2025 konkurrieren drei Werke um den Gesa-Rautenberg-Preis für den besten Langfilm aus Schleswig-Holstein. In diesem Jahr sind alle Wettbewerbsbeiträge unter der Regie von Regisseurinnen entstanden. Die drei Filme beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Selbstfindung und dem Thema Coming-of-Age.
„Manchmal denke ich plötzlich an dich“ – (Alb-)Träume, das Selbst und die Abgeschiedenheit
„Manchmal denke ich plötzlich an dich“ von Regisseurin und Drehbuchautorin Lynn Oona Baur ist zugleich Wettbewerbsbeitrag und Eröffnungsfilm des Filmfests SH. Die Regisseurin nimmt ihr Publikum mit in eine intime, intensive und zuweilen düstere Reise auf die Hallig Hooge. Protagonistin Lilith (Marie Nasemann) steht kurz vor der Eröffnung einer bedeutenden Ausstellung ihrer Kunstwerke. Dennoch lässt sie sich von ihrem Partner (Artjom Gilz) dazu überreden einige gemeinsame Tage auf der Hallig Hooge zu verbringen. Lilith wirkt mit dieser Situation insgesamt unzufrieden. Als sie dann zunächst erkennt, dass Tochter Lulu ein echtes Papa-Kind ist, driftet Lilith zunehmend in Sorgen und Ängste ab.
Es gibt Filme, in die sollte man mit möglichst wenig Vorwissen hineingehen. „Manchmal denke ich plötzlich an dich“ ist genau so ein Film. Partiell erinnert der Film im besten Sinne an „The Wicker Man“ von Robin Hardy, allerding sehr nuanciert. Besonders gelungen ist die Kameraarbeit des Films, für die Daniel Leibold verantwortlich ist. Er schafft es selbst in der Weite von Hallig und Meer eine visuelle Enge zu erschaffen, die ein grundlegendes Unbehagen beim Zuschauen verursacht. In den Räumlichkeiten des Hauses hingegen bricht er die gefühlte Enge großartig auf, beispielsweise in einer Szene, in der Lilith Lulu den weiblichen Zyklus erklärt. Die Cadrage orientiert sich am Stimmungsbild der Protagonistin und trägt zum teilweise Albtraumhaften Gefühlszustand bei. Die Auflösung für das labyrinthisch erzählte Werk ist schlüssig, wird sich eventuell jedoch nicht direkt nach der ersten Sichtung erschließen.
„Manchmal denke ich plötzlich an dich“ wirkt wie ein sehr persönlicher Film, der dem Publikum erlaubt tief in Stimmungslagen und Lebensängste seiner Figuren einzutauchen.
Mi, 2. April 2025, 17:30 Uhr, Kino in der Pumpe, anwesend: Lynn Oona Baur (Buch, Regie), Daniel Leibold (Kamera), Marie Nasemann (Schauspielerin)
„Rote Sterne überm Feld“ – Was macht mich aus und wo komme ich her?
Ist es möglich, weite Teile der deutsch-deutschen Geschichte verdichtet an einem Ort zu erzählen? Natürlich geht das, aber die meisten Menschen werden dann als Handlungsort an Berlin denken. Regisseurin Laura Laabs hingegen gelingt das Kunststück eine solche Inszenierung in Bad Kleinen zu präsentieren. Der Film beginnt zwar in Berlin, wo Tine (Hannah Ehrlichmann) und weitere Mitglieder*innen ihrer linken Protestgruppe die deutschen Fahen auf dem Reichstag durch rote Flaggen ersetzen, doch die Flucht vor der Obrigkeit treibt Tine zurück in ihre Heimat. Als sie am Bahnhof von Bad Kleinen ankommt, wird das filmische Geschehen mit Originalaufnahmen vom RAF-Vorfall 1993 auf demselben Bahnhof verbunden. Wie sich herausstellt ist Tine stark von linker Ideologie geprägt. Auch ihr Vater Uwe (Hermann Beyer) hat der Idee des Kommunismus nie abgeschworen. So verwundert es wenig, dass er ohne viele Nachfragen seiner Tochter Unterschlupf gewährt.
Während Tine sich in Bad Kleinen zunächst mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert sieht, wie dem plötzlichen Verschwinden ihrer Mutter, als sie noch ein Kind war, findet eine Gruppe von Wissenschaftlern im nahegelegenen Moor eine Leiche. Nun stellt sich die Frage um wen es sich dabei handeln könnte. Tine fängt an sich mit der Geschichte von Bad Kleinen zu beschäftigen und stößt dabei auf viele Abschnitte der deutschen Geschichte, von der Nazi-Zeit über kommunistische Landwirtschaft hin zur RAF und Neo-Nazis. All das wird mit einem Augenzwinkern inszeniert, bricht übliche filmische Normen und Inszenierungsformen auf.
„Rote Sterne überm Feld“ ist eine überraschende Wundertüte, voller geschichtlicher Versatzmomente und vielen ungewöhnlichen Momenten. Für Regisseurin Laura Laabs dürfte der Film etwas sehr persönliches sein, da sie selbst in der linken Szene aktiv ist und hier eine persönlich geprägte Sicht auf die deutsch-deutsche Vergangenheit und Gegenwart wagt.
Do, 3. April 2025, 19:30 Uhr, Kino in der Pumpe
„Broke. Alone. A kinky love story“ – Sexarbeit zur Lebensrettung
Regisseurin Anna Unterweger inszeniert mit „Broke. Alone. A kinky love story“ einen Film darüber, wie es ist, alles zu verlieren und trotzdem wieder aufzustehen. Hauptdarstellerin Nora Islei in der Rolle der Sarah trägt dabei den Film, der weit mehr ist, als eine One-Woman-Show.
Kunststudentin Sarah, die ihre Freiheit liebt, muss sich in eine 14-tägige Quarantäne begeben und erwischt ihren Freund dabei, wie er in der eigenen Wohnung mit jemand anderem schläft. Am nächsten Morgen wird Sarah von einem eingeschriebenen Brief ihres Vermieters kalt erwischt: Sechs Monate Zahlungsverzug …
„Pleite. Einsam. Eine versaute Liebesgeschichte“ könnte man den Titel des Werkes ins deutsche übersetzen. Tatsächlich steht Sarah vor dem kompletten Verlust von allem, was sie sich eigenständig aufgebaut hat. Ihre Wohnung – zugleich ihr Atelier – droht sie zu verlieren, ihr Freund hat sie betrogen und schert sich weniger um Sarah, als um seine Playstation. Es gibt einen großen Konflikt zwischen Sarah und ihrem Vater, da dieser denkt, dass Sarah Psychologie studiert und damit der Familientradition folgt. Insgesamt befindet sich Sarah in einer Situation, die man nicht erleben möchte. Einzig ihre beste Freundin steht zu ihr, wenn auch nur über Videochat. Eingesperrt in ihrer eigenen Wohnung muss Sarah nun das Geld für sechs Monate Mietschulden erwirtschaften und entschließt sich daher, als Cam-Girl zu arbeiten.
Der Film mutet anrüchig an, ist über weite Strecken jedoch eine Komödie, die ihren Nebenfiguren, aber vor allem der Hauptfigur Sarah Raum gibt sich selbst und ihren Platz in der Welt zu finden. Das dabei grundsätzlich mit einer weiblichen, sex-positiven Perspektive inszeniert wird ist eine große Stärke des Films. Ebenso wie die breite emotionale Palette, die Nora Islei als Darstellerin präsentiert. Abgerundet wird der Film von einem gelungenen Soundtrack aus der Feder von Mousse T. und liebenswerten Momenten der Zwischenmenschlichkeit.
Sa, 5. April 2025, 17:45 Uhr, Kino in der Pumpe, anwesend: Anna Unterweger (Regie, Co-Autorin), Hauke Schlichting (Produzent)