Filmfest Schleswig-Holstein blickt auf das Filmschaffen im Land und darüber hinaus
Von Ruth Bender
Unter dem Titel „Augenweide“ ging das Filmfest in Kiel 1993 erstmals an den Start. Zum 30-jährigen Jubiläum hat das mittlerweile unter dem Label „Filmfest SH“ firmierende Kinofestival einige Neuerungen im Programm.
Rocko Schamoni als alternder Rockstar zwischen Toastbrot und Ludwig II., der Kieler Matrosenaufstand 2018 in den Tagebuchaufzeichnungen eines jungen Ingenieurs oder Balkone, die zum Schauplatz absurder Episoden werden: Von Historie bis Komödie reicht die Bandbreite beim Filmfest Schleswig-Holstein, das vom 29. März bis 1. April in Kiel über die Leinwände geht – und vorab mit ein paar Extras Appetit macht.
Rund 100 Einreichungen hatten Daniel Krönke ist als künstlerischer Leiter und sein Team zu sichten. Rund 50 sind beim Filmfest zu sehen, und Krönke lobt die „vor allem im Dokumentarfilm durchgehend hohe Qualität“.
Schwerpunkt Dokumentarfilm beim Filmfest Schleswig-Holstein
Sönje Storm schildert im Film „Die toten Vögel sind oben“ die Wandlung ihres Großvaters Friedrich Mahrt vom Landwirt bei Rendsburg zum Naturfotografen, der ab 1919 die Veränderungen in Tierwelt und Landschaft Schleswig-Holsteins dokumentierte. Astrid Menzel geht mit ihrer an Demenz leidenden Oma zwei Wochen lang auf Paddeltour von Bremen bis Kiel („Blauer Himmel, weiße Wolken“).
„Mir ist in dem sehr diversen Programm eine Tendenz zum privaten Blick aufgefallen“, sagt Daniel Krönke, „viele Dokumentarfilmer tauchen in die eigene Familienvergangenheit, beschäftigen sich mit Sterben und Tod.“ Ganz anders der Spielfilm „Youth Topia“ vom Kieler Filmemacher Dennis Stormer, der im vergangenen Jahr mit „Full of Fire“ vertreten war. Der porträtiert eine Gruppe widerspenstiger Jugendlicher, die sich irgendwann vor der Wahl sieht: für oder gegen ein angepasstes Leben.
Die Drei gehören mit der Dokumentation „One in a Million“ über eine erfolgreiche US-Youtuberin und der Episodenkomödie „Balconies“ zu insgesamt fünf Langfilmen, die im Wettbewerb um den Gesa-Rautenberg-Preis konkurrieren.
Filmfest gibt Überblick über das Filmschaffen im Land
Krönke sieht das Filmfest Schleswig-Holstein als „eine der wenigen Gelegenheiten, einen Überblick über das aktuelle Film- und Medienschaffen im Land zu bekommen“. Durchaus eigenständig neben dem auch stark vom Hamburger Filmschaffen profitierenden Filmforum SH im Rahmen der Nordischen Filmtage Lübeck.
Den Schwerpunkt auf der hiesigen Filmszene konterkariert Krönke selbstbewusst mit dem Blick über den Tellerrand. So gehören drei schleswig-holsteinische Erstaufführungen zum Programm, darunter noch vor dem Bundesstart am 20. April Christian Petzolds bei der Berlinale uraufgeführter Spielfilm „Roter Himmel“. „Wäre toll, wenn Petzold zur Filmvorführung kommt“, hofft Krönke.
Die Filmemacherinnen Eugenia Bakurin und Pola Rader, letztere 2022 mit dem Rautenberg-Preis ausgezeichnet, haben die neue Sektion „Blickfang“ kuratiert und zeigen Positionen aktueller Videokunst und Filmexperimente. Im Kurzfilmwettbewerb gehen außerdem neun Filme ins Rennen um den Publikumspreis, der am 1. April nach dem Kurzfilmabend im Kino in der Pumpe vergeben wird.
Streaming macht es möglich: Wie das Filmfest SH von Kiel ins Land ausstrahlt
Spätestens hiermit kommt das Filmfest Schleswig-Holstein auch im ganzen Land an. Streaming macht es möglich, das der von Eckhard Pabst live moderierte Kult-Abend im Kino in der Pumpe parallel auch auf Amrum und Pellworm, in Heide, Eutin und Lübeck und in Kiel zusätzlich im Studio zu sehen sein wird. „Es war uns wichtig, das Festival auch über Kiel hinaus sichtbar zu machen“, sagt Krönke.
Der Publikumsentscheidung verschafft das eine ganz neue Reichweite. Das hat die Qual der Wahl vom eindrucksvollen Inklusionsprojekt „Beben“, das in Cannes seine Uraufführung feierte, über den experimentellen Ein-Minüter „Action!“ bis zum Musikvideo für die Kieler Indie-Band Alpaca Redemption.
Daneben freut sich Daniel Krönke auch über das Seminarangebot für die Filmemacher sowie sichtbare Entwicklungen, „etwa wenn Hilke Rönnfeldt zum dritten Mal in Folge mit einem starken Beitrag dabei ist“. Der Musical-Kurzfilm „Opera Night“ der zwischen Kiel, Dänemark und Island pendelnden Filmemacherin erzählt von einer Reinigungskraft, die an ihrem Arbeitsplatz in der Kopenhagener Oper einen bedrohlichen Riss entdeckt.
(Der Artikel erschien erstmals am 20.03.2023 auf www.kn-online.de und wurde uns dankenswerter Weise von der Autorin zur Verfügung gestellt.)