Retrospektive beim Filmfest SH zeigt neben Kurzfilmen drei Kameraarbeiten Bernd Fiedlers aus den 1970er Jahren
Der abgewandelte Bibelspruch „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ trifft zwar nicht in letzter Konsequenz auf Bernd Fiedler zu. Aber nachdem der Filmemacher 2003 nach Jahrzehnten in München an seine heimatlichen Gestaden zurückgekehrt war, wünschte er sich bisweilen schon etwas mehr Anerkennung von der Kieler Filmszene (welcher Wunsch jetzt mit der von Peter Ahlers kuratierten Retrospektive vielleicht erfüllt wird).
Doch sind Fiedler und die Kieler Filmszene nicht so richtig mit einander warm geworden. Kein Wunder, trafen hier doch zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite eine junge, ehrgeizige „Film Community“ aus der „norddeutschen Provinz“, die ambitioniert dem konventionellen Kino mit traditionellen Genres und Dramaturgie nacheifert und sich als eine Art von schleswig-holsteinischen „Indie-Filmern“ begreift. Auf der anderen Seite der heimgekehrte Filmemacher, der nach über 30 Berufsjahren in Bayern und der halben Welt, noch lange nicht zum „alten Eisen“ gezählt werden will, dem traditionellen Filmemachen abschwört und sich dem Experiment in der Produktion von Spielfilmen und experimentellen – oder wie er selbst sie nennt „poetischen“ – Kurzfilmen zuwendet.
Von letzteren sind in der Retro beim Filmfest SH sieben zu sehen, bunt gemischt aus Früh- und (gegenwärtigem) Spätwerk: Spontango (5 Min.) | Hansi (10 Min.) | Volvo Penta (4 Min.) | Vive L’Amour (6 Min.) | Rapid (4 Min.) | Opakustisch (4 Min.) | Morgenstimme (12 Min.). (Siehe dazu auch den infomedia-Artikel von Daniel Krönke zu Bernd Fiedlers Kurzfilmabend, 2018 in der Kieler Reihe „FilmFörde“). Hier konzentrieren wir uns aber auf die in der Retro gezeigten drei Kameraarbeiten aus den 1970er Jahren.
Bernd Fiedler war das Ausprobieren im Film nicht neu. Schon 1966 bewarb sich der damals 25-Jährige nach abgebrochenem Germanistik-Studium in Kiel und Tübingen erfolgreich für ein Filmstudium zum Kameramann an der gerade gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB).
Dass Fiedler ein streitbarer Typ ist, der oft kein Blatt vor dem Mund nimmt und einem Konflikt nicht unbedingt aus dem Wege geht, bewies er schon 1968, als er während der Berliner Studentenrevolte zusammen mit Harun Farocki seine Kommilitonen zu einem Go-in bei DFFB-Direktor Heinz Rathsack aufwiegelte. Das Aufbegehren gegen die Vertreter eines obsoleten Zeitgeistes hatte für ihn und 17 weitere Kommilitonen des ersten DFFB-Jahrgangs die Relegation zur Folge. Befreit von den Zwängen der Berliner Filmhochschule, die fast verzweifelt versuchte, eine rebellierende Generation von jungen Filmemachern zu disziplinieren, die die althergebrachten Autoritäten ablehnte und eigenes Tun vor allen Dingen als politisch begriff, ging Fiedler nach München. Hier fand er schnell schnell Anschluss an eine junge Film-Bohème, der der Berliner Rausschmiss und Fiedlers schulterlange Haare genügten, ihn als Kameramann zu qualifizieren.
Sein erster Spielfilm auf 35mm war „Rote Sonne“ (BRD 1970, 87 Min.) von Rudolf Thome, der Fiedler vertraute, ihm die Bildgestaltung vollständig überließ und sich auf die Inszenierung konzentrierte. Fiedler arbeitete nur mit drei Festobjektiven und benutze keinen Zoom. Der Hauptdrehort war eine 4-Zimmerwohnung mit quietsch-bunten Tapeten. Ein ungewöhnliches Set für einen ungewöhnlichen Film. In den Hauptrollen die 68er-Sex-Ikone Uschi Obermaier, der man für den Film in der Postproduktion ihr saftiges Bayrisch zu Gunsten eines sterilen Hochdeutsch wegsynchronisierte, und der smarte Marquard Bohm, „eine markante Person, immer besoffen“ (O-Ton Fiedler). Beide „kommen gut rüber“, wie auch die übrige Besetzung des Films. Es geht um eine Wohngemeinschaft von vier Frauen, die es sich zur Maxime gemacht haben, ihre Liebhaber nach fünf Tagen umzubringen. Als die Wortführerin Peggy (Uschi Obermaier) ihren neuen Freund nach fünf Tagen nicht tötet, kommt es zum Konflikt mit ihren Mitbewohnerinnen. „Rote Sonne“ wurde bald zum Kultfilm der 68er-Generation erhoben, weil er das Lebensgefühl einer Generation spiegele, für die Lebens- und Kinoerfahrung eins seien, so das „Lexikon des Internationalen Films“.
Einen vergleichbaren Kultstatus genießt eine weitere Kameraarbeit Bernd Fiedlers. Mit „Rocker“ (BRD 1972, 85 Min.) schuf Klaus Lemke, der Rebell des deutschen Films, ein ähnliches Unikat, das zugleich ganz anders war. Mit finanzieller Hilfe einer risikofreudigen Redaktion im ZDF entstand ein dokumerntarfilmhafter „Spielfilm“. Gedreht ohne festes Drehbuch und mit Laien-Darstellern, die sich selber spielen, zeichnet Lemke die Szene an der Reeperbahn nach. Die Originalsets sind der Kiez auf St. Pauli und die Hamburger Straßen für die Rocker mit ihren Motorrädern. Das Personal besteht aus echten Rockern, Zuhältern und Prostituierten. Sämtliche Dialoge, ja die gesamte Handlung, ist improvisiert, für einen anarchischen Film-Dreh in einem gewaltvollen Milieu. Der Widerspruch machte sich bezahlt. Was entstand und bleibt ist ein authentisches Zeitbild, für dessen Produktion kein deutsches Filmfördergremium jemals Geld bewilligt hätte.
Der dritte herausragende Film aus Bernd Fiedlers Frühwerk als Kameramann ist eine totale Überraschung. Wer kennt heute noch den deutsch-bulgarischen Filmemacher und Literaten Marran Gosov? Dennoch war der bulgarische Exilant in der deutschen Filmszene der 1960erJahre eine Größe. Mit „Wonnekloß“ (BRD 1972, 79 Min.), seinen fünften und letzten Spielfilm, wird er zum Meister der melancholischen und zugleich lustigen Satire. Mit einer unnachahmlichen Mischung aus leiser, zurückgezogener Traurigkeit und einem geradezu überschäumenden, ja penetranten (was hier positiv gemeint ist) Humorsturm, der das Zwerchfell strapaziert. Dabei scheint es ihm bitterernst zu sein, die deutsche Filmproduktionsszene auseinander zu nehmen.
Ein Habenichts und Lebenskünstler (Dieter Augustin) bekommt von einem notgeilen Drogisten (Fritz Pauli) das finanziell verlockende Angebot, mit einer Videokamera einen Pornofilm zu drehen. Nach einem vergeblichen Straßen-Casting verliebt er sich in eine potentielle Darstellerin (Toni Netzle), bei der er sein ursprüngliches Ansinnen augenblicklich verwirft. Nach scheinbar beiderseitigem Gleichklang der Gefühle verliebt sich die Schöne aber in seinen Freund (Jan Odenthal), einen attraktiven Gigolo. Wenn es nach den beiden ginge, scheinen die Protagonisten für den Pornofilm gefunden zu sein. Und so sehr sich der Wonnekloß auch dagegen wehrt, nimmt das urkomische Drama unweigerlich seinen Lauf. Dabei bleibt das Dargestellte absolut jugendfrei und ist weder anstößig noch schlüpfrig.
Die Episode mit der Gummipuppe, der Besuch bei den Eltern, die unbeholfenen Dreharbeiten, der penetrant störende Rollstuhlfahrer. Alles Höhepunkte des Humors im deutschen Film. Kaum zu glauben, wie urkomisch doch auch ein deutscher Film sein kann. Und aus heutiger Sicht ist es unfassbar, dass ein solch großartiger Film wie „Wonnekloß“ so gnadenlos im Kino floppen konnte. Wie humorlos muss jemand sein, einen solchen Film nicht genießen zu können? (Helmut Schulzeck)
Retrospektive Bernd Fiedler beim Filmfest SH 2024 – Termine
SAMSTAG, 23. März 2024, Kino in der Pumpe
- 18:30 Uhr | ROTE SONNE
- 21:00 Uhr | ROCKER
SONNTAG, 24. März 2024, Kino in der Pumpe
- 14:00 Uhr | FILME WIE MUSIK – Das poetische Kino des Bernd Fiedler (Kurzfilme)
- 16:30 Uhr | WONNEKLOSS
Siehe auch die offizielle Pressemitteilung des Filmfests SH zur Retrospektive.
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