Neuer ästhetischer Trend im Kinospielfilm –
Chancen für Produktion und Förderung
Festivaldirektor Dieter Kosslick, aber auch Alfred Holighaus in seiner neuen Programmsektion “Perspektiven Deutsches Kino” erkannten und nutzten in Zusammenarbeit mit allen an der Programmauswahl Beteiligten Zeichen und Chancen der Zeit.
Ein Möglichkeit, die der Dokumentarfilm schon seit Jahren für sich fruchtbar gemacht hat, und derer das “Forum” auf der Berlinale schon unter den Gregors beständig in seiner Filmauswahl Rechnung trug, kommt nun auch in etlichen Spielfilmen und somit auch im Wettbewerb der Berlinale immer mehr auf die Leinwände.
Die Rede ist vom Einsatz vom Mini-DV-Format bei den Dreharbeiten. Was Lars von Trier und Bo Wiederberg mit ihren Dogma-Filmen “Idioten” und “Das Fest” schon vor ein paar Jahren mit großem Erfolg in Cannes einer überraschten Kino-Öffentlichkeit boten und z. B. Spike Lee für seine auf der vorjährigen Berlinale gezeigte Satire “Bamboozled” (“It’s Showtime”) praktizierte, macht auch immer mehr bei vielen anderen Filmproduktionen mit den verschiedensten filmästhetischen Ansätzen und Resultaten als eine neue Möglichkeit Kinofilme zu drehen immer mehr Schule.
Spike Lee erzählte auf Nachfrage bei der vorjährigen Pressekonferenz auf der Berlinale, dass er für die Produktion seines Filmes die veranschlagten 35 Mio. Dollar nicht zusammenbekommen hatte und er deshalb auf die Aufnahmemöglichkeit mit Mini-DV-Kameras umgestiegen war, um anschließend den fertiggeschnitten Film vom Videoformat ins 35mm-Kinoformat zu übertragen (zu “fazen”). So ließen sich die Produktionskosten auf 20 Mio. Dollar senken, was die Realisation dieses umstrittenen Filmstoffes dann doch ermöglichte.
Eine Nummer kleiner und etwas anders sah die Sache bei der Produktion von Dominik Grafs “Der Felsen” aus, einer der vier deutschen Filme, die heuer im Wettbewerb zu sehen waren. Wenige Wochen vor Drehbeginn wurde Graf mitgeteilt, dass man die veranschlagten 35 Mio. DM Produktionskosten nicht zusammenbekommen hatte. Kurzfristig entschieden er und sein Kameramann sich dann auf Mini-DV-Kameras umzusteigen, passten in Windeseile Geschichte und Aufnahmekonzept den veränderten Bedingungen an, konnten so in letzter Minute die Dreharbeiten zum geplanten Zeitpunkt durchführen und somit den Film retten. Was dabei letztendlich für den Kinobesucher herausgekommen ist, ist eine andere Geschichte, die aber nicht gegen den Einsatz dieser Aufnahmemöglichkeit spricht, sondern nur zeigt, wie wieder einmal eine deutsche Regiegröße mit einem so genannten Kino-Stoff verbaseltes Zeug produziert und uns im Kino Lebenszeit stiehlt. Ein Fernsehfilm von Graf scheint für den Zuschauer allemal lohnender zu sein als solche Leinwand-Elaborate.
Vielversprechendes Format, ansonsten wenig lohnend: Dominik Grafs “Der Felsen”
Doch zurück zum eigentlichen Thema. Was sich mit Mini-DV für den Kinofilm leisten lässt, zeigt “Halbe Treppe” von Andreas Dresen, der mit seinem Film dieses Jahr den Silbernen Bären gewann. Mit spielerischer Leichtigkeit agieren Darsteller und Kamera. Ungekünstelt, dokumentarisch lebensnah und mit überraschenden Fortgang entwickelt sich eine Alltagsgeschichte um zwei Paare in Frankfurt an der Oder. Ein Gewinn fürs Kino, weil die ästhetischen Chancen, die dieses neue Format bietet, von allen Beteiligten souverän genutzt wurden.
Silberner Bär für Andreas Dresens “Halbe Treppe”
Auch “99 Euro-Films” von Mark Schlichter, dem Verantwortlichen vom Filmfestival in Oldenburg in Oldenburg, bietet mit wenigen Abstrichen ein schönes Kinoerlebnis. Ein Dutzend gut gemachter Kurzfilme mit Mini-DV-Kameras für wenig Geld gedreht, von Filmern wie Esther Groneborn, Michael Klier und Martin Waltz realisiert, aber auch von Schauspielern wie Peter Lohmeyer und Nicolette Krebitz, die sich hier erfolgreich hinter der Kamera versuchen. Die niedersächsischen Filmförderung finanzierte anschließend Schnitt und “Fazen” der Kurzfilmrolle auf 35mm. Das Premieren-Publikum der Berlinale im rammelvollen CinemaxX-Kinosaal war begeistert, feierte Regisseure und Darsteller.
Begeisternde Kurzfilme “für lau”: Michael Klier, einer der Regisseure der “99 Euro-Films”
Was im Dokumentarfilmen also, wie gesagt, längst bewährter Alltag ist (prominentes Beispiel auf der Berlinale: Wim Wenders mit seinem neuen Film über die Pop-Gruppe BAP), geschieht jetzt auch immer mehr in Teilen der Spielfilmproduktion. Das heißt dann in der Konsequenz für die Produktion solcher Filme: Auch kleineren Filmförderungen, wie z. B. der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein, eröffnen hier sich zunehmend neue Fördermöglichkeiten und -felder. Kinospielfilme, die im Low-Budget-Bereich anzusiedeln sind, zunehmend sich dennoch einen Platz auf den Leinwänden erobern (siehe “Halbe Treppe” und “99-Euro-Films”), können in Zukunft auch, vielleicht sogar maßgeblich, von den kleinen Förderungen unterstützt werden, natürlich immer noch im Rahmen ihrer eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten.
Im Dokumentarfilm ist Mini-DV schon etabliert – hier Wim Wenders’ BAP-Film
Ein kleines digitales Videoformat, nämlich Mini-DV, wird somit zum Wegbreiter für junge Kinotalente, die sich und ihre Ideen leichter ausprobieren können. Wunderbare Aussichten für Macher, Filmförderungen und Publikum. Man darf gespannt sein, wie es auf diesem Sektor weitergeht.
Helmut Schulzeck