4. Hörspielsymposion an der Eider, 18. bis 20. Mai 2006
Narration – Erzählstrategien im Hörspiel
„Wenn man Geschichten erzählt, geht es nicht darum, daß man wie in einem wissenschaftlichen oder philosophischen Buch sagt, was man nach bestem Wissen und Gewissen für wahr hält, sondern man probiert, welche Gedanken man libidinös vorziehen würde (…), welche Worte, welche Metaphern, welche Geschichten man faszinierender, anziehender findet als andere.“ (Alexander Kluge)
Das Hörspielsymposion an der Eider, das vom 18. bis 20. Mai 2006 zum 4. Mal im Rendsburger Nordkolleg stattfindet (in Kooperation mit der MSH), hat sich zu einem produktiven Forum für den Austausch über Tendenzen und Traditionslinien der Radiokunst entwickelt. Es ist offen für Autoren, Regisseure, Dramaturgen, freie Produzenten und leidenschaftliche Hörspiel-Fans. Die Teilnahme inklusive Übernachtung im Doppelzimmer und Verpflegung kostet 160, ermäßigt (auch für Freiberufler) 120 Euro. Einzelzimmer können gegen einen Aufschlag von 12 Euro pro Nacht reserviert werden. Anmeldung bis 27.4.2006: Nordkolleg Rendsburg, Tel.: 04331-1438-21, Fax: 04331-1438-20, literatur@nordkolleg.de, www.hoerspielsymposion.de.
Erzählen ist ein Handwerk der Verführung und, wenn man Alexander Kluge folgt, eine Kunst der Selbstverführung. Das 4. Hörspielsymposion an der Eider erkundet in Vorträgen, Werkstattgesprächen und Hörspiel-Vorführungen die Regeln dieses Handwerks und die Bedingungen dieser Kunst. Dabei geht es, am Beispiel von Hörspielen und Radiofeatures, von Film, Literatur und Wissenschaft, immer wieder auch um die Frage, was von der Kulturtechnik des Erzählens heute zu halten ist nach avantgardistischen Ausbrüchen aus dem traditionellen Erzählen in der literarischen Moderne (auch und insbesondere im Hörspiel) und nach der viel zitierten „Wiederkehr des Erzählens“ in den letzten Jahren.
Zum Auftakt präsentiert der Wiener Dramatiker und Hörspielmacher Eberhard Petschinka sein Stück „Rafael Sanchez erzählt Spiel mir das Lied vom Tod“ (WDR/MDR/ORF 1998). Ausgehend von Kindheitserinnerungen seines Ko-Autors, des jungen Theatermachers Rafael Sanchez, hat Petschinka eine Art Coming-of-Age-Italo-Western inszeniert, in dem Biografisches und Fiktives eine wilde Mischung eingehen. Das Hörspiel baut auf die Erinnerungen der Zuhörer an den bekannten Kinofilm und bleibt seinerseits vor allem wegen des so versponnen wie authentisch wirkenden Erzählers in Erinnerung (gesprochen von Sanchez selbst).
Gibt es Regeln, die ein Erzähler nur sorgfältig befolgen müsste, um zuverlässig eine bestimmte Wirkung zu erzielen? Diese Idee ist vor allem im Filmgeschäft ziemlich verbreitet. Rudolf Bohne geht der Frage nach, weshalb das so ist, und stellt verschiedene Drehbuch-Schulen vor, die in der Stoffentwicklung für Film und Fernsehen eine Rolle spielen.
Im Radio haben einige Hörspielmacher um 1968 das Erzählen in Frage gestellt. Die Wirklichkeit erschien ihnen zu komplex, um ihr mit den Mitteln des traditionellen Handlungs-Hörspiels gerecht zu werden. Klaus Ramm zeigt in seinem Vortrag anhand zahlreicher Hörbeispiele, wie konkrete und akustische Poesie auf der einen und Dokumentarliteratur auf der anderen Seite die Spielformen der Radiokunst verändert haben.
Klaus Sander ist davon überzeugt, dass es nicht nur Schriftsteller, sondern auch Wissenschaftler gibt, deren Werk erst im Akustischen wirklich zur Geltung kommt. Mit seinem Label supposé will er eine eigenständige Publikationsform für das gesprochene Wort etablieren. In Rendsburg erläutert er anhand von ausgewählten Produktionen sein Konzept der „Audiophilosophie“.
Zwei Werkstattgespräche bieten die Gelegenheit, sich in kleinerer Runde intensiv mit den Erzählstrategien eines einzelnen Stücks auseinanderzusetzen. Ulrich Lampen stellt seine jüngste Regiearbeit vor: „Amoklauf mein Kinderspiel“ (RBB 2006, Ursendung am 2. Juni 2006 um 22.04 Uhr im Kulturradio des RBB) handelt von der Identitätssuche und den Gewaltfantasien einer Nachwende-Generation. Das Hörspiel übersetzt den gleichnamigen Theatertext von Thomas Freyer unter anderem durch Musik und symbolhaft eingesetzte Geräusche in die akustische Dimension. Umgekehrt ist Hermann Bohlen für sein Hörspiel „Gräser fliegen nur noch selten“ (SWR 2005) von einer bereits vorhandenen, erzählenden Musik ausgegangen und hat sie nachträglich um eine Geschichte ergänzt. Im Dialog mit Hörspielmusiken von Karl Sczuka aus den späten 40er und den 50er Jahren entwickelte er ein groteskes Szenario der Flucht aus einem Terror-Regime.
Die Unmöglichkeit, seiner eigenen Geschichte literarisch habhaft zu werden, das ist das Lebensthema des amerikanischen, in Paris geborenen Schriftstellers Raymond Federman, der als Kind den Holocaust überlebte. Ulrich Gerhardt hat Federmans rasanten, sprunghaften und vielstimmigen Roman „Take it or leave it“ als Hörspiel inszeniert (BR 1999). Wie das gelang, erzählt der Regisseur nach der Vorführung des Stücks im Gespräch mit der Publizistin Gaby Hartel, die eine kurze Einführung in Leben und Werk des Autors gibt.
Dass auch das Radiofeature Erzählweisen und einen Autor besitzt, der über seine Form entscheidet, ist klar. Michael Lissek, Featureautor und Regisseur, verdeutlicht in seinem Vortrag „Der Autor als Umschalter und Transformator“, dass jenseits des Formwillens beim Feature eine quecksilbrige, mit Eigenwillen ausgestattete und darum schwer zu fassende Größe ihr eigenes Spiel treibt: das Material.