Nachruf auf Dr. Kurt Denzer (4.8.1939 – 12.11.2021)

Am 12.11.2021 verstarb Kurt Denzer im Alter von 82 Jahren in Kiel. Er war eine der prägenden Persönlichkeiten im doch recht überschaubaren Terrain des schleswig-holsteinischen Filmgeschehens der letzten 50 Jahre. In seiner Liebe zum Filmemachen und als enthusiastischer Cineast gehörte er zu der allmählich aussterbenden Spezies der analogen Filmemacher, die noch eine haptische Beziehung zu ihrem Material pflegen. Sein reiches filmgeschichtliches Wissen beruhte zu großen Teilen auf dem über Jahrzehnte gepflegten, regelmäßigen Kinobesuch, von dem er sich auch von Netflix & Co. nicht in seiner Treue zum Leinwanderlebnis ablenken ließ. Zudem plädierte Kurt Denzer als ausgebildeter Pädagoge schon vor Jahrzehnten, als noch niemand an ein digitales Zeitalter dachte, für den Erwerb von Medienkompetenz in Schule und Studium und förderte solche in seiner Freizeit.

Eine der besten Darstellungen über Kurt Denzers vielfältiges Schaffen und Wirken schrieb sein langjähriger Freund und Mitstreiter Ulrich Ehlers zu Denzers 65. Geburtstag 2004, die wir hier anstelle eines Nachrufs noch einmal dokumentieren. (hsch)


 

Filmpionier, Filmemacher, nimmer müder Förderer des Filmnachwuchses in Schleswig-Holstein, Gründer und Organisator der Cinarchea bekennt sich zum Rollenwechsel

Von Ulrich Ehlers

Bereits Anfang der 70er Jahre lernte ich ihn kennen und schätzen – ihn, den damaligen Studienrat für Latein, Deutsch und Philosophie aus Neumünster. Er fragte an, ob ich Lust hätte, mit ihm im Jugendhof Scheersberg ein Seminar für junge Schmalfilmer aus Schleswig-Holstein zu organisieren. Ich hatte …

Damit begann die Geburtsstunde einer sehr erfolgreichen und nachhaltige Impulse gebenden Veranstaltung (wenn auch mit wechselnden Formaten): das legendäre Schmalfilmer-Treffen Schleswig-Holstein, das Video-Film-Fest Schleswig-Holstein. Eine noch heute bundesweit ausstrahlende Großveranstaltung, an der er selbst bis Ende der 1980er Jahre als Seminarleiter beteiligt war.
Gleichzeitig begann eine zwei Jahrzehnte lang währende sehr enge und freundschaftliche Zusammenarbeit, in der viele Initiativen, u.a. Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung (heute LAG Jugend und Film), sehr eng mit seinem Namen verbunden sind.
Die Gründung der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein, eine wahrlich schwierige Geburt, geht auch auf seinen unermüdlichen Einsatz (neben vielen anderen Mitstreitern) zurück. Er gehörte jahrelang dem Vorstand an, um aus der verabredeten Struktur und Konzeption zur Filmförderung in Schleswig-Holstein Realität werden zu lassen.
Er war es auch, der maßgeblich an der Ausgestaltung und Konzeption des Dr.-HansHoch-Filmpreises mitwirkte, lange Jahre der höchstdotierte Nachwuchs-Filmpreis in Deutschland.

Neben der Nachwuchs-Förderung machte sich Kurt Denzer besonders einen Namen als Filmemacher. Seine Filme entstanden als „Einzelkämpfer“ oder im Rahmen von Projekten mit Studenten, zunächst in den Studentischen Arbeitsgemeinschaften und später in der Filmarbeitsgruppe der Christian-Albrecht-Universität Kiel. Seine Filme beschäftigten sich mit einer großen Themenvielfalt. In „Mit Shangri-La auf Wikingerkurs“ fuhr er mit der Crew eines Katamarans monatelang durchs grönländische Packeis unter extremen klimatischen und wohl auch gefährlichen Bedingungen, steckte selbst ein kleines Vermögen in die Produktion des Films und legte einen sowohl spannenden als auch gleichzeitig erzählenden Dokumentarfilm mit Spielfilmlänge vor. Dieser Film lief in Programmkinos und in gekürzter Form auch auf N3.

Kurt Denzer bei den Dreharbeiten zu „Mit Shangri-La auf Wikingerkurs“ (1986) (Foto: Kurt Denzer)

Ausgiebige und monatelange Recherchen, u.a. in England, unzählige Interviews mit Zeitzeugen und aufwändige Trickaufnahmen führten in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Torsten Schmidt dazu, einen gleichsam unterhaltenden wie informativen Dokumentarfilm über die abenteuerliche Befreiung Helgolands entstehen zu lassen. Titel: „Wer befreite Helgoland?“ (mit Fernsehausstrahlung).

1979 entdeckte er für sich eine völlig neue Filmmachart, den archäologischen Film. Dabei entstanden Dokumentarfilme wie „Das Haithabu-Schiff“ (1979 – 1985), „Die Welt der Wikinger“ (1986), „Vom Baum zum Einbaum“ (1989) und „Die Glocke von Haithabu“ (1991). Diese Filme erhielten national und international viele Preise. Bei der FBW wurde dem Film „Die Welt der Wikinger“ sogar das Prädikat „besonders wertvoll“ zuerkannt – was bei Dokumentarfilmen sehr selten ist. Alle Filme liefen mehrfach im Fernsehen. Außerdem: Welcher Dokumentarfilmer in Schleswig-Holstein kann von sich behaupten, mit seinen Filmen über eine Million Zuschauer allein in einem Kino angelockt zu haben, nämlich im Museums-Kino in Haithabu?

Seine Liebe, Begeisterung und geradezu Leidenschaft Filme zu machen, kam allerdings nicht von ungefähr. Schon als Kind saß er als Dauergast im Kino. Sein Vater schleppte ihn in alle verfügbaren Hitchcock- und Clouzot-Filme (wer erinnert sich z.B. noch an „Lohn der Angst“?), und schon sehr früh begann er mit dem eigenen Filmen, damals auf Normal-8mm und später 16mm. Einer dieser frühen Streifen, den er als Student in den Studentischen Arbeitsgemeinschaften Kiel drehte, nahm die Uni Kiel auf’s Korn. Anlass: Die damalige 300-Jahr-Feier. Dieser 10-minütige Kurzfilm war gegenüber dem doch sehr seltenen und gleichzeitig feierlichen Ereignis weder pathetisch, noch würde- oder respektvoll angelegt. Vielmehr entpuppte er sich als frecher Beitrag voller ironischer Anspielungen und dürfte aus damaliger professoraler Sicht sicher „völlig gegen die Erwartungen“ gemacht worden sein; dabei ausgesprochen kurzweilig, mit präzisen Schnitten, bar jeder überflüssigen Sequenz in der Erzählstruktur und amüsant und witzig zugleich. Dieser Film wurde auf diversen Festivals im In- und Ausland gezeigt und errang viele Preise. Floret Academia“, so sein Titel, zeichnet genau den Kurt aus, den ich später in vielen Situationen kennen lernen sollte: Präzise im sprachlichen und filmischen Ausdruck, engagiert, kämpferisch, gegen den Strom schwimmend (auch unbequem) und all das mit leichtem, z.T. trockenem Humor.

Kurt Denzer mit einigen seiner Filmschätze (Foto: Jörg Meyer)

Nur Insider können ermessen, wie tief er getroffen sein musste, diese sprachliche Gabe für Monate (!) durch eine sehr schwere Erkrankung zu verlieren und – wie ein Kind – ganz neu beginnen musste, sprechen zu lernen. Seine klare und pointierte Ausdrucksweise konnte schon beeindrucken, andererseits konnte sie auch – zumal in hitzigen Debatten – eine Auseinandersetzung verschärfen, ohne sich dieser sprachlichen Kraft bewusst zu sein. Bei der Genesung kamen ihm sein Kämpferwille und seine gute sportliche Kondition zu Gute, die er sich durch regelmäßiges Tennisspielen und auch das Ski-Laufen regelrecht erarbeitet hatte. Auf seinem Anruf-Beantworter hörte der Anrufer während und nach der Operation die alte gewohnte Stimme, ein Dokument, das mich jahrelang an seine damalige dramatische Erkrankung erinnerte.

Der Film-Lehrer Denzer verficht ein Grundprinzip: „Nur wenn die filmgestalterische Form stimmt, überzeugt auch der Inhalt!“. Hunderte von jungen Seminarteilnehmenden mussten sich mit diesem Prinzip auseinandersetzen – bereitwillig die einen – geradezu sauer die anderen. Ihm entging bei der Filmanalyse der gezeigten Eigenproduktionen kein Achsensprung oder falsche Szenenanschlüsse, und wehe, wenn die Schnitte nicht sauber angelegt waren. Vielen jungen Leuten wurden so Augen und Ohren für das Grundsätzliche des Filmhandwerks eröffnet und im Nachhinein auch für manchen der Weg zur Filmhochschule und Beruf in filmischen Zusammenhängen.

Still aus Denzers frühem Film „B – JJ 459” (1964)

Im April dieses Jahres 2004 wurde Kurt Denzer mit seinem Team, der Arbeitsgruppe der CAU Film, von der damaligen Ministerpräsidentin Heide Simonis geehrt: anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Cinarchea, eines als Biennale durchgeführten Archäologie-Filmfestivals, einmalig in Deutschland und Nordeuropa.
Zu Beginn seiner archäologischen Filmarbeit im Lande mag der eine oder andere diese Nischen-Film-Kultur, „die nicht so richtig in das damalige filmische Tagesgeschäft“ passte, kritisiert haben: „Wie kommt er gerade darauf?!“
Heute kann Kurt Denzers eher zufällig begonnene archäologische Filmarbeit im Jahre 1979 als vorausschauende Vision bewertet werden. Gelang es doch durch den Film, die „langweilige“ Archäologie in ungeahnter Form über den Dokumentarfilm populär zu machen. Die nicht enden wollenden Besucherströme im Haithabuer „Kino“ belegen dies.
Seit einigen Jahren steht ein vielseitiges Archäologie-Film-Programm auf DVD zur Verfügung und sogar Kurt Denzer, der unermüdliche Verfechter des analogen Film-Formats, sieht darin eine große Chance, seine Filme besser zu vermarkten.

Eingedenk dieser vielen nachhaltigen Ergebnisse seines langen Filmschaffens hätte sich Kurt Denzer auf seinen Rollenwechsel anlässlich seines 65. Geburtstages Anfang August in Ruhe vorbereiten können. Hätte! Denn es gab noch ein großes Problem zu lösen. Er wollte auch nach der Pensionierung sein Lieblingskind, die Durchführung der Cinarchea, weiterführen und benötigte dazu die bisherigen Räume und Arbeitsmöglichkeiten in der CAU. Die Uni winkte ab, er knurrte, kämpfte und – unterstützt mit vielen Solidaritätsadressen wurde ein Kompromiss erzielt: Die Cinarchea ging weiter, sie lebt auch heute – wie lange noch?

Vor Jahren hielt er einen sehr beachteten Vortrag mit dem Thema „Filmland Schleswig-Holstein unterbelichtet?“. Obwohl seine Antworten dazu eher negativ hinsichtlich der allgemeinen kulturellen Filmförderung im Lande ausfielen, lässt sich doch eindeutig belegen: Kurt Denzer hat selbst viele nachhaltige Beiträge zur besseren Belichtung der Filmkultur in Schleswig-Holstein geleistet.

 

Zum Autor:

Ulrich Ehlers war von 1971 bis 2007 Studienleiter in der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg und Gründer der LAG Film Schleswig-Holstein (heute Landesverband Jugend & Film Schleswig-Holstein) sowie ihr 1. Vorsitzender von 1974 bis 2007.
Der oben dokumentierte Artikel stammt aus dem Jahre 2004 zum 65. Geburtstag und Ausscheiden Kurt Denzers aus der AG Film der CAU und wurde 2009 zum 70. Geburtstag leicht gekürzt und aktualisiert. Für den Wiederabdruck hier wurde er leicht redigiert.

 

Links:

 

Titelfoto: Kurt Denzer in Irún (Baskenland) (Foto: F. de la Hera)
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