film20 – Anlage 1:
Geld regiert das Geschäft
Vortrag von Günter Rohrbach bei der Tagung „Strukturen der Medienwirtschaft in Deutschland“ am 13. November 2001 in München
Film wäre eine so wunderschöne Sache, wenn es bei ihr nicht immer auch um Geld ginge, das Geld, das die Filme kosten, das Geld, das sie einbringen, und die Kluft, die sich dazwischen auftut. Es ist das ewige Ärgernis an der Filmproduktion, dass sie teuer ist, in der Regel sehr teuer, in den marktbeherrschenden Fällen ganz schrecklich teuer. Aber allen ökonomischen Gesetzen zum trotz gibt es zwischen Herstellungskosten und Preis keine Korrespondenz. Der Zuschauer zahlt die gleiche Summe für den 3 Millionen Film wie für den, der 300 Millionen Mark in seinen Muskeln hat. Der Zuschauer möchte gerührt, erhoben, begeistert werden, die Mittel, die einer aufgewendet hat, um das zu erreichen, sind ihm gleichgültig.
Freilich möchte der Zuschauer, der ins Kino geht, dort auch Kino sehen. Und er ärgert sich zu Recht, wenn es nur Fernsehen ist. Was nicht ausschließt, dass gelegentlich auch Fernsehen schönes Kino sein kann. Womit wir schon beim deutschen Film wären, denn deutsche Filme sind fast immer Fernsehen. Es hat auch dies mit Geld zu tun.
Es gibt ganz unleugbar einen Zusammenhang zwischen Budgetgröße und Kinoerfolg. Es gibt ihn trotz der Tatsache, dass immer wieder wunderbare kleine Filme gerade dies zu widerlegen scheinen. Und sie vor allem dominieren den öffentlichen Diskurs. Mehr als ein Jahrzehnt lang haben sich Deutschlands Filmproduzenten den Film MÄNNER vorhalten lassen müssen, der weniger als eine Million gekostet aber mehr als sechs Millionen Zuschauer angelockt hat. Auch DER BEWEGTE MANN war ein beliebtes Beispiel und zuletzt vor allem LOLA RENNT. Auf der anderen Seite stehen Titel wie HEAVENS GATE, WATERWOLRD oder WILD WILD WEST, die die jeweils weltweit teuersten Filme des Jahres waren und zugleich phänomenale Flops.
Es gehe also, so wird von Leuten, die selbst keine Filme produzieren, immer wieder argumentiert, nicht um Geld, sondern um Ideen. Solche Sätze machen sich gut in Sonntagsreden, doch sie stoßen sich leider an der Wirklichkeit. Mit Einzelbeispielen kann man alles beweisen und nichts. Es muss doch Gründe haben, dass die Amerikaner zuletzt im Durchschnitt aller Filme mehr als 120 Millionen Mark ausgegeben haben und bei den Blockbustern bis zu 300 Millionen und mehr. Sind da etwa lauter Dummköpfe am Werk, die ihre Einfallslosigkeit mit stupiden Materialschlachten übertünchen müssen? Immerhin sind wir in Deutschland mit einem Schnitt von weniger als 5 Millionen ausgekommen. Besteht da etwa Bedarf an Entwicklungshilfe? Von hier nach dort?
Wenn wir zu einer ehrlichen Diskussion finden wollen, müssen wir aufhören, uns Einzelbeispiele um die Ohren zu hauen. Der Erfolg Hollywoods ist ein Ergebnis der sich dort bietenden Möglichkeiten. Der amerikanische Binnenmarkt ist zehnmal so groß wie der deutsche und halb so groß wie der gesamte Weltmarkt. Die Amerikaner gehen im Schnitt mehr als fünfmal im Jahr ins Kino, die Deutschen weniger als zweimal. Entsprechend groß ist in den USA die Videonutzung, und zu allem Überfluss läuft auch noch der Fernseher sieben Stunden am Tag. Die Amerikaner sind bildersüchtig wie niemand sonst in der Welt, und sie haben sich folgerichtig zu den Herren der Bilder gemacht.
Ein deutscher Film gilt als Erfolg, wenn er 1 Million Besucher hat. An der Kinokasse sind das 10 Millionen Mark, in Amerika wären es 100 Millionen. Auf diese 100 Millionen und noch einiges mehr wird es der Sensationserfolg DER SCHUH DES MANITU bringen, aber in Amerika wären es 1 Milliarde. Weil der amerikanische Film diese enorme Basis hat, konnte er die Kraft entwickeln, um die Welt zu erobern.
Wenn wir die Zahl der Kinobesucher in Deutschland steigern wollen, können wir das fast nur mit deutschen Filmen. Auf Hollywood ist insofern Verlass, als es für eine verlässliche Konstanz sorgt. Die Ausschläge nach oben und leider auch nach unten verantworten wir selbst. Es verbirgt sich hier aber ein beträchtliches Potential, das wir nutzen könnten, wenn es gelänge, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Womit wir wieder beim Geld wären. Was aber ist es, was Filme so teuer macht?
Ein TATORT kostet maximal 3 Millionen und er ist, trotz dieser niedrigen Summe, seit Jahrzehnten das erfolgreichste Format, das wir in Deutschland zu bieten haben. Aber ein TATORT ist Fernsehen. Im Kino wäre er chancenlos. Eine Kinoleinwand ist hundertmal so groß wie der heimische Monitor und hundertmal so anspruchsvoll. Sie ist es, wie wir wissen, nicht immer und nicht für jedes Publikum. Die Regel gilt: je jünger die Zuschauer, desto strenger die Forderungen. Da aber vor allem junge Menschen ins Kino gehen, entscheiden sie über Wohl und Wehe der Branche. Sie bevorzugen Action, Science-Fiction, Fantasy. Keines dieser Genres ist mit deutschen Budgets angemessen zu bedienen. Folglich werden sie von den Amerikanern monopolisiert.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind es vor allem die Gagen der Stars, denen die exorbitanten Kosten der Filme angelastet werden. In der Tat spielen sie in den USA eine herausragende Rolle. Aber selbst dort sind sie im Vergleich zu den eigentlichen Herstellungskosten der mindere Faktor. In Deutschland sind es eher die mittleren Rollen, die uns Sorgen machen, ausschlaggebend sind jedoch auch sie nicht. Für einen großen Film werden mehrere 100 Menschen über viele Monate beschäftigt. Kameramänner, Tonleute, Maskenbildner, Kostümbildner, Ausstatter, Requisiteure, Aufnahmeleiter, Beleuchter, Dekorationsbauer, Computertechniker, Musiker und so weiter und so weiter. Die von Jahr zu Jahr länger werdenden Abspänne geben darüber eindrucksvoll Auskunft. Aber warum ist das so, was macht diesen Aufwand notwendig, was ihn sinnvoll?
Am ehesten scheint es noch einzuleuchten, dass Ausstattungsfilme teuer sein müssen. Aufwendige Bauten, reiche Kostüme, Tausende von Statisten – wer das Geld so ausstellt, hat die Nachfrage nach dem Verbleib nicht zu fürchten. Aber dieser noch in den fünfziger Jahren beliebte Filmtypus ist ausgestorben. Die Prachtentfaltung als Selbstzweck hat keine Lobby mehr. In einem guten Film hat alles, was auf der Leinwand zu sehen ist, eine Funktion über sich selbst hinaus. Es dient der Beglaubigung einer Situation, der Schaffung von Authentizität, der Charakteristik einer Figur, der Erzeugung eines Gefühls. Natürlich leben Filme auch von ihren Schauwerten; deswegen wird man auf die Auswahl der Orte, an denen sie spielen, eine große Sorgfalt verwenden. Doch das schönste und originellste Motiv ist nichts wert, wenn es die Handlung nicht stützt und über die Menschen in ihr nichts erzählt. Eine prachtvolle Villa drückt Reichtum aus, aber auch Geltungsdrang, Lebensfreude, Geschmack, Geschmacklosigkeit, was auch immer. Ein großes Büro symbolisiert Macht, ein sorgfältig, detailverliebt eingerichtetes Studierzimmer Bildung, Kreativität, eine von Früchten, Gewürzen, Kochrequisiten überquellende Küche Lebenslust. Es macht einen großen Unterschied für die Glaubwürdigkeit einer Geschichte, wenn die Räume wirkliches Leben atmen und nicht aussehen wie Schaufensterdekorationen. Das aber kostet sehr viel Zeit, Sorgfalt, Fantasie. Die Requisiten müssen aus vielen Quellen besorgt, hergerichtet und so arrangiert werden, als habe jemand seit einem halben Jahrhundert in dem Raum gewohnt.
Eine Landschaft ist eine Landschaft. Ich kann sie von einem beliebigen Punkt aus fotografieren. Ich kann aber auch die Kamera langsam hochfahren, den Blick sich weiten und weiten lassen, bis die Landschaft mich überwältigt. Ich kann durch sie hindurchfahren oder sie von oben aus dem Himmel erfassen. Dann brauche ich aber einen Kran, ich muss Schienen legen für die Kamerafahrt, einen Hubschrauber chartern. Auch ist es entscheidend, in welchem Licht ich die Landschaft zeige, ob ich warte, bis die Sonne den richtigen Stand hat. Erst dann überkommt mich das volle Gefühl ihrer Schönheit. Überhaupt das Licht. Es schafft die Atmosphäre einer Geschichte, die Schönheit ihrer Frauen, die Härte der Konflikte. Das Licht erzeugt die Bilder, die Bilder die Gefühle, und auf sie vor allem kommt es an. Aber es kostet viel Zeit und Geld, um die Menschen und die Gegenstände in jenes Hell-Dunkel zu tauchen, aus dem heraus sie leben und zu uns sprechen.
Es ist eine große Kunst, aus einer schönen Frau eine außerordentlich schöne Frau zu machen, und es wirken viele daran mit: der Kostümbildner, der Maskenbildner, der Kameramann, die Beleuchter. Natürlich sind es vor allem die Schauspieler, über die wir einen Film bewusst erleben. Doch dass sie den Charme, den Liebreiz, die Komik, die Brutalität, die Gemeinheit entfalten können, die uns entzückt, begeistert, ängstigt, verstört, dafür braucht es nicht nur ihre Darstellungskunst, sondern auch das professionelle Engagement vieler, von denen der Zuschauer nichts weiss.
Etwa ein bis zwei Minuten Film werden an einem Tag gedreht. Aber um dies zu erreichen, hat man ein halbes Jahr vorbereitet, und um es zeigen zu können, wird man noch einmal mehrere Monate nachbearbeiten. Science-Fiction und Actionfilme sind naturgemäß besonders aufwendig. Sie sind aber bei dem jungen Publikum, das vor allem ins Kino geht, besonders beliebt. Und auch hier gilt die Regel, dass eine Action-Szene nur dann Sinn macht, wenn sich in ihr ein Gefühl ausdrückt. Action-Szenen befriedigen Bedürfnisse, die uns in einer hochtechnisierten Welt verweigert werden. Zur Erläuterung ein paar Beispiele:
In dem Film TERMINATOR I verfolgt der von Arnold Schwarzenegger gespielte Terminator eine junge Frau. Er hat den Auftrag, sie zu töten. In einer Sequenz des Film flüchtet die Frau in eine Polizeistation. Wenig später folgt ihr der Terminator. Er geht zu dem im Eingangsbereich sitzenden Beamten und fragt nach der jungen Frau. Der Polizist liest weiter in seinen Akten und reagiert mit jener Behördenarroganz, die jeden von uns schon einmal in Rage gebracht hat. Der Terminator fragt erneut, der Polizist sieht ihn immer noch nicht an und bedeutet ihm mit schwer erträglicher Lässigkeit, er solle sich in die Ecke setzen und warten. Obwohl der Terminator eine negative Figur ist, ist der Zuschauer in dieser Situation auf seiner Seite. Er erwartet eine der Aggressivität der Lage entsprechende Reaktion. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten:
Erstens die dialogische und daher billigste. Dafür wurde Arnold Schwarzenegger nicht engagiert.
Zweitens ein Faustschlag ins Gesicht des Polizisten, der Schauspieler schlägt angedeutet selbst, der Ton wird nachgeliefert. Auch dies ist relativ preiswert zu haben.
Drittens abermals Faustschlag, der Polizist kippt nach hinten über und fällt auf den Boden. Dies macht zusätzlich einen Stuntman notwendig, der dem Polizisten gleicht und identisch kostümiert werden muss. Der Schauspieler schlägt nicht selbst, seine Hand wird von einem weiteren Stuntman gedoubelt. Der Polizist blutet, dafür benötigt man einen Spezialeffekt und einen Maskenbildner. Die Szene wird mehrfach wiederholt. Jedes Mal brauchen Schauspieler und Stuntman ein neues Hemd. Zwischen Polizist und Terminator befindet sich eine Trennscheibe. Für den Terminator ist es, wie wir aus früheren Szenen wissen, kein Problem, diese zu durchschlagen. Es muss aber ein entsprechend präparierter Arm eigens dafür hergestellt werden. Es werden, da die Szene sicherheitshalber mehrfach gedreht werden muss, mindestens drei Scheiben gebraucht. Aber die Wirkung ist auch entsprechend größer. Ebenso der Preis dieser Szene.
Keine dieser Möglichkeiten wurde in dem Film realisiert. Vielmehr sagt der Terminator ganz ruhig zu dem Polizisten „Ich komme wieder“, wendet sich ab und geht hinaus. Die Kamera bleibt weiter auf dem Polizisten, der reaktionslos etwas in seine Akten schreibt. Kurz darauf fängt der Raum leise an zu zittern, das Zittern steigert sich zu einem Beben. Der Polizist blickt erstmals auf, sein Gesicht spiegelt Entsetzen. Erst jetzt sehen wir, was er sieht: Die Außenwand der Polizeistation wird von einem mit voller Wucht hereinbrechenden Auto eingerissen. Während Wände und Decken über ihm zusammenbrechen, steigt Arnold Schwarzenegger gelassen aus und geht, als sei dies die selbstverständlichste Art der Welt, ein Haus zu betreten, an dem Polizisten vorbei in die Station hinein. Von allen denkbaren Möglichkeiten ist dies bei weitem die teuerste, aber auch die wirkungsvollste. Das Kino jedenfalls steht Kopf. Soviel zum Thema Gefühl.
In dem Film DAS BOOT betritt der Kapitän mit seinen Offizieren zu Anfang den Bunker, in dem die U-Boot-Flottille vor Anker liegt. Der Bunker bestand aus sechs Docks, von denen jedes Platz für ein Boot hatte. Wir meinten, dass man dies wenigstens einmal sehen müsse. Petersen lies also seine kleine Truppe an den Docks entlang gehen, die Kamera fuhr mit. Da wir nur ein Boot hatten, es aber sechs Kammern gab, wurde die Kamera jeweils an den Trennwänden angehalten, das Boot wurde von Kammer zu Kammer umdirigiert und durch Kaschierungen so verändert, dass der Eindruck verschiedener Boote entstand. Dann setzte die Kamera an der gleichen Stelle jeweils neu an. Für den Zuschauer war es eine durchgehende Fahrt. Mit dem Kapitän sah er die gesamte Flottille. Der Gang des Kapitäns dauert im Film weniger als eine Minute. Gedreht wurde er an drei Tagen. Kosten eines Drehtags damals etwa 100.000 Mark. Soviel zum Thema Beglaubigung.
In STALINGRAD spielt eine Szene in einem Feldlazarett. Wir sehen zunächst einen Verwundeten, dann zieht die Kamera auf, und da liegen Hunderte. Eine ähnliche, noch sehr viel eindrucksvollere Szene gab es in VOM WINDE VERWEHT. Natürlich könnte man die Schrecken des Krieges auch an e i n e m Verletzten zeigen. Wir hätten dann die Wahrheit des Krieges, aber nicht seine Wirklichkeit. So viel zum Thema Authentizität.
Um die Ermordung einer Frau in einer Dusche zu drehen, würde ein deutscher Aufnahmeleiter einen halben Tag ansetzen. Die berühmte Duschszene in Hitchcocks PSYCHO dauert 45 Sekunden. Sie ist in siebzig Kameraeinstellungen aufgelöst. Hitchcock und sein Team haben an diesen siebzig Einstellungen sieben Tage gedreht. Sieben Tage für 45 Sekunden, sieben Tage für den Weltruhm.
Ein Auto fährt eine kurvenreiche Bergstrasse hinab. Plötzlich versagen die Bremsen, das Auto wird immer schneller, schließlich bricht es aus und stürzt, sich überschlagend, in den Abgrund. Man hat ähnliche Szenen schon öfter gesehen. Der eigentliche Sturz wird gemeinhin mit mehreren Kameras aufgenommen, um später genügend Schnittmaterial zu haben. Es genügen dann wenige Stunden, um dies zu drehen. In Wolfgang Petersens Film TOD IM SPIEGEL steht eine solche Szene am Anfang des Films. Allein für das Durchbrechen der seitlichen Begrenzung und den Sturz in den Abgrund wurden neun Tage bzw. Nächte an vier verschiedenen Orten disponiert. Es wurden zahlreiche Autos benutzt und natürlich zerstört. Eines der Autos war im Studio so montiert, dass es eine 360-Grad-Drehung vollführen konnte. Hier wurden teils mit einem Stuntman, teils auch mit einem Dummy die Vorgänge im Innern des Autos simuliert.
Die Beispiele mögen genügen. Sie zeigen, was Film sein kann und was Kino sein muss. Es sind vergleichsweise einfache Vorgänge, weit entfernt von den vorwiegend computergenerierten Effekten, mit denen heutige amerikanische Action- oder Fantasy-Filme uns erschlagen. Sie beschreiben vielmehr Drehtechniken, mit denen richtiges Kino überhaupt erst anfängt.
Richtiges Kino gibt es auch in England oder Frankreich, also in Ländern, mit deren Standards wir Vergleiche aushalten müssten. Die Durchschnittskosten französischer
ilme liegen derzeit bei 11 Millionen DM, die englischer Filme bei 16 Millionen DM. Die Differenz zu Deutschland mit seinem 5-Millionen Schnitt wird noch augenfälliger, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in Frankreich im Jahre 1999 44 Filme mit einem Budget zwischen 6 und 15 Millionen DM produziert wurden und 20 Filme, die über 15 Millionen lagen, zum Teil sogar deutlich. Erstere Größenordnung kommt bei uns kaum, die zweite überhaupt nicht vor. Die Franzosen haben die Zahl ihrer hoch budgetierten Filme zuletzt sogar noch gesteigert. Nur so ist es dort möglich, einen Marktanteil von 30 % und mehr für den eigenen Film zu behaupten.
Warum sind solche Budgets in England und Frankreich möglich und bei uns nicht? England ist insofern eine Ausnahme, als es dort durch Sprache und Tradition eine enge Verzahnung mit dem amerikanischen Film gibt. Darüberhinaus stehen erhebliche Lotteriegelder und eine spezielle Steuervergünstigung zur Verfügung. Dennoch ist die Zahl der englischen Filme, die sich nachhaltig im Markt behaupten, nicht größer als bei uns, allerdings mit dem Unterschied, dass ihnen, der englischen Sprache wegen, im Erfolgsfall der Weltmarkt offen steht.
In Frankreich hat der Kinofilm eine außerordentlich starke Stellung im Kulturleben des Landes. Er verdankt dies seiner Tradition ebenso wie zahlreichen zu seinen Gunsten getroffenen staatlichen Regulierungen. Diese betreffen insbesondere das Engagement des Fernsehens, das maßgeblichen Anteil am hohen Standard der französischen Filmproduktion hat. In Berlin will man sich für eine Neuordnung der deutschen Filmförderung Frankreich zum Vorbild nehmen. Man darf gespannt sein.
Dass hierzulande etwas geschehen muss, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Das „Wie“ freilich ist umstritten. Nach meiner Überzeugung bieten sich zwei Alternativen an.
Die erste wäre eine konsequente Antwort auf den gegenwärtigen Zustand. Wenn der deutsche Kinofilm ohnehin nichts anderes ist als schön geschminktes Fernsehen, dann sollten wir uns dazu bekennen und die künstliche Differenz zwischen Kinoproduktion und Fernsehproduktion aufheben. Es würden dann alle Filme von vornherein für das Fernsehen produziert. Mit den Sendern wäre eine Verabredung darüber zu treffen, dass Filmen, die nach ihrer Fertigstellung als kinogeeignet scheinen, nach entsprechenden Tests ein Kinovorspiel eingeräumt würde. Die zahlreichen Fördereinrichtungen könnten dann aufgelöst und die dorthin fliessenden Fernsehgelder einschließlich der nicht unerheblichen Verwaltungskosten der Produktion unmittelbar zugeführt werden. Der Deutsche Filmpreis wäre mit dem Deutschen Fernsehpreis zu verschmelzen, in einer zusätzlichen Kategorie könnten solche Fernsehfilme ausgezeichnet werden, die den Sprung ins Kino geschafft haben. Das Fernsehen würde auf diese Weise ganz offiziell die Macht über den deutschen Kinofilm erhalten, die es de facto mehr oder weniger heute schon hat. Daneben könnte sich nach dem Vorbild der amerikanischen Independents, gewissermaßen als Partisanentätigkeit, eine No Budget Szene entwickeln, kleine, nicht unbedingt schmutzige Filme aus dem Umkreis der Filmhochschulen.
Eine solche Lösung wäre nicht weit entfernt von unserer gegenwärtigen Wirklichkeit, hätte aber den Vorteil, ehrlich zu sein. Es fragt sich freilich, ob ein so großes und reiches Land wie das unsere, das stolz sein möchte auf seine kulturellen Leistungen, sich so viel Ehrlichkeit leisten kann. Da sind nicht nur Bekenntnisse sondern auch Entscheidungen gefragt. Wir, die Filmschaffenden, sind jedenfalls nicht bereit, uns weiterhin dem öffentlichen Gespött dafür auszusetzen, dass wir uns mangelhaft ausgerüstet in ein Spiel schicken lassen, das nicht gewonnen werden kann.
Es gibt natürlich einen zweiten Weg, aber auch der erfordert vor allem Ehrlichkeit. Sie hätte zu beginnen mit einer Analyse der heutigen Förderung und ihrer tatsächlichen Leistung. Da wird zum Beispiel von einem Gesamtbetrag von nahezu 400 Millionen Mark geredet, der insgesamt als Subvention für den deutschen Film zur Verfügung stünde. Das mag ja sein, aber verschwiegen wird dabei, dass dieses Geld für alles mögliche ausgegeben wird, der Produktion aber nur wenig mehr als die Hälfte zufließt. In diesem Betrag von rund 220 Millionen sind die Gelder der Filmförderungsanstalt enthalten, die auf der Basis eines Selbsthilfegesetzes ausschließlich von denen aufgebracht werden, die den Film wirtschaftlich nutzen, also den Kinos, und damit indirekt auch den Verleihern und Produzenten, den Videobetreibern und den Fernsehanstalten. Darüber hinaus betreiben mehrere Fernsehanstalten eine Art Umweg-Finanzierung, indem sie den Länderförderungen gewisse Beträge zur Verfügung stellen, die sie sich dann via Gremium zurückholen und zudem mit den Lizenzzahlungen verrechnen. Es bleiben gut 100 Millionen, die von Bund und Ländern aufgebracht werden und die allein den Begriff Subvention rechtfertigen. Es entspricht dies dem Etat der Münchner Oper. Dies zum Stand der Dinge.
Wenn wir aus unserer Fernsehecke herauskommen wollen, müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch bei uns Filme auf der Basis von Budgets hergestellt werden können, die, wenn auch nicht amerikanischen, dann doch zumindest europäischen Standards entsprechen. Das bedeutet, wir müssen weitere Geldquellen erschließen, bzw. die vorhandenen stärker belasten. Beginnen wir im weitesten Sinne bei uns selbst, also bei der FFA. Die Kinoabgabe beträgt gegenwärtig 2,3%, in Frankreich liegt sie bei 11%. Hier gibt es, auch wenn die Theaterbesitzer aufschreien werden, Spielräume. Vielleicht muss man die Verleiher (und damit auch die Produzenten) stärker belasten. Vor allem die deutschen Verleiher sollten an deutschen Filmen interessiert sein, nachdem sie sich mit überteuerten amerikanischen Output-Deals gründlicher in Bedrängnis gebracht haben, als dies im Augenblick öffentlich sichtbar ist.
Die Videowirtschaft hat sich nur mühsam in die Solidarfront einreihen lassen. Das hat Gründe, denn für sie sind Filme mit Fernsehlook besonders nutzlos. Umso wichtiger müsste es für sie sein, künftig über höher budgetierte und damit konkurrenzfähigere deutsche Filme verfügen zu können. Dafür sollten sie bereit sein, auch mehr zu zahlen. Gegenwärtig liegt die Videoabgabe bei 1,8%, in Frankreich bei 3,5%.
Skandalös niedrig ist der Beitrag der Fernsehanstalten. Pro System steuern sie gegenwärtig 11 Millionen DM, zusammen also 22 Millionen DM bei. Dem stehen 20.000 Spielfilmausstrahlungen pro Jahr gegenüber. ARD und ZDF, die reichsten Fernsehanstalten der Welt, überweisen der FFA für ein ganzes Jahr gerade einmal die Summe, die ihnen ein einziges Fußballspiel der kommenden Weltmeisterschaft, sagen wir Ecuador gegen Südkorea, auszustrahlen am Vormittag, wert ist. Was rechtfertigt eigentlich ein solches Missverhältnis? Der Marktanteil kann es nicht sein, denn nur noch wenige Fußballspiele und auch nur solche mit deutscher Beteiligung übertreffen gelegentlich die Zuschauerzahlen deutscher Filme.
Das Fernsehen hat sich bisher erfolgreich dagegen gewehrt, zu einer Zahlung in die FFA verpflichtet zu werden. Die divergierenden politischen Interessen, besonders die zwischen Bund und Ländern, haben das begünstigt. In Frankreich trägt das Fernsehen etwa 40% der Gesamtkosten bei, wie dargelegt, erheblich höheren Budgets. Wenn es bei einem freiwilligen Beitrag bleiben soll, dann muss der angemessen sein und fair gegenüber den anderen Teilnehmern. Eine Parität zwischen öffentlich-rechtlichen Anstalten und den privaten ist im übrigen nicht zwingend gegeben. Ein gesellschaftlich verfasstes Fernsehen hat Verpflichtungen anderer Art als dies privaten Institutionen zugemutet werden kann. Wir wollen ARD und ZDF im Übrigen nicht, wie Hans Janke das nennt, entreichern. Die Sender können ihre Verpflichtungen gegenüber dem deutschen Film, von dem sie, sieht man das in Korrespondenz zu den genuinen Fernsehfilmen, existentiell abhängig sind, in ihre Verhandlungen mit der KEF einbringen.
Ziel der demnächst anstehenden Novellierung des Filmförderungsgesetzes muss es sein, die Mittel der FFA mindestens zu verdoppeln. Nur so kann der Ursprungsidee dieses Selbsthilfeprogramms wirkungsvoll entsprochen werden, nämlich die strukturelle Marktschwäche einer regionalen Filmindustrie wenigstens teilweise auszugleichen. Dazu gehört freilich, dass der Markt aus diesem System nicht völlig ausgeschlossen wird.
Dies ist allerdings in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr geschehen. Als die FFA Ende der sechziger Jahre gegründet wurde, geschah dies, inspiriert von den Vorbildern Italien und Frankreich, auf einer automatischen Basis nach dem Referenzfilmprinzip. Die Rückflüsse aus dem Kino wurden um proportionale Zahlungen aus der Kasse der FFA ergänzt. Es waren die Regisseure und Produzenten des sogenannten Neuen Deutschen Films, die auf die Gefahr einer totalen Kommerzialisierung des deutschen Kinos hingewiesen und zu Recht das Regulativ einer ergänzenden Projektförderung eingefordert haben, wohlgemerkt einer ergänzenden Förderung. Es sollten so auch besondere, jenseits des Mainstreams angesiedelte Filme ermöglicht und die Wege für Neueinsteiger geebnet werden. Mit der Errichtung der Länderförderungen und deren von Jahr zu Jahr größeren Bedeutung geriet dann allerdings die Balance zwischen automatischer und gremiengestützter Förderung aus den Fugen. Es begann die schleichende Entmündigung der Produzenten zu Gunsten einer von zahlreichen Gremien gesteuerten und letztlich von ihnen bestimmten Filmproduktion. Mit der Entmachtung der Produzenten wurden auch die Einflüsse des Marktes minimiert.
Es muss selbstkritisch gesagt werden, dass es sich die Produzenten in der fürsorglichen Gängelung durch Gremien und Fernsehen zum Teil auch bequem gemacht hatten. Mit ihrer Verantwortung waren auch die Risiken gemindert. Genau das ist ihnen aber von einer kritischen Öffentlichkeit immer wieder vorgehalten worden.
Wir denken heute über den Markt anders als noch in den siebziger Jahren. Wir haben gelernt, seine Vitalität zu respektieren, und auch erfahren, dass dort, wo er alleine regiert, die Vielfalt keineswegs verhindert wird. Dennoch wird das Kulturgut Film in einem Land, das ihn öffentlich fördert, auf eine gewisse Regulierung angewiesen sein. Es geht darum, die produktiven Kräfte des Marktes freizusetzen und nur dort einzugreifen, wo die gewünschten Ziele allein mit marktkonformen Mitteln nicht zu erreichen sind.
Bevor konkrete Vorschläge formuliert werden können, muss auch über die Leistung des Bundes für den deutschen Film geredet werden. Das BKM stellt gegenwärtig für die unmittelbare Filmproduktion jährlich 11 Millionen Mark zur Verfügung. Darin sind die Prämien des Deutschen Filmpreises eingeschlossen. Das ist eine erbärmliche Summe. Auch wenn wir anerkennen, dass Kultur in Deutschland Ländersache ist, kann es dabei nicht bleiben. Der Bund hat auf Gebieten, die sich der Regionalisierung weit weniger entziehen als der Film, verstärktes Engagement gezeigt. Kein anderes Kulturgut ist für die Darstellung dieses Landes über unsere Grenzen hinaus so gut geeignet wie der Film. Der Bund hat hier eine Verantwortung, aus der wir ihn nicht entlassen können. Da wollen wir ihn auch nicht mit ein paar zusätzlichen Millionen davonkommen lassen. Sein Beitrag muss um ein Mehrfaches erhöht werden, wenn die Sache Wirkung haben soll.
Eine Neuordnung der vom Bund gesteuerten Förderung, oder nennen wir sie besser Zusatzfinanzierung, könnte dann wie folgt aussehen: Die Gelder der FFA sollten insgesamt nach dem Referenzfilmprinzip automatisch zugeteilt werden. Die Projektförderung würde dann allein von einem entsprechend ausgestatteten BKM übernommen. Auf diese Weise würden wir uns ein Gremium sparen, zugleich aber beide Förderungsarten in ein produktives Verhältnis bringen.
Bleiben die Länderförderungen. Auch hier würde es nicht schaden, nach der Devise mehr Markt, weniger Regulierung zu verfahren. Wenn es gelänge, ein 50:50 Verhältnis zwischen automatischer und projektgesteuerter Förderung zu erreichen, wäre schon viel gewonnen. Es geht darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass zum Beispiel Michael Herbig nach seinem „Manitu“-Erfolg niemanden mehr fragen muss, um seinen nächsten Film finanzieren zu können. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass in diesem Fall die Förderer ihm ihr Geld vermutlich aufdrängen würden. Die gleichen Freiheiten hätte freilich auch Oskar Roehler nach seiner „Unberührbaren“ haben müssen. Um Nachteile für außerordentliche Filme zu vermeiden, die im Markt keine ihrer Bedeutung entsprechende Resonanz finden, könnte man in die automatische Förderung einen Bonus für solche Filme einbauen, die etwa eine Nominierung zum Deutschen Filmpreis oder eine Berufung in den Wettbewerb eines der drei großen Festivals erhalten haben.
Es gibt, wie gesagt, zwei Möglichkeiten, auf die gegenwärtige Situation des deutschen Films zu reagieren, eine defensive und eine offensive. Wenn man sich für die offensive entscheidet, dann muss man es entschlossen und ganz tun. Sollten deutsche Regisseure die Chance erhalten, ihre Filme nach internationalen Kinostandards zu drehen, dann wird sich auch die Akzeptanz im Ausland verbessern. Damit würden sich wie von selbst neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen, beispielsweise durch Koproduktionen, aber auch durch Filmfonds. Die Talente dazu haben wir, und jährlich kommen aus den Filmhochschulen neue hinzu. Die Erfolge, die sie bei Studentenfestivals oder im Kurzfilmbereich weltweit erzielen, zeigen, dass sie konkurrenzfähig sind, solange gewissermaßen Waffengleichheit herrscht. Diese sollten wir im europäischen Rahmen auch für die richtigen Filme herstellen.