Neue Dokumentation „Die Soldaten mit dem halben Stern“
Erst im Alter von zwanzig Jahren erfährt der Texaner Bryan Mark Rigg, dass seine Familie deutsch-jüdischer Herkunft ist. Der Student der Geschichte will mehr darüber wissen und macht sich spontan auf den Weg nach Deutschland. Um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, sieht er sich in Berlin den Film „Hitlerjunge Salomon“ an und lernt dabei zufällig einen Mann kennen, der das Unwahrscheinliche der Filmgeschichte bestätigt: In der Armee des deutschen Diktators gab es tatsächlich Juden und zahlreiche so genannte „jüdische Mischlinge“ – die, teils unerkannt, teils offen oder mit Billigung des „Führers“ und zu diesem Zweck sogar „arisiert“, an der Front kämpften. Der junge Historiker ist überrascht. Er verfolgt die Spur …
In der Film-Dokumentation „Die Soldaten mit dem halben Stern“ wird nacherzählt, wie Bryan Mark Rigg sein Thema 1992 in Deutschland findet und mehrere Jahre lang recherchiert. Wie er mit Rucksack und Fahrrad durchs Land zieht und von fremden Menschen ihre – oft bis dahin verheimlichte und von niemandem erfragte – Biografie erfährt, wie ihm Berge von Beweismaterial übergeben werden – Briefe, Tagebücher, Auszeichnungen, „Deutschblütigkeitserklärungen“ – die er nach seiner Promotion über dieses Thema zu einem Buch der „unerzählten Geschichte“ zusammenstellte.
Nachgestellte Szene aus „Die Soldaten mit dem halben Stern“ – Nazi-Pogrome gegen jüdische Geschäfte
Zehn Jahre später hat die Hamburger Filmemacherin Heike Mundzeck (Buch und Regie) den Faden aufgenommen und elf ausgewählte Zeitzeugen aus Riggs inzwischen auch in Deutschland erschienenem Buch „Hitlers jüdische Soldaten“ (Schöningh Verlag) befragt. Es sind zumeist so genannte „Mischlinge“, also „Halbjuden“ oder „Vierteljuden“, wie sie in der Naziterminologie heißen. Sie geben Auskunft über ihr Schicksal, das oft außergewöhnlich und spannend ist, berichten von kränkenden Jugenderlebnissen, von Angst und Stolz, Mut und Demütigung in der „Wehrmacht“, von ständiger Bedrohung durch Entdeckung und selbstbewusstem Nationalstolz. Und von Erlebnissen mit nicht-jüdischen Kameraden und Vorgesetzten, vom Kampfgeschehen und von Judenmisshandlungen, von Beförderung, Flucht und Entlassung. Die Lebensgeschichten sind anrührend und oft verblüffend und werfen ein beeindruckendes Licht auf ein von deutschen Historikern bisher kaum beachtetes Kapitel des Rassenwahns im Nationalsozialismus. Anhand einer Vielzahl von Dokumenten und Fotos wird zudem auf die weithin unbekannte Praxis der „Arisierung“ von Soldaten jüdischer Herkunft durch Hitler als Oberbefehlshaber der „Wehrmacht“ eingegangen.
Die Mehrzahl der so genannten „Mischlinge“ war getauft oder säkularisiert und fühlte sich nicht mehr „jüdisch“. Das erklärt, warum viele von ihnen die Situation, in der sie sich befanden, oft zunächst nicht realistisch einschätzten. Sie glaubten, durch Patriotismus und Tapferkeit beweisen zu können, dass sie keine „schlechteren Deutschen“ seien als ihre „arischen“ Kameraden. Und dass sie sich und ihre Verwandten vor rassischer Verfolgung und Vernichtung durch den Dienst in der „Wehrmacht“ schützen könnten. Deshalb geht der Film auch auf die Geschichte der jüdischen Emanzipation im Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ein. Sie wird anhand von Dokumenten, Bildern und Familienchroniken sowie einigen kurzen Spielszenen erzählt und zeigt, dass die militärische Karriere beim Integrationsprozess schon hundert Jahre zuvor eine wesentliche Rolle spielte.
Der mit Mitteln der Filmstiftungen Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (MSH) geförderte Film ist eine Eigenproduktion der Frank A. Thomas Film & TV-Produktions GmbH und entstand in Zusammenarbeit mit Trigon Film und der Redaktion Gesellschaft und Dokumentation des Westdeutschen Rundfunks (Beate Schlanstein). Die Kamera führte Rupert Lehmann, Köln. Der Film wird in einer Kinofassung (90 Minuten) und in einer Fernsehfassung (2 x 45 Minuten) zu sehen sein. Die Kinofassung hatte kürzlich Premiere. (Heike Mundzeck)