56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

The Special Edition

„Pat Garrett and Billy The Kid“ (Sam Peckinpah, USA 1973)

Die Berlinale beschloss das Wettbewerbsprogramm mit der HD-Projektion eines echten Klassikers des modernen Films: Sam Peckinpahs „Pat Garrett and Billy The Kid“ mit James Coburn und Kris Kristofferson in den Hauptrollen, lief außer Konkurrenz in einer überarbeiteten Special Edition.

Zwar wurde vor einigen Jahren der „Director’s Cut“ im Rahmen der Retrospektive gezeigt, doch die Special Edition ist als Überarbeitung der bisherigen Kino-Fassung gerechtfertigt und ein Vergleich der beiden Versionen interessant. Die HD-Projektion enttäuscht etwas, denn feine Texturen (Wolken, raue Wände, grobe Textilien) werden nicht deutlich genug abgebildet. Leider stammt wohl auch das Ausgangsmaterial für den Neuschnitt und die Digitalisierung des Films aus unterschiedlichen Quellen, Farb- und Kontrastunterschiede fallen ins Auge. Es handelt sich bei der Special Edition eher um eine neue Schnittfassung als um eine Restaurierung des Films. Letztere ist natürlich teuer, zumindest wenn man sie optimal durchführen will. Denn sofern irgend möglich, sollten Restaurierungen zunächst auf fotochemischer Ebene durchgeführt werden, bevor nach der Digitalisierung der Film rechnergestützt „bereinigt“ wird. Jeder Arbeitsprozess hat seine Vorteile, doch kann der Computer schwer etwas hervorzaubern, was das Filmmaterial nicht mehr hergibt.

Regisseur Sam Peckinpah beim Dreh und mit James Coburn (unten) (Fotos: Pressematerial)

Auch wenn das Screening augenfällig nah an der Veröffentlichung der Special Edition auf DVD liegt, ist die Wahl als Abschlussfilm eine glückliche. Sam Peckinpah ist einer der wichtigsten amerikanischen Filmemacher, in seiner Rolle als Mittler zwischen dem klassischen Hollywood-Film und „New Hollywood“ immer noch unterschätzt. Anfang der 50er Jahre begann seine Karriere beim Fernsehen, er schrieb z.B. zahlreiche Episoden der erfolgreichen Western-Serie „Gunsmoke“ („Rauchende Colts“), unter Don Siegel arbeitete Peckinpah auch als Dialogue Director. Nach mehreren produzierten Langfilm-Drehbüchern konnte Peckinpah Anfang der 60er dann selbst Regie führen. In „Ride the High Country“ etablierte Peckinpah bereits die Themen, die in vielen seiner Filme bestimmend sein sollten: Es geht ihm um Männer, die sich in einer veränderten, meist amoralischen Zeit zurechtfinden und zwischen Freundschaft, Loyalität oder Verrat entscheiden müssen. Peckinpah stand häufig unter dem Vorwurf, ein Regisseur der extremen Gewalt zu sein. Tatsächlich ist er eher ein Romantiker, der für eine von Gewalt bestimmte Welt visuell überwältigende Bilder gefunden hat, aber auf dramatischer Ebene immer um einen Humanismus ringt, der auch in den existenziellsten Situationen das Handeln seiner Helden bestimmt. Peckinpah hat aber nicht nur das Erbe Hollywoods in eine neue Zeit transferiert, sondern auch einen originären visuellen Stil kreiert, der Filmemacher von John Woo bis Quentin Tarantino beeinflusste, in seiner dramatischen Intensität aber nie erreicht wurde. Auf bisher nicht gekannte Weise setzte Peckinpah Slow Motion, Parallelmontage und Freeze Frames ein, meist um Action derart zu überhöhen, dass sie gleichzeitig intensiviert und durch die kunstvolle Montage relativiert wurde.

Kris Kristofferson und James Coburn in „Pat Garrett and Billy The Kid“ (Foto: Pressematerial)

Auf eine Inhaltsangabe zu „Pat Garrett and Billy The Kid“ kann an dieser Stelle verzichtet werden. Dem Film wird eine Vietnam- und Nixon-Kritik nachgesagt und tatsächlich hat Peckinpah demokratische Politiker aktiv unterstützt. Die Geschichte um die beiden ehemalige Freunde und Outlaws, die sich nun als Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher gegenüberstehen, ist aber sicher zu archaisch, um sich eins zu eins auf den Vietnam-Konflikt und die politische Situation in den USA Anfang der 70er umdeuten zu lassen.

Wie bereits bei den vorherigen Filmen „Mayor Dundee“ (1965) und Peckinpahs Meisterwerk „The Wild Bunch“ (1968) kam auch „Pat Garrett and Billy The Kid“ nicht in der Final-Cut-Version des Regisseurs in die Kinos. Anders jedoch als bei „The Wild Bunch“ (der als Director’s Cut vor einigen Jahren wiederveröffentlicht wurde) konnte Peckinpah nie einen Director’s Cut von „Pat Garrett and Billy The Kid“ vollenden. Die als erste gezeigte, unter Zeitdruck entstandene Preview-Version mit 122 Minuten Länge wurde 1993 von MGM/UA und Turner zwar als Director’s Cut auf Laserdisc veröffentlicht, doch sie entspricht mit Sicherheit nicht den Vorstellungen Peckinpahs vom fertigen Film. Die Kino-Version mit zunächst 90, später 106 Minuten Länge, ist zwar besser geschnitten, enthält aber etliche Szenen nicht, die für den Film essentiell sind. Filmrestaurator und Cutter Paul Seydor hat deshalb für die Special Edition folgerichtig die besser geschnittenen Szenen der Theatrical Version mit den fehlenden Szenen aus der Preview Version (also dem vermeintlichen Director’s Cut) kombiniert und damit eine Fassung geschaffen, die Sam Peckinpahs Vorstellung am nächsten kommen dürfte. Zu den ergänzten Szenen gehören der Prolog, der ca. 30 Jahre nach der Haupthandlung den Verrat an Pat Garrett und seine Erschießung zeigt, sowie einige Szenen zwischen Pat Garrett und seiner Frau, den Besuch auf der Chisum Ranch und eine verlängerte Fassung von Garretts Bordellbesuch. Seydour verließ sich beim Neuschnitt des Films nicht nur auf seine intime Kenntnis von Peckinpahs Leben und Werk. Regisseur Roger Spottiswood arbeitete unter Peckinpah als Cutter und stand Seydor nun bei der Überarbeitung mit Rat zur Seite. So flog auch eine Szene, in der weder Garret noch Billy eine Rolle spielen, aus der Fassung, denn diese hatte Peckinpah nach Spottiswoods Bekunden nur integriert, um sie beim Feilschen mit den Produzenten um die Lauflänge des Films problemlos opfern zu können. Bob Dylans Song „Knockin On Heaven’s Door“, läuft in der Preview Version nur als Instrumental, angeblich konnte Peckinpah die Lyrics nicht leiden. Doch schon in der Theatrical Version, und jetzt auch in der Special Edition, ist der Song mit den Lyrics zu hören. Die Szene mit dem sterbenden Slim Pickens gewinnt nochmal an Emotion. Eine gute Entscheidung, die Peckinpah wohl gegen seinen ersten Eindruck getroffen hatte. Die Special Edition endet nicht wie die Preview Version mit der Klammer der Erschießung Garretts am Anfang des Films, sondern mit einem Freeze Frame von Garretts Gesicht nachdem er seinem einzigen Freund Billy The Kid erschossen hat. Ein kleiner Junge wirft mit Steinen nach ihm und wendet sich dann von ihm ab. Einsamer ist nie ein Cowboy in den Sonnenuntergang geritten. (dakro)

 

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