JazzBaltica 2004: Jason Moran Trio
Nocturnes zum Morgenrot
Bevor Jason Moran mit tief in die Stirn gezogenem Hut und so schulterhochgezogen wie einst Glenn Gould – der Schrecken aller Klavierlehrer, die gute Körperhaltung an den Tasten predigen – in dieselben greift, jagen Sample-Kaskaden durch die Lautsprecher. Vom frühen Hiphop à la De la Soul, als dieser noch aus dem Jazz geborene Avantgarde war, haben Moran und seine Kombattanten das gelernt. Taurus Mateens Bass klingt ohnehin wie eine beständig beschleunigte Beatbox und Nasheet Waits wirbelt an den Drums wie ein Techno-Schläger Detroiter Herkunft.
“Alte Dinge mit neuen Ideen zusammenbringen” will der Pianist Jason Moran laut Zitat im JazzBaltica-Programmheft. Dass das Neue dabei auch schon Altersflecken zeigt, nämlich die hiphoppenden 90er reminisziert, passt dazu, dass der Klavierrevolutionär ganz ohne revolutionäre Attitüde beim Alten gleich anderthalb Jahrhunderte zurück geht. Seine Soli erinnern in Vielem an Chopin-Etüden, an toccatenhaft frei assoziierte Nocturnes. “Jazzmusic is to be played sweetly”, dekretiert es aus dem Sampler. Soweit Chopin, soweit so besser mündet die Süße in einen krachenden Boogie. Auch sehr alt, aber auf solche Art wiedergeboren doch ungemein modern – wenn nicht postmodern.
Klavierrevolutionär ohne revolutionäre Attitüde: Jason Moran (Foto: SHMF)
Jason Moran orientiert sich an Jazzpiano-Größen wie Thelonious Monk oder McCoy Tyner. Das mag retro erscheinen, ist es auch in vielen hardbop-gesättigten Figuren, und doch kreischt aus den Nocturnes solcher Abgesänge der Bocksgesang eines Morgenrots. Der Jazz wird neu motorisiert, mal wütend, mal ekstatisch, dann wieder preludenhaft nachdenklich. Von der Bühne rollt eine Klangwalze aus grollendem Bass und berserkernden Drums, die mit der Tempobezeichnung prestissimo nur ungenügend beschrieben ist. Es ist halt Jazz und dort wird selbst ein chopinsches Allegro molto alla breve durchgehämmert.
Die drei Musiker verschmelzen in der Raserei, die Soli sind keine solchen, sondern lediglich eine Akzentverschiebung im gemeinsamen Wettlauf um das Blaue Band der schnellsten Stückdurchquerung. Am Ende bleibt Staunen über solchen Kraftakt und den wohl ungewöhnlichsten JazzBaltica-Gig – nebst der Erkenntnis, dass die jüngste Morgenröte im Jazz nur durch solche Danteschen Infernos des guten Alten wie des nur vermeintlich besseren Neuen glühen kann. (jm)