JazzBaltica 2004: Cæcilie Norby und Silje Nergaard – nordische Stimmen auf Popkurs
Aufgepoppter Jazz
Wo Dianne Reeves, Artist in Residence bei der JazzBaltica 2004, und die italienische Swingröhre Roberta Gambarini dem traditionellen Jazzgesang neue Facetten verleihen, aber den Pfad des Swing nie verlassen, zeigten bei JazzBaltica zwei Frauen, dass aus dem Norden Innovationen kommen.
Cæcilie Norby ist bei JazzBaltica zwar schon eine „alte Häsin“, dennoch wirkte ihr den Festival-Freitag eröffnender „Girl Talk“ frisch und unverbraucht. Ihre Stimme spielt charaktervoll mit unterschiedlichen Timbres zwischen klarer Melodieführung und hauchig gebrochenem Raunen. Das JazzBaltica-Ensemble unter der Leitung und arrangiert von Lars Danielsson unterstützt sie bei solchen Ausflügen in die schillernden Stimmwelten avancierten Pops mit stellenweise dem Jazz (noch?) fremden Sounds. Aus dem Sampler zwitschert Atmosphärisches von Vogelstimmen bis zu Dschungelzirpen. Abseits vom Groove entstehen so Klanggemälde, Programmmusik im besseren Sinne des Wortes. Besonders Balladen ist die Dänin zugetan. Wenn aus gestopften Bläsern Streicheleinheiten hauchen, fühlt sie sich ganz in ihrem Element, blüht auf beim Schleichen durch bluesige Wispereien. Und dennoch ist sie keine Leisetreterin. Dass ihre Stimme voluminös werden kann, zeigt sie besonders im konzertanten Wettstreit mit dem Orchester, wenn ihre Scats sich beschleunigen und perkussive Qualitäten entwickeln.
Die Jazz-Lady … (Cæcilie Norby) (Foto: SHMF)
Norby ist dabei noch ganz Jazz-Lady, anders als ihre norwegische Kollegin Silje Nergaard, die fast genau 24 Stunden später zum Mikro greift. Als „mädchenhaft“ beschreibt die Kritik ihre Stimme nicht ohne Naserümpfen. Und in der Tat denkt man bei ihr oft an Pop-Diven wie Dido oder – in größerer Nähe zum Jazz – an Norah Jones. Nicht die alten schwarzen Ladies sind ihre Stichwortgeber, sondern schon im zweiten Song Sting, den sie erklärtermaßen bewundert. Sündig-süß tropft es dabei aus Tord Gustavsens Fender-Piano. Nicht anders bei David Bowies „This Is Not America“, womit Nergaard eine zweite Pop-Ikone zitiert – und ihr den Jazz einhaucht. Zwar verabschiedet sich Silje Nergaard überzeugender, weil konsequenter als Cæcilie Norby vom Jazz und hat noch weniger Berührungsängste mit rein poppigen Balladen wie „I Don’t Wanna See You Cry“, womit sie 1999 als Songwriterin – nicht als Jazzsängerin – preisgekrönt wurde. Aber doch spielen ihre Pop-Avancen immer wieder mit jazzigen Elementen, adeln das Gefällige des Pops mit mancher Bluenote-Grübelei.
… und das Pop-Girl (Silje Nergaard) (Foto: SHMF)
So mag man sich gerade bei Silje Nergaard der Frage, ob das „noch Jazz“ sei, nicht aussetzen. Denn es ist „schon wieder Jazz“. Dem singt der Ausflug ins Pop-Land nicht etwa einen Schwanengesang, sondern poppt ihn auf wie bei einer Frischzellenkur. Und vielleicht können das eben nur „Mädchen“ leisten, nicht die „großen alten Damen“. (gls)