60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Panorama Dokumente

Im Kampf für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen

„Fritz Bauer – Tod auf Raten“ (Ilona Ziok, D 2010)

Der Jurist Fritz Bauer (1903-1968) war in der Nachkriegszeit umstritten, wurde angefeindet, aber auch verehrt. Heute ist er einer breiten Öffentlichkeit nicht mehr bekannt, auch wenn es ein Fritz-Bauer-Institut und einen Fritz-Bauer-Preis gibt. Insofern ist es verdienstvoll, dass Ilona Ziok diese wichtige Persönlichkeit der deutschen Justiz und ihre Rolle in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit mit ihrem Film „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ einem größeren Publikum bekannt macht, auch wenn man im Gesamturteil zu ihrer Dokumentation Abstriche machen muss.
Fritz Bauer hatte sich die Verwirklichung der Menschenrechte (er war Mitbegründer der Humanistischen Union, der ersten Bürgerrechtsorganisation in Deutschland nach dem Krieg), die Aufklärung über die NS-Vergangenheit und die Schaffung eines humanen, gerechten Strafwesens zur Lebensaufgabe gemacht. Von Kurt Schumacher gerufen kehrte der aus jüdischen Elternhaus stammende Schwabe als politisch und rassistisch Verfolgter 1949 aus der schwedischen Emigration nach Deutschland in den Justizdienst zurück. Er war zunächst am Oberlandesgericht in Braunschweig tätig und wurde 1956 hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt. Hier bereitete er jahrelang als treibende Kraft den Prozess gegen die Lagerverwaltung von Auschwitz vor, der 1963 im Hauptverfahren eröffnet wurde und als erste große juristische Aufbereitung der NS-Verbrechen in Deutschland zu einem Einschnitt während der restaurativen Adenauerzeit führte.
In immenser Fleißarbeit hat Ilona Zoik Archive nach Filmmaterial durchsucht, Zeitzeugen ausfindig gemacht und vor die Kamera geholt. Dabei lassen uns besonders die Wochenschauaufnahmen zum Ausschwitz-Prozess staunen, mit welch einer Unverfrorenheit die Angeklagten sich gegenseitig schützen und zumeist ihre Schuld bestreiten. Amüsiert bewegen sie sich während der Mittagspause durch die Frankfurter Innenstadt. Bezeichnend für die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit, dass einige Polizisten den Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude salutieren. Noch immer lebten viele NS-Täter unbestraft in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Der Justizapparat war bis in die 60er Jahre hinein an vielen Stellen mit ehemaligen NS-Juristen besetzt. Der Chef von Adenauers Bundeskanzleramt, Hans Globke, war mit Mitverfasser der Nürnberger „Rassengesetze“. Wie sehr es Bauer bewusst war, dass deutschen Behörden nur bedingt zu trauen war, zeigt die Tatsache, dass er sein Wissen über den Aufenthaltsort von Adolf Eichmann in Argentinien lieber an den israelischen Geheimdienst Mossad verriet (was dann zur erfolgreichen Ergreifung und Verurteilung eines der Hauptverantwortlichen des Holocaust führte) als es deutschen Dienststellen mitzuteilen. Er fürchtete Eichmann könnte gewarnt werden.
So lobenswert die thematische Aufarbeitung von Fritz Bauers Lebensleistung ist, so bedauerlich ist andererseits, dass Ilona Zioks Film einige handwerkliche Schwächen enthält. So ist vielfach im Film bei seinen Freunden und ehemaligen Kollegen davon die Rede, wie viele Feinde Fritz Bauer gehabt habe. Schon 1952 erregte er erheblichen Anstoß bei rechtskonservativen Kreisen mit dem Verleumdungsprozess gegen den Nationalsozialisten Otto Ernst Remer, in dessen Verlauf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 vom Vorwurf des Hochverrates rehabilitiert wurden und der NS-Staat erstmals von einem deutschen Gericht als Unrechtsstaat bezeichnet wurde. Bauers Aufsätze wie „Mörder unter uns“ oder „Am Ende die Gaskammer“ provozierten Kritik. Vielleicht ist es ja zu viel verlangt, Helmut Kohl vor die Kamera zu bekommen, der 1962 als junger rheinland-pfälzischer CDU-Fraktionsvorsitzender von seinem Ministerpräsidenten in eine Debatte mit Bauer geschickt wurde. Bauers Aufsatz über die Wurzeln nationalsozialistischen Handelns sollte an den Schulen in Rheinland-Pfalz verteilt werden, was der damalige Kultusminister Eduard Orth unterband. Zu einer Diskussion über den Aufsatz kam an seiner Stelle Kohl, der erklärte, es sei noch zu früh, abschließend über den Nationalsozialismus zu urteilen. Ziok ist es doch auch nicht gelungen, auch nur einen Vertreter der anderen Seite, z.B. einen Verteidiger aus den Ausschwitzprozessen zu befragen. Ob sie es versucht hat, teilt sie im Film nicht mit.
Bauer galt als Einzelgänger und musste vielen Anfeindungen widerstehen. Seine größte Niederlage, war es nach Darstellung des Films, dass durch einen perfiden Trick des Ministerialbeamten Eduard Dreher und durch grenzenlose Dummheit oder Ignoranz aller anderen Beteiligten kurz vor Bauers Tod ein Gesetz verabschiedet wurde, das die meisten der noch lebenden NS-Schuldigen an den Massenmorden straffrei ausgehen ließ. Ihre Taten waren verjährt. Auch hier wurde keiner an dem damaligen Gesetzgebungsverfahren Beteiligten vor der Kamera befragt.
Zwei andere Dinge fallen unangenehm auf. Ziok setzt melodramatisierende Musik ein, die überflüssigerweise Emotionen evozieren soll, wo sie der Betrachter längst schon hat. Und nach Bildern von Ausschwitz Frank Sinatra „I did it my way“ im Abspann singen zu lassen, ist einfach daneben. Zum anderen bedient sich der Film als Aufmacher eines spekulativen Elements, das auch unnötig ist. Fritz Bauer starb 1968 unter ungeklärten Umständen in seiner Badewanne. Es gab erstaunlicherweise keine Obduktion. Ziok konnte der Versuchung nicht widerstehen, Zeitzeugen darüber rätseln zu lassen, ob es vielleicht Selbstmord oder gar Mord war. (Helmut Schulzeck)
„Fritz Bauer – Tod auf Raten“, D 2010, 100 Min., Digitalbeta, Buch und Regie: Ilona Ziok, Kamera: Jacek Blawut, Ton: Manuel Göttsching, Schnitt: Pawel Kocambasi, Dokumentation: Dr. Thymian Bussemer, Förderung: Bundespresseamt, FES-Stiftung, Otto-Brenner-Stiftung, HR-Filmförderung, NRW Filmstiftung.
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