56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006
Persönlicher Blick hinter die Doping-Kulisse
„Katharina Bullin – Und ich dachte ich wär’ die Größte“ (Marcus Welsch, D 2005)
„Das war wie beim Militär“, „ich war ein Versuchskaninchen“, erinnert sich Katharina Bullin an den Drill im Trainingslager. 1980 gewann sie mit der DDR-Volleyball-Nationalmannschaft eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Moskau und galt in der DDR als Ausnahmesportlerin – nicht ohne „leistungssteigernde Hilfsmittel“, wie sie aber erst später erfuhr. Denn zum Staatsplan 14.25 gehörte nicht nur die Verabreichung von Anabolika an DDR-AthletInnen, sondern auch es diesen zu verheimlichen. Harmlos seien die Mittelchen, die sie nehmen musste, wurde Katharina Bullin immer wieder gesagt, heute ist sie eine Sportinvalidin „mit ständigem Schmerzpotenzial“.
Training gegen das „ständige Schmerzpotenzial“: Katharina Bullin (Foto: Berlinale)
Zwar erzählt Marcus Welschs Dokumentarfilm Bullins Doping-Geschichte sehr genau und lässt so auch Rückschlüsse auf die kriminellen Machenschaften von Trainern und Sportärzten in der DDR zu, doch wie Welsch auch im Interview nach der Filmvorführung sagt, wollte er „keinen Anklagefilm machen“ über eines der noch immer wenig aufgearbeiteten Kapitel der DDR-Geschichte. Was ihn interessierte, war eher die Person Katharina Bullin, ihr Weg aus der DDR-Sportelite durch das tiefe Tal von Depression und Alkoholismus hin zu einer heute aktiven Auseinandersetzung mit ihrer durch das Doping verursachten Krankheit. Sichtbar wird so eine Person, die zwar mit Leib und Seele Sportlerin war und auch noch immer „sportverrückt“ ist, aber dies eben nur auch. Bullin wurde zum Opfer eine industrialisierten Erzeugung von Sport-Helden, die als „Diplomaten im Trainingsanzug“ beweisen sollten, dass der Sozialismus das bessere, weil leistungsstärkere System ist. Aber sie wurde auch zum Opfer ihres eigenen (Größen-) Wahns, „immer kämpfen zu müssen“. „Kollateralnutzen“ solches selbstzerstörerischen Kampfeswillens ist freilich, dass sie heute mit ebensolcher Energie gegen die Spätfolgen des Dopings ankämpft. Eine unbeugsame Frau, die durch die Anabolika aussieht wie ein Mann, sitzt da vor der Kamera und spricht freimütig über ihre „Unbefangenheit damals“ und auch die tiefen Fälle danach. Eine starke Frau, nicht der Muskeln wegen, sondern wegen ihres Willens sich ihrer Geschichte zu stellen.
Und eine Sympathin. So bestürzend Bullin etwa davon erzählt, wie sie trotz eines Knochenbruchs im Fuß vermittels eines Spezialgipses weiter zu Höchstleistungen angespornt und ausgenutzt wurde, so komödiantisch weiß sie zu von einer Autopanne zu berichten, bei der sie und eine Trainingskollegin, beide gehandicapt durch Sportverletzungen, einen Trabbi wieder flott machten.
Geschichte als persönliche, den Zuschauer auch in einem Dokumentarfilm berührende zu erzählen ist eines der großen Potenziale des Mediums Film. Marcus Welsch vertraut diesem Potenzial der Bilder und sein Verzicht auf das sicher zu große Unternehmen, die Doping-Geschichte der DDR aufzuarbeiten, erweist sich als besondere Stärke des Films. Nicht nur, weil Katharina Bullin ihren Ärzten von damals nicht mehr begegnen will, zu groß sind die auch seelischen Verletzungen, hat Welsch auf ein „journalistisches“ Verfahren verzichtet, auch die andere Seite zu hören. Die Doping-Ärzte vor die Kamera zu bringen, das wäre in der Tat „eine andere Geschichte“ geworden. Hier erzählt er die eine und einzigartige der Katharina Bullin, auch wenn die exemplarisch sein mag für viele andere Opfer eines menschenverachtenden Systems, jugendlichen sportlichen Elan mit buchstäblich allen Mitteln für die Staatsräson einzuspannen. (jm)
Katharina Bullin – Und ich dachte ich wär’ die Größte, D 2005, 79 Min., Regie: Marcus Welsch