesehen in den fünf Dutzend Jahren, die hinter ihm liegen. So manche Schwiele hat er sich gesessen in Gremien, Vorständen, Ausschüssen, Gesprächsrunden und Jurys. Das stählt den Hintern und macht immun gegen manchen Tritt, den man einstecken muss. Doch ein abgebrühter Kerl wie er, gewaschen mit allen Wassern der Sozio-Kultur, ausgestattet mit Goldkehle und Engelszunge, der weiß immer, wo die Fleischtöpfe stehen. Lautlos lacht er auf und nimmt einen Schluck Tee. Sein Blick wandert durch den Raum und bleibt auf der Violine haften, die etwas vernachlässigt in der Ecke lehnt. Nein, leicht hat er es sich nie gemacht. Schon damals nicht, als er Anfang der 50er „rübermachte“ nach West-Berlin, noch an der Hand seiner Mutter. Im Gepäck nicht viel mehr als eine solche Violine, die ihm eine treue Gefährtin blieb, sein Leben lang.

Er hätte Karriere machen können im Orchester der Jungen Pioniere; seine Sorge ums Gemeinwesen war wohl gelitten im real existierenden Sozialismus. Doch das Schicksal stellte seine Weichen. Die Flegeljahre der jungen Westrepublik sollten auch seine eigenen werden. Mehr als ein Dutzend Schulen ließ er hinter sich, bis dieses Nomadenleben ihn vor die Wahl stellte: Werde ich kriminell oder Lehrer? Trotz seines Charismas, seines Ideenreichtums und seines Organisationstalents verkniff er sich die Chance aufs schnelle Geld und wurde Pädagoge. Nach harten Lehrjahren in schlechtbeheizten Dorfschulen der hessischen Provinz ereilte ihn der Ruf nach Norden in Form einer simplen Stellenanzeige. Als er zu Beginn der 70er Jahre sein Amt als Studienleiter des Jugendhofs Scheersberg antrat, konnte niemand im Land ahnen, dass damit eine Keimzelle gelegt war für das Erblühen der schleswig-holsteinischen Filmkultur.

Ulrich Ehlers, Vorsitzender der LAG Jugend und Film SH, Studienleiter und stellvertretender Direktor der Internationalen Jugendbildungssttätte Scheersberg

Die „Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung“ wurde schließlich zur Mutter aller Filminstitutionen zwischen Nord- und Ostsee, und ER wurde der Große Vorsitzende. Auch die Kulturelle Filmförderung wuchs auf diesem fruchtbaren Boden (in der zerstrittenen Gründungsphase allerdings nur unter Androhung eines Striptease, den ER zum Glück nicht vollenden musste). Auch später war seine Vermittlungskompetenz immer wieder gefragt, ob in knochenbrecherischen Fußballspielen (Schmalfilmer gegen Videofilmer, 2:2) oder bei der nicht weniger schmerzhaften Neustrukturierung der Filmförderung im Land. Bei aller Nostalgie behielt er die Zukunft immer fest im Blick, und der wachsende Ansturm auf das jährliche Video-Film-Fest der LAG Film gibt ihm Recht.

Ein kurzes Aufseufzen, die Tasse Tee ist leer, ein Blick zur Uhr: Zeit fürs Abendessen auf dem Scheersberg. Ordnung muss sein. „Nehmt bitte das Geschirr mit.“ Ulrich Ehlers wird sechzig Jahre; und wenn man ihn als Urgestein der schleswig-holsteinischen Filmkultur bezeichnen darf, dann nur, weil er glühen kann wie flüssige Lava und immer in Bewegung bleibt. (Lorenz Müller)

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