Kai Ehlers’ Dokumentarfilm “Freistaat Mittelpunkt” sollte am 9. November 2020 in die Kinos kommen. Das wird wegen des neuerlichen Corona-Lockdowns jetzt leider nichts. Der Kinostart und der Beginn der Kinotour wurde auf den 4. März 2021 verschoben. Auch das zum Film gehörige Online-Archiv wird später veröffentlicht.
Entstanden ist der Film aus einer Begegnung im M.1 der Arthur Boskamp-Stiftung für zeitgenössische Kunst in Schleswig-Holstein, für die Ehlers ein Filmprogramm kuratierte. Im Rahmen einer Vorführung traten eines Abends Christian Meurer, Lothar Pigorsch und Olaf Plotz an Ehlers heran und erzählten ihm von einem Mann, der vielleicht für einen Dokumentarfilm interessant wäre. Der Mann war Ernst Otto Karl Grassmé.
“Freistaat Mittelpunkt” erzählt die Geschichte dieses “Altonaer Bürgermeisters im Exil”. Nach seiner Internierung und Zwangssterilisation durch die Nationalsozialisten und aufgrund der verweigerten Wiedergutmachung in der Bundesrepublik entscheidet er sich für ein Leben im Moor. Von diesem Leben hat Grassmé Zeugnis abgelegt, und die von ihm verfassten Briefe mit ihrem warmherzigen, poetischen aber sprunghaften Schreibstil waren es, die Ehlers neben zahlreichen von ihm fotografierten Porträts von Menschen aus seiner Umgebung besonders berührten. Diese Briefe stehen im Zentrum des Films und erlauben es, Grassmé in seinem Schmerz über das, was ihm angetan wurde, persönlich kennenzulernen, ebenso seinen Kampf um Anerkennung und Wiedergutmachung, aber auch seinen humorvollen Charakter, mit dem er seinen außergewöhnlichen Alltag bestreitet und beschreibt. Über ruhige Aufnahmen der Landschaft, in der Grassmé gelebt hat, schlägt der Film Verbindungslinien zur Gegenwart, und rückt so neben der zeitgeschichtlichen Erforschung eines weiteren Kapitels des NS-Unrechts und der Leugnung und Verdrängung in der jungen BRD aus der Perspektive eines Betroffenen die zeitlose Frage nach Souveränität und Selbstbestimmung in den Fokus.
Begleitet wird der Film durch ein frei zugängliches Online-Archiv, in dem Zeitzeug*innen sowie Fachleute zu den Themen Eugenik und Schizophrenie zu Wort kommen, und Briefe, Akten und Fotografien in chronologisch-thematischen Kapiteln aufbereitet präsentiert werden.
Ehlers wird den Film auf einer Kinotour persönlich begleiten. Bislang stehen Vorführungen in Berlin, Hamburg, Bargteheide, Ratzeburg, Kiel, Rendsburg, Bremen, Oldenburg, Nienburg, Bramsche, Celle, Essen, Wildeshausen, Dortmund, Weinheim, Hemsbach, Regensburg, Hof, Zeil am Main, Bamberg, Gotha, Gera, Jena, Leipzig und Ludwigslust fest.
Dietrich Kuhlbrodt schrieb zu dem Film: “Der Film ergänzt fundamental die trockene, wissenschaftliche, an Akten ausgerichtete zeitgeschichtliche Forschung. Er ist anschaulich, zielt in sowas Anschauliches wie Altbekanntes, nämlich ins Gemüt. Oder anders ausgedrückt: er ist maximal anschauenswert.”
(nach einer Pressemitteilung von Kai Ehlers)