46. Nordische Filmtage Lübeck

Von Beruf Filmheld

„Harry Piel – Der Entfesselte“ von Gerald Koll

Er war ein Selfmademan, Tausendsassa und „Einzelkämpfer aus Leidenschaft“, er war berühmt bis hin zu dekorativen Büsten für den Kaminsims und die Frauen verzehrten sich nach dem Filmstar. Und dennoch, trotz seiner über 100 Filme, die er in den 20er und 30er Jahren am laufenden Band schrieb, produzierte und dabei selbst vor und hinter der Kamera zugleich stand – Harry Piel ist heute so gut wie vergessen.

Stechender Blick …

… und Action pur – Harry Piel

Der Kieler Autor und Regisseur Gerald Koll hat „Harry Piel – den Entfesselten“ nun wieder ausgegraben und ihn in einem 15-minütigen Porträt (im Auftrag des ZDF und in Zusamenarbeit mit Arte und KirchMedia) vorgestellt. Genauer: Er lässt Piel sich selbst vorstellen. Bis auf wenige Stills von Filmzeitschrift-Titeln und der berühmten Piel-Büste für den Hausgebrauch verwendet Koll ausschließlich Material aus Piel-Filmen. Und das äußerst raffiniert. Piel – ohnehin ein Selbstdarsteller par excellence, seine Filmhelden, die er selbst darstellte, trugen fast stets den Vornamen „Harry“ – wird so sichtbar als eine Person, die in und hinter ihren Filmen verschwand, nur für diese und in ihnen lebte. Ein Besessener, ein selbsternannter Held von Beruf und aus Berufung, ein Entfesselter. So erzählt uns Koll gleich zu Beginn die Katastrofe, mit der Piels umfangreiches Filmschaffen vom Abenteuerschinken bis zum Science Fiction endete: Bei einem Bombenangriff auf Berlin verbrannte 1944 fast sein gesamtes Archiv nebst einem Großteil der Negative. Tragisch – und dargestellt von Piel selbst, denn Entsetzte, die auf ein brennendes Haus zulaufen, derlei fand sich problemlos im überlieferten Pielschen Material.

Piels Biografie, imgrunde selbst ein Film, erzählt der Off-Ton in knapp zugespitzten und zuweilen wortspielerischen Sätzen und tritt dabei in Dialog mit den Filmschnippseln, die Koll in eben der rasanten Action montiert, wie sie den Piel-Filmen eigen ist. Was der Off-Sprecher fragt, beantwortet Piel in den Ausschnitten und umgekehrt. Die Montage ist dabei so geschickt gewoben, dass das disparate Material Piels Geschichte schlüssig erzählt, inklusive dramatischer Spielfilmelemente wie Vor- und Rückblenden.

Koll kommt Piel so mit dessen ureigenen filmischen Mitteln nahe, zeigt den Film-Helden als jemanden, der sein Leben und geradezu manisches Filmschaffen als Film inszenierte – manchmal mit verschmitzter Selbstironie im chamäleonhaften Changieren zwischen Filmfigur und real existierendem „Popstar“. Dabei schaut Koll auch in die filmische Trickkiste des naiv technik-begeisterten Piel, entdeckt schlecht retuschierte Halteseile, die den Helden im freien Fall tragen, und wie man hoch gespannte Actionszenen zum Beispiel im Rückwärtsdreh gefahrlos aufs Zelluloid bannen kann.

Und noch auf einer weiteren Ebene nähert sich Koll durch die Art der Montage seinem „Helden“. Sein Blick ist der des detektivischen Cineasten und damit dem Blick des Harry Piel auf sich und seine Filmwelten nicht unähnlich – Porträtierender und Porträtierter reichen sich da manche Hand zum imaginären Gruß unter Gleichgesinnten. (jm)

„Harry Piel – Der Entfesselte“, D 2004, 15 Min., Buch, Regie: Gerald Koll, Produktion, Schnitt: René Perraudin. Der Film läuft im Filmforum Schleswig-Holstein der Nordischen Filmtage im Kurzfilmprogramm (Sa, 6. Nov., ab 22.45 Uhr).

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