16. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2012
So nah und doch so fern
Eindrücke vom Kurzfilmabend der Augenweide (ad zwei)
Kinounterhaltung auf verschiedene Weise: Alltag lyrisch, Albernes gekonnt aufgetragen oder fernes Spektakel dokumentarisch gegriffen. Drei Filme aus dem Kurzfilmabend der 16. Augenweide, nicht Vergleichbares, „unmöglich“ subsummierend hier betrachtet.
„Elevatrix“ – der Titel von Ulf Wahls viereinhalb-minütigen Kurzfilm mag im ersten Moment an den möglichen Namen einer Zahnpasta erinnern. Tatsächlich leitet er sich aber von „elevator“ ab, einem englischen Wort für Fahrstuhl. Und nämlicher Lift ist fast der ausschließliche Schauplatz des grotesken Geschehens, dessen Inhalt und Form stark an einen der üblichen Sketche aus einer TV-Comedy-Show erinnern. Absurd und situationskomisch werden mit angemessenem Timing die Pointen herausgekitzelt. Herr Heinemann hält sich wohl für einen Top-Agenten, der vom Dach mit wichtigem Chip entfliehen will, will wahrscheinlich die „Welt retten“, wie es ein anderer Aufzugsgefährte in Trainingsanzug, mit Sonnenbrille und ondulierter blonder Kunsthaartolle ironisch, kumpelhaft kommentiert. Hasenkostüm und Mohrrübenbund machen dann die irrenhaushafte Situation schon fast komplett, ganz zu schweigen von folgenden Gags sowie Outfit eines weiteren Lift-Passagiers (in gepflegtem Jackett mit Shorts und grell-grünen Gummistiefeln) und einem verblüffenden Set-Schwenk in ein benachbartes „Fahrstuhlbüro“, der den Wortwitz beim Namen nimmt. Das Ganze wird durchaus gekonnt, wenn auch leicht „fett“ aufgetragen. Man hätte meinen können, der Film würde zu einem ersten „Brüller“ im Kurzfilmprogramm der 16. Augenweide werden. Aber das Publikum hielt sich relativ zurück. Wie war’s so treffend kalauernd im Film zu vernehmen: „“¦ hätte, hätte: Fahrradkette „¦“ – eben!
Leise, „ambivalente“ Komik, vielleicht vom Macher sogar unbeabsichtigt, wirkt oft durchschlagender. Jörg Meyers „bildgraues“ Requiem „abriss“, ein experimenteller essayistischer Kurzfilm, zeigte das an diesem Abend. Zu sehen war profane Lohnarbeit im Kontrast zu trauernden, poetisierenden Gedanken. Ein Film, der mit schwallender, kaskadischer assoziativer Wortgewalt sich an der Vergänglichkeit abarbeitet und dafür den akribischen, deshalb mühsamen Abriss eines Fabrikschornsteins zum Anlass nimmt. Mit einem Pressluftmeißel in luftiger Höhe, auf 20, 30 Meter emporgeliftet, von einem mobilen, halb offenen Podest stückelt ein „anonymer Arbeiter“ (O-Ton Meyer im Filmgespräch nach der Vorführung auf der „Augenweide“) Stein für Stein einen Schlot ab, verändert zwischendurch mit dem Baulift hydraulisch, trotzdem manchmal ruckartig, an Slapstick erinnernd, die Position seiner Arbeitsbühne, um sein Abriss-Handwerk fortsetzen zu können. Das wirkte nicht normal, sondern tragisch, rührend und komisch zugleich. Nicht zuletzt deshalb, weil sich Meyer neben seinen poetischen Gedanken zum Geschehen mit einer digitalen Heimorgel grotesk aber schelmisch, eindrucksvoll als Filmmusiker versucht. Das abwärts anmutende elektronische „Gedüdel“ macht Sinn und legt zusätzlich eine subversive Komik-Spur unter Bild und Text. Es war sowieso erstaunlich, was für eine Eigendynamik in punkto Komik dieser kleine Web-Film am Kurzfilmabend der „Augenweide“ entwickelte. Ein „Mörtelmörder“, wie Meyer den eintönig Tätigen in seinem elegischen „video.poem“ nennt, wird vom Balkon von gegenüber mit einer „billigen“ Digitalkamera bei seinem mühseligen Tun beobachtet. In diesem Tempo fortbröselnd wird er noch Tage, wenn nicht Wochen brauchen, denkt man – aber dennoch, eines ist gewiss: „“¦ und es geht, was stand „¦“
Stehen und gehen, nein treffender: zackig still stehen und marschieren, das tun die indischen und pakistanischen Soldaten an der gemeinsamen Grenze, genauer gesagt, am einzigen „Grenzübergang“ zwischen Indien und Pakistan, an einer 3323 Kilometer langen, gemeinsamen Grenze. In operettenhaften, bunten Uniformen, mit breiten schwarzen bzw. orangenfarbenen Fächern auf ihren Helmen bilden diese Grenzsoldaten Personal und Helden eines bi-nationalen Spektakels, das in seiner völkerverständigenden und -trennenden, zirzensischen Qualität sicherlich ein Unikat auf unserem Planeten darstellt. „Wagah“ von Supiro Sen ist ein knapp viertelstündiger Dokumentarfilm, der reich ist an Eindrücken, die auf den Zuschauer, man möge mir die schwelgerischen Attribute nachsehen, beglückend und betörend zugleich wirken. Aus der Sicht eines kleinen indischen Jungens, der seine Familie mit dem Verkauf von Videos ernähren muss, da der Verdienst seines Vaters nur für die Wohnungsmiete und Abzahlung eines Kredits reicht, beobachten wir das feierliche Geschehen an diesem Grenzübergang. Allabendlich werden die Tore des Übergangs unter den Augen von Tausenden feiernden und begeisterten Zuschauern auf beiden Seiten mit großem militärischem Ritual und Brimborium von stolzen Militärs in abgezirkeltem Gehabe geschlossen. Dabei feiern die getrennten Völker jeweils ihre eigene Nation, bedauern aber auch zugleich ihre Trennung von denen jenseits der Grenze, sehnen sich nach der verbindenden Einheit von „ehemals“ zurück. Der Film fängt dieses berauschende „Volksfest“ adäquat ein. lässt die Zeugen vor Ort zu Wort kommen und wirft gleichzeitig in der rahmenden Erzählung des kleinen Jungens über seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse ein prägnantes Schlaglicht auf die sozio-kulturelle Situation der indischen Jugend aus dem „einfachen Volk“. (Helmut Schulzeck)
Weitere Eindrücke vom Kurzfilmabend hier.