Ein Nachruf auf Gesa Rautenberg
Am 3. Januar 2022 verstarb im Alter von 80 Jahren Gesa Rautenberg, die als Mitbegründerin des Kommunalen Kinos Kiel (1979) und dessen langjährige Leiterin überaus erfolgreich wirkte. Auch als Gründungsmitglied der Kulturellen Filmförderung Schleswig Holstein e.V. (1989, heute Filmkultur Schleswig-Holstein e.V.) und spätere Vereinsvorsitzende hat sie Pionierarbeit in Sachen Film in Schleswig-Holstein geleistet.
Mit ihrem kompetenten Einsatz für das entgrenzende, reichhaltige, vielseitige Kino war Gesa Rautenberg Jahrzehnte aus der bundesweiten Szene der kommunalen und Programmkinos nicht wegzudenken und hat ein großes Publikum mit ihren Kinoprogrammen beglückt und bereichert. „Das Kieler KoKi ist ihr Kind, der Film ihr Lebensinhalt. Sie ist eine allseits geschätzte, wissenschaftlich fundierte Cineastin, die über die Landesgrenzen hinaus Filmarbeit geleistet und dazu beigetragen hat, dass die Filmkunst als junge künstlerische Disziplin anerkannt wurde und im Kanon der etablierten Kunstformen aufgenommen worden ist“, konstatierte 2004 die damalige schleswig-holsteinische Kulturministerin Ute Erdsiek-Rave anlässlich der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland.
Als Rautenberg 1970 ihrem damaligen Mann aus München zurück in ihre Heimatstadt Kiel folgte, war in München die große deutsche Kinokrise noch nicht angekommen, erzählt sie in einem Interview 2003. Aber in Kiel „war Wüste, nicht nur, was das Kino betraf. Ich weiß noch, dass wir in der ersten Zeit, wenn wir abends etwas unternehmen wollten, meist ganz verzweifelt wieder in unserer Wohnung landeten, weil es in Kiel nichts gab. Also musste man selber aktiv werden.“
Schon bald schloss sie sich einem kleinem Kreis jener unermüdlichen Cineasten des Filmclubs Kiel an, zu dem unter anderen auch Hauke Lange-Fuchs (späterer langjähriger künstlerischer Co-Leiter der Nordischen Filmtage Lübeck), Kurt Denzer (späterer Leiter der Arbeitsgemeinschaften im Studentenwerk SH sowie der AG Film der CAU, Dokumentarfilmer und Gründer sowie Leiter des Archäologie-Film-Festivals Cinarchea) und Christoph Munk (späterer Leiter der Kulturredaktion der „Kieler Nachrichten“) gehörten. Sie wollten der Filmkultur auch hier im Norden eine Heimat schaffen.
Seit Jahren versuchten sie tapfer, das Fähnlein für den künstlerischen Film in Kiel hoch zu halten, bemühten sich mit eigenen Vorführungen in der Kieler Universität, der damaligen Szene-Kneipe „Club 68“ und an anderen Orten sowie im ständigen Streit mit dem örtlichen Kinomonopolisten Klaus Szcepanek (seines Zeichens auch Präsident des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater) um eine Horizonterweiterung des Publikums und ein besseres Kinoprogramm. Dies auch im Wissen, dass die Leinwand so viel mehr bieten könnte als nur US-Mainstream-Kino oder die vielen unsäglichen Produktionen des deutschen Nachkriegsfilms vom Heimat- und Schlagerfilm bis hin zu Lümmel-Schmonzette und Schulmädchen-Report, mit denen die Kinowirtschaft glaubte, ihre Existenz sichern zu müssen.
Als schließlich Ende der 1970er Jahre die Stadt Kiel das alte Pumpwerk in der Innenstadt, in der Haßstraße, zu einem damals so genannten sozio-kulturellen Zentrum bzw. Kommunikationszentrum in öffentlicher Trägerschaft und Finanzierung umbaute, ergriff der Filmclub Kiel erfolgreich seine Chance und integrierte in diesen autonom vom neu gegründeten Pumpenverein geführten Veranstaltungsbau und kulturellen Treffpunkt „Die Pumpe“ das Kommunale Kino Kiel. Der Pumpenverein folgte der Empfehlung des Filmclubs Kiel, Gesa Rautenberg als Leiterin und damit auch als Programmverantwortliche des Kommunalen Kinos einzusetzen. Rautenberg hatte bis dahin als promovierte Kunsthistorikerin in der Kieler Kunsthalle gearbeitet.
Mit der Eröffnung am 8. Mai 1979 legte Gesa Rautenberg dann los, die Wüste zu bewässern. Die Voraussetzungen für ein Gelingen waren rückblickend betrachtet geradezu ideal. Außer dem Filmclub, der nur gelegentlich Filme zeigen konnte, hatten die Kieler Kinos wenig an Filmkunst zu bieten. Die Kieler Uni beherbergte ein potentiell großes, neugieriges Publikum. Das Fernsehen hatte noch nicht begonnen, die Filmgeschichte für seine diversen Kanäle nach „Content“ abzugrasen. Es gab noch kein Privatfernsehen (erst ab 1984 und dann zu Beginn weitgehend nur über Kabel), auch kein Arte (erst ab 1991) oder 3Sat (erst ab 1984), geschweige denn einen Leo Kirch, der mit seinem sehr großen Bestand an aufgekauften Filmlizenzen zeitweise die Programmgestaltung des Fernsehens in Sachen Spielfilm stark beeinflusste. Und Streaming-Dienste existierten nicht einmal in Science-Fiction-Filmen.
Basis für den Erfolg des KoKis war die außerordentliche Programmarbeit Rautenbergs. Neben Einzelfilmen gab es diverse Filmreihen, die sich teilweise über Monate erstreckten. Sie widmeten sich z.B. einem Regisseur oder einer Regisseurin, einem Genre, einem Filmland, einer Filmepoche oder monografisch einem bestimmten Thema. Weitere wichtige Bestandteile des Programms waren politische Filme und Dokumentarfilme, welche bis dahin wenn überhaupt nur ein Nischendasein im Kino geführt hatten. Last, but not least fand der Neue Deutsche (Autoren-)Film, der bis dato in Kiel stiefmütterlich behandelt nur ein Schattendasein gefristet hatte, unter Gesa Rautenberg endlich auch ein Kieler Zuhause. Eine Besonderheit des Kinos war es, dass viel mit Partnern gearbeitet wurde, mit Gruppen aus dem Haus, mit Hochschulseminaren, Theatern und Institutionen der Bildenden Kunst. Fundierte Einführungen und Filmgespräche bzw. Diskussionen wurden zu Bestandteilen der Vorführungen.
Eine weitere Spezialität, die Gesa Rautenberg initiiert hat, waren und sind Stummfilme mit Live-Musikbegleitung. Dafür steht extra ein Klavier im Saal. Legendär waren die langen Filmnächte in einer prall mit Zuschauern überfüllten „Pumpe“, Unterhaltung pur, attraktive Filme non stop unter dem Moto „Von Mitternacht bis Morgengrauen“. So lief z.B. nach einer Komödie mit Heinz Erhardt „Peeping Tom“ mit Karlheinz Böhm als psychopathischem Killer mit der Kamera, danach der Schneewestern „Leichen pflastern seinen Weg“ mit Klaus Kinski. Eine bemerkenswerte Filmzusammenstellung sorgte für ein für damalige Verhältnisse aufregendes Programm. Das KoKi wurde zum Publikumsmagneten. Folgerichtig veranstaltete ab 1993 die Kulturelle Filmförderung SH ihr Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide zusammen mit dem Kommunalen Kino in der Pumpe.
Zu unterstreichen bleibt auch, dass das Kommunale Kino Kiel als erstes Kino in der Stadt seine Leinwand auch für Filme von jungen hiesigen Filmemacher*innen zu Verfügung stellte. Schon in den 1980er Jahren konnte man so dort die ersten Schritte von den damaligen „Jungfilmer*innen“ goutieren, oft noch auf Super-8 gedreht und vorgeführt, und nicht nur im Gruppenprogramm der Super-8-Tournee „Unterwegs“, nein, auch als Einzelfilme, sei es als Kurzfilm vorm Hauptfilm, sei es als Super-8-Langfilm, wie z.B. der „Häuserfilm“ der Kieler Filmgruppe Chaos, mit einer Spiellänge von über 150 Minuten.
Gewiss, die Zeiten waren andere, und dennoch: Man blickt zurück und staunt. So wie Gesa Rautenberg war auch ihr Kino: kompetent, fantasievoll und begeisterungsfähig, überraschend und erfolgreich, neugierig und aufgeschlossen, experimentier- und risikofreudig, beispielhaft und souverän, kämpferisch und hartnäckig, wenn es sein musste.
Unter Gesa Rautenberg wurde das Kommunale Kino Kiel zum Markenkern der „Pumpe“ und konnte binnen kurzer Zeit eine Strahlkraft entwickeln, die nicht nur in Kiel andere Spielstätten ermutigte, aus dem Mainstream auszubrechen und auf ihr eigenes Programm zu setzen. Auch wenn es vielen nicht mehr bewusst oder bekannt sein mag, Gesa Rautenberg hat durch ihr Vorbild Entstehen und Funktionieren nicht nur der Kieler Programmkinolandschaft, so wie sich heute präsentiert, maßgeblich inspiriert und beeinflusst.
Total unvergessliche, super kompetente und kenntnisreiche Frau mit starker Persönlichkeit. Ihre Arbeit ist für Kiel ohne Übertreibung mit der Arbeit von drei Museen vergleichbar! So immens viel hat sie der Förderung der Kultur in Kiel beigetragen. Bis 2003 war ich durchschnittlich zweimal die Woche im KoKi. Ich bin glücklich, sie kennengelernt zu haben.