JazzBaltica 2005:
Von Drums und Dreams
Gipfeltreffen von Perkussion und Piano bei der JazzBaltica in Salzau.
Interferenzen zeigen die Wellenmuster, die als psychedelische Lightshow über der Bühne der Konzertscheune in Salzau projiziert werden. Ein treffendes Bild für die Verschränkung von Perkussion und Piano, die schon am Freitagabend mit der „Special Reunion“ von Chick Corea und Roy Haynes einen traumhaften Höhepunkt des diesjährigen JazzBaltica-Mottos „on drums“ feierte.
Chick Coreas feingliedrige Fingerarbeit beschränkt sich dabei nicht nur auf die Tasten. Dass er dem Piano ins Innerste greift, um dessen Saiten in sphärisch gezupftem Harfenhabit erklingen zu lassen, darf man auch symbolisch sehen für eine Duo-Arbeit, die an den Grenzen des Tons seine perkussiven Qualitäten entdeckt und umgekehrt dem rhythmischen Uhrwerk Roy Haynes‘ thematische Kräfte verleiht. Klöppel und Klavier erscheinen hier nicht als gegensätzliche Akteure, sondern als Rollen ein und derselben schillernden Jazz-Medaille. Spieluhr meets Sticks, Sound meets Beat – eine Reunion, die man nicht nur im konzertanten Akt zweier Großmeister als richtungsweisend lesen und hören kann.
Auch für den Nachwuchs von [em], der sich hernach in der Kleinen Scheune trifft, um weiter vor-, nicht nur nachzueifern. Mit Michael Wollny (p), Eva Kruse (b) und Eric Schaefer (dr) hat sich ein Trio eingefunden, das weiße Landkarten in den Soundscapes des experimentellen Jazz mit Wegmarken versieht. Ein Kleinod, bei dem man sich fragt, warum die Kleine Scheune zwar gut gefüllt, aber nicht ausverkauft ist.
Jene „Fountain of Youth“ und die inspirierend interferente Kraft der Drums als Motor für Melodik hatte wohl auch Roy Haynes im Sinn, als er sich mit den New Yorker Enkeln Marcus Strickland (s), Martin Bejerano (p) und John Sullivan (b) zusammentat. Am Sonnabend ist solche Opulenz on drums mit immer noch einem verzierenden Off-Beat im Off-Off-Beat gleichsam die Conclusio des Nachmittagsprogramms. Haynes im Worker’s Outfit, 80 und dennoch jünger, unbedingter wirkend als seine Jünger, die zuweilen staunend einfach neben ihm stehen.
Vorgelegt hatte Brian Blades „Fellowship“, eine Liaison aus Hardbop und marshmellowig flügelschlagender Melodik der Saxofone und sonor grübelnder Bassklarinette von Myron Walder und Melvin Butler. Jon Cowherds Piano nicht zu vergessen, das sich heraus nimmt, Blades Beckenflüstereien zu enervieren, etwa beim träumerisch dekonstruierten Schmachter „Moonriver“. Gleichwohl, all das klingt immer irgendwie nach „Bop goes hot“, verlässt dessen kleinteilige Coolness zugunsten warmherzigen Spannens großer Bögen. Eine erfrischend andere Färbung von Traum und Trommel mischt Trilok Gurtu an. Auch wenn sein Gipfeltreffen-Partner Dominic Miller ausfällt, weil er mit Sting bei Live Aid spielt, mit Lars Danielssons lyrischem Bass ist Gurtus ethnophile Perkussion noch besser bedient. Mantraartig vertieft sich der indische Drummer in rhythmische Loops, für die er nicht nur die Sticks, sondern auch Zunge und Lippen bemüht. Ein „Indisches Allerlei“, in dessen Claps das Publikum willig einfällt wie in die säuselnden Melodien, die Gast-Trompeter Nils Petter Molvær sphärisch verhimmelt. Perkussion ebenso psychedelisch ethnisch wie polygonal geometrisch, eine East-meets-West-Interferenz, die „on drums“ als „on dreams“ interpretiert.
Womit die dreamscapes der Balladenkunst des Joe Lovano Quartets vorgezeichnet sind. Mit Hank Jones sitzt dabei ein Lyriker am Piano, der Lovanos laszivem Gebläse platonische Strenge entgegensetzt. Wohlgemerkt, das muss man können: Poetisch sein und dennoch in der Höhle des akkordischen Gleichnisses bleiben. Eine Ungeduld des Herzens, die in wohlgezirkelte Adern pumpt, was Lovano an Ballade um Ballade vorgibt. Nach dem vielschichtig aufregenden Sonnabendnachmittag mutet solcher Einstieg in den Abend old-fashioned an, manchmal gar banal.
Aber er ist nur das weichmacherische Präludium zum Perkussion-Piano-Gipfeltreffen Nummer Zwei. Wo Corea und Haynes 24 Stunden vorher schon auf dem Gipfel waren, stürmen diesen Jack DeJohnette und eine außergewöhnliche „Hungarian Piano Family“ erneut. Die Sinti-Roma-Pianisten Szakcsi, Bela senior, Bela junior und Róbert, ergänzt um Kalman Olah, hatte DeJohnette 2003 entdeckt, als er zu einem Drummer-Wettbewerb in Budapest weilte. Nun sind die Ungarn an seiner Seite und besonders mit dem kristallklaren Skalenkünstler Róbert Szakcsi Lakatos liefert sich DeJohnette, der meist als zurückhaltender Begleiter seine Highhats streichelt, einen Zweikampf zwischen Perkussion und Piano, der Corea/Haynes wenn nicht toppt, so doch in den Schatten stellt. Eine Präzisionspoesie, die Membran und Saite den roten Faden „Drum meets Dream“ weiterspinnen lässt. (jm)