Der norwegische Horrorfilm „Cold Prey“ ist ein besonderer Slasher. Anlässlich der Retrospektive „Schnee – Flockentanz und Frostgestöber“ der 66. Nordischen Filmtage Lübeck wurde der Film erneut im Kino gezeigt.
Berge, klirrende Kälte und bestes Wetter – das sorgt für gute Laune bei einer Gruppe junger Snowboarder*innen, die das Leben fernab von Tourismus oder Zivilisation in der Abgeschiedenheit der Natur genießen wollen. Der Winterspaß wird allerdings jäh gestört, als sich einer von ihnen bei der Abfahrt ein Bein bricht.
So wird in „Cold Prey“ ein abgelegener Ort in den Bergen, der zunächst als ultimativer Ausgangspunkt für Spaß und Entspannung inszeniert wird, plötzlich zur Kulisse einer lebensbedrohlichen Situation. Aufgrund dieses Ausgangsszenarios entwickelt sich eine besondere Spannung, die den Film auszeichnet. Denn in der Abgeschiedenheit scheint es fast unmöglich, den Verletzten zu versorgen oder Hilfe zu finden. Handy-Empfang gibt es keinen, Notfalltelefone oder Rettungssanitäter ebenso wenig. Die Snowboarder*innen sind auf sich allein gestellt. Doch dann entdecken sie unweit der Unfallstelle eine Ansammlung von Häusern, die sich als verlassene Hotelanlage herausstellt. Angetrieben von ihrer Notlage entschließen sie sich kurzerhand dazu, eine Scheibe einzuschlagen und sich Zutritt zu den alten Gemäuern zu verschaffen. Wie üblich für einen Slasher sind die jungen Leute jedoch nicht allein in dem Hotel und so beginnt genretypisch das morbide Jagdspiel.
„Cold Prey“ mag sich vom Handlungskonzept nicht von anderen Slashern abheben oder allzu sehr unterscheiden, dennoch ist dieser Film anders als die meisten Vertreter dieser Gattung. Das liegt zweifellos an der hervorragenden Kameraarbeit von Daniel Voldheim, die dem Publikum das Gefühl vermittelt, zusammen mit den Figuren in den engen Hotelgängen eingepfercht zu sein. Wie von selbst tun sich hier Parallelen zur Inszenierung des Overlook Hotels aus Stanley Kubricks „Shining“ auf. Die Inszenierung des Filmgeschehens spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für den visuellen Genuss von „Cold Prey“. Zunächst wird die Freiheit der jungen Erwachsenen zelebriert, das Publikum wird Zeuge dessen, wie die Figuren das Leben genießen. Ein positives Lebensgefühl überwiegt bis zum Beinbruch, der einen Wendepunkt sowohl für die Handlung als auch in deren Inszenierung darstellt, denn ab hier verwandelt sich der Film in ein cleveres Stalker-Szenario. Aus Landschaftsaufnahmen mit unendlich wirkender Weite werden enge Räume in einem verlassenen und langsam verrottenden Hotel.
Genrekenner*innen werden nach kurzer Zeit wissen, wer Jagd auf die Snowboarder*innen macht und wer von ihnen überleben wird. Dennoch gelingt es „Cold Prey“, eine dichte Atmosphäre aufrechtzuerhalten, weshalb der Film nicht an Spannung verliert. Dies liegt auch an der gelungenen Schauspielführung. Überzeugend stellen die Schauspieler*innen dar, wie sich die Schlinge immer weiter zuzieht, Bedrohung und Angst sich stetig intensivieren. Hinzu kommt, dass sich der Killer perfider Tricks bedient, was den Unterhaltungswert zusätzlich steigert.
Bei „Cold Prey“ handelt sich um ernsten, spannenden und geschickt inszenierten Slasher, der Beute in einer Falle inszeniert. Der Film vermittelt ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, wie es selten ein Slasher geschafft hat. Dabei nimmt sich das Filmgeschehen durchweg ernst und das tut ihm gut. Sei es der Umstand, dass man am Ende alles auf eine Kugel setzen muss, sei es, dass nicht allzu flache Verhältnisse zwischen den Figuren vorherrschen oder sei es die besondere Kameraarbeit, „Cold Prey“ hat trotz eines genretypischen Handlungsverlaufs sehr vieles zu bieten. Obwohl es an einigen Stellen des Filmes sehr blutig zugeht, ist die Altersfreigabe ab 16 Jahren durchaus gerechtfertigt.
Bereits bei der Deutschlandpremiere 2007 auf dem Fantasy Filmfest stach „Cold Prey“ durch seine Qualität heraus. Umso erfreulicher ist es also, dass es dieses Kleinod des europäischen Horrorkinos nach all der Zeit wieder auf ein Festival geschafft hat – diesmal als Teil der Retrospektive „Schnee – Flockentanz und Frostgestöber“ im Programm der 66. Nordischen Filmtage Lübeck. Das Festivalprogramm ist stark von sozio-kulturellen Themen geprägt. Daher fällt „Cold Prey“ darin auf, denn – gemessen an den meisten anderen Programmbeiträgen – lädt der Film eher zu Unterhaltung und Zerstreuung ein. Anders als beispielsweise in Programmtiteln wie „Toxic“ oder „Marias Schweigen“ kann sich hier das Unbehagen entladen. Man könnte auch sagen: Wo andere Werke auf einem Moll-Akkord enden und das Unbehagen aufrechterhalten, bietet „Cold Prey“ ein Ventil und ermöglicht so Katharsis. (Thomas Heuer)
Dieser Text basiert auf einem Artikel, der erstmals 2012 bei mellowdramatix.de erschien und dort nicht mehr verfügbar ist.
Filmografische Daten
„Fritt vilt“ / „Cold Prey – Eiskalter Tod“
NOR 2006, 93 Minuten
Regie: Roar Uthaug
Drehbuch: Thomas Moldestad, Marit Haug, Roar Uthaug
Besetzung: Ingrid Bolsø Berdal (Jannicke), Rolf Kristian Larsen (Morten Tobias), Tomas Alf Larsen (Eirik), Endre Martin Midtstigen (Mikal), Viktoria Winge (Ingunn), Rune Melby (Geir Olav Brath)
Produktionsfirma: Fantefilm Fiksjon AS
Verleih (Festivalkontakt): Norwegian Film Institute (NFI)