65. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2015

Geschworene Jungfrauen in Albanien

„Haki-Hakie. Ein Leben als Mann“ (Anabela Angelovska, D 2015)

„Schon als Kind wollte ich lieber mit den Jungs spielen. Mit den Mädchen konnte ich nichts anfangen, die schienen mir zu unselbstständig und machten immer, was ihnen gesagt wurde.“ Die das sagt, ist selbst eine geschlechtliche Frau: Hakie hat sich in jungen Jahren entschieden als so genannte „geschworene Jungfrau“ das Leben eines Mannes zu führen. Hakie, oder Haki wie sie von vielen in der männlichen Form angeredet wird, ist eine von vielen „Burrnesha“ in Albanien: Frauen, die eine Art institutionalisierten Geschlechterrollentausch vollzogen haben.
Regisseurin Anabela Angelovska bringt uns die 71-jährige Hakie in einem knapp halbstündigem Portrait nahe, versetzt dabei Bilder von der alltäglichen Feld- und Hausarbeit mit Hakies eigenen Kommentaren zu ihrem selbstgewählten Leben als Mann. In Albanien und dem Kosovo ist dieser mehr oder minder freiwillige Rollentausch unter Verzicht auf eine ausgelebte Sexualität auf Lebenszeit nicht ungewöhnlich: In Hakies Gegend leben wohl ein Dutzend Burrneshas. Ob die Entscheidung, das Leben eines Mannes zu führen, eher einer freiwilligen geschlechtlichen Neigung folgt, oder der scheinbaren, sozialen Notwendigkeit, zumindest einen „Mann“ bei rein weiblichen Nachkommenschaft für die Versorgung der Familie aufzuziehen, wurde im Anschluss an den Film lebhaft diskutiert. Das ungewöhnliche „Modell“ der Burrneshas erregte bereits internationale mediale Aufmerksamkeit. Angelovska und ihr Team waren bei weitem nicht die Ersten, die über Hakie berichteten. Hakie ist inzwischen dem Interesse an ihrer Person eher überdrüssig, oder steht ihr zumindest mit einer gesunden Portion Misstrauen gegenüber. Angelovska dokumentiert Hakies Selbst- und Medienreflexion als Teil einer in mehrfacher Hinsicht selbstbewussten und kritischen Persönlichkeit.
Hakie geniesst zwar alle Freiheiten, die eine patriarchalische Gesellschaft einem Mann gewährt. Doch während sie ihren „männlichen Pflichten“ nachkommt, die greisen Eltern pflegt, den geerbten Hof bewirtschaftet und so sich obendrein um das muslimisch-christliche Gebetshaus kümmert, bleibt ihr selbst die Versorgung durch eigene Kinder versagt. Vielleicht doch nur ein Modell, das durch scheinbare Liberalität mit archaischem Anstrich fasziniert? Die Burrneshas bezahlen jedenfalls einen hohen Preis für ihre Freiheit als selbstbestimmte Individuen. (dakro)
„Haki-Hakie. Ein Leben als Mann“, Deutschland 2015, 29 Min., DCP, Farbe, Regie, Buch: Anabela Angelovska, Kamera: Simone Friedel, Schnitt: Imke Koseck, Ton: Reard Gjermani, Produktion: Anabela Angelovska, Hamburg (kontakt@anabela-angelovska.de)
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