Gedanken zu einem bewährten Bild-Seiten-Format.
Von Bernd Fiedler
In den letzten Jahren habe ich diverses analoges Filmmaterial von Spezial-Betrieben digital transferieren lassen – im Auftrag von Produktionsfirmen und Privatpersonen. Es handelt sich dabei um Spielfilme, Dokumentationen, Serien, Werbe-Spots und Rohmaterial aller Formate. Meine Aufgabe ist hier nicht nur die kaufmännische und technische Abwicklung des Gesamtvorgangs, sondern vor allem die Licht- und Farb-Bestimmung jeder einzelnen Aufnahme. Das heißt, mithilfe eines speziellen Technikers korrigiere ich die Bild-Daten dieses Filmmaterials Einstellung für Einstellung. Für diesen kreativen Einsatz braucht man Fachleute, die sich sowohl in der analogen als auch in der digitalen Foto-Technik gut auskennen.
Bei einigen Produktionen betreute ich außerdem die Umstellung des traditionellen Bild-Seiten-Formats 4 : 3 auf Breitwand, meistens 16 : 9. Ein Vorgang, der sich oft als sehr schwierig erwies, denn das klassische 4 : 3 Format ermöglicht sehr organisch kompakte Bildkompositionen, die ich im neuen Breitwandformat dann leider oft nur mit digitalen Schwenks retten konnte. Abgesehen davon, dass man mit dem Breitwandformat bei 35 mm die Negativ-Fläche verkleinern musste und damit also auch die Bildqualität reduzierte. (Immerhin geschieht bei Super16 das Gegenteil, was jedoch nur für ein paar Jahre von Bedeutung war.)
Jedenfalls animierten mich jene Transfer-Aufträge dazu, noch einmal über einige grundsätzliche Fragen der filmischen Bildgestaltung nachzudenken. Wie zum Beispiel entstand dieses traditionelle, sehr alte Bild-Seiten-Format 4 : 3 überhaupt? Meine Suche nach der Antwort auf diese Frage führte mich zunächst in eine städtische Gemäldegalerie, wo ich mir die Bilder berühmter Maler der vor-fotografischen Jahrhunderte etwas genauer anschaute. Und tatsächlich fand ich hier viele beeindruckende Werke, die von ihren Schöpfern im 4 : 3 Format gestaltet waren. Zwar gibt es auch einige Panoramabilder sowie natürlich Hoch- und Quadratformate, jedoch wurden die meisten Bilder im 4 : 3 Format komponiert, was fast immer natürlich und harmonisch gelungen ist.
(Als Oskar Barnack 1914 den 35 mm Kinofilm zur Erfindung des Kleinbild-Formats benutzte, drehte er das Bild um 90° auf 2 : 3, um eine größere Negativ-Fläche zu erzeugen. Jeder Millimeter zählte damals wegen des groben Filmkorns. Deshalb wurde dieses neue Format auch sofort und jahrelang vor allem von den professionellen Fotografen sehr feindselig heruntergemacht. Erst als Dr. Paul Wolff um 1930 den Feinkorn-Entwickler erfand, setzte sich das Kleinbild-Format rasant durch.)
Zu ihrem Beginn übernahm die Film-Branche dieses bewährte Framing, bis dann schon sehr bald mit diversen Breitwand- und Cinemascope-Formaten herumexperimentiert wurde. Ohne großen kommerziellen Erfolg allerdings. Erst als in den 50er Jahren die 4 : 3 Television dem Kino-Film eine ernsthafte Konkurrenz erzeugte, brachte man für die große Leinwand als „bessere“ Unterhaltungsalternative das breite und sehr breite Filmbild ins Geschäft. Inzwischen werden diese Formate ja auch bei Fernsehproduktionen fast ausschließlich benutzt. Die Bildschirme sind alle auf Breitwandformat gebaut, und jetzt bietet die Industrie auch schon Geräte im Cinemascope-Format an. Das digitale Kino spielt da gerne mit. Breit, breiter, ganz breit …
Was für Vorteile bringt das nun grundsätzlich für die Bildgestaltung? Sehr wenige, finde ich. Warum?
Schauen wir einmal etwas genauer auf die Bildgestaltung der aktuellen Filmproduktionen. Gleich zu Beginn fällt mir auf, dass der äußere Bildraum links und rechts meistens nicht genutzt wird, so dass die Bildausschnitte mit 4 : 3 viel kompakter und überzeugender wären. Merkwürdig!
Um das einmal richtig zu testen, habe ich meinen Breitwandbildschirm (16 : 9) auf beiden Seiten mit schwarzer Folie abgedeckt, damit mir immer „nur“ ein 4 : 3 Format zur Verfügung steht. Und dann versuchte ich so, ganz normal alle Programme an zu schauen. Zu meiner kleinen Überraschung gelang das zu fast 100% perfekt. Die meisten Bilder funktionieren mit 4 : 3 ausgezeichnet und kommen oft ganz altmodisch sogar viel intensiver rüber.
Wozu dann dieser jahrelange teure Aufwand zur Bildverbreiterung? Die Ursachen dafür sind gar nicht so kompliziert und geheimnisvoll. Viele Vorgänge in der Medienindustrie werden nämlich angetrieben durch bunte Leitfiguren mit ausgeprägtem Geltungsdrang. Im Volksmund auch Angeberei genannt. Wirkung vor Logik ist eines der Hauptmotive dieser Branche. Es muss scheppern und blitzen, egal wann, wo und warum.
Kleiner Nebengedanke: Der Nazi-Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels z. B. hatte sehr viel von der Film-Industrie gelernt. Und jener schlaue Albert Speer war sein begabter Partner, der ihm beim Aufbau der nationalsozialistischen Politik-Effekt-Struktur sehr engagiert half. Das ganze Dritte Reich lief praktisch ab wie eine riesige Dekoration für eine Filmproduktion mit Rundum-Schwenk und sehr lauter Tonspur. Nicht immer synchron und unbedingt mit Happy End, so wie sich der filmbegeisterte Führer das vorgestellt hatte, jedoch mit gewaltiger Wirkung auf den Verlauf der Weltgeschichte. Peng!
Solider Publikumserfolg basierend auf Machthunger, Herrschsucht und Geltungsdrang. Diese beiden Grundfaktoren spielen in der Politik und vor allem in der Medienindustrie auch heute noch fast immer eine entscheidende Rolle. Nicht nur schöne junge Frauen werden hier sexuell belästigt und die Produktionsbudgets immer weiter in die Höhe getrieben, sondern das Rad muss durch technische und dramaturgische Effekthascherei noch runder gemacht werden. Dazu gehört auch die meistens sinnlose aber teure Verbreiterung der Bildflächen.
Wo bleibt hier das Gefühl für die natürliche gesunde Wahrnehmung?! Effzienz? Ergonomie? Ein besonders trauriges Kapitel in dieser Sache leisten sich die meisten Dokumentarsender in der Bearbeitung von historischem Filmmaterial, das ja grundsätzlich im klassischen 4 : 3 Format produziert wurde. Fast immer verstümmeln hier die Redaktionen unsere kinematografischen Schätze zum 16 : 9 Format. Die Bildschärfe geht flöten, Köpfe werden abgeschnitten, passende Kompositionen kaputtgepfriemelt. Mal abgesehen davon, dass oft auch die Laufgeschwindigkeiten nicht stimmen. Zu Kaiser Wilhelms Zeiten haben also die Menschen so ein hektisches Gezappel veranstaltet, denken jetzt vielleicht die jungen Leute.
Zurück zu meinen Ermittlungen über die Entstehung und Geschichte des 4 : 3 Formats. Warum haben unsere Vorfahren schon sehr früh und gerne dieses bestimmte Seitenverhältnis in diversen Alltagspraktiken immer wieder verwendet? Die Antwort darauf ist ziemlich einfach:
Weil es unserem menschlichen Blickwinkel entspricht. Jedes unserer beiden Augen ermöglicht uns ein kreisförmiges Blickfeld. Diese beiden Kreise, im Abstand unserer Augen leicht übereinander geschoben, ergeben die klassische 4 : 3 Bildfläche. Zudem konzentriert sich der natürliche Blick stets auf die Bildmitte, ein Verhalten, das ja auch die normale Spielfilmproduktion geradezu fanatisch bis zu 100% bedient. Entsprechend zentrale Bildgestaltung und schnelle Schnitte versperren dem Zuschauer die Möglichkeit, auf der Bildfläche – vor allem in der totalen Einstellung – neugierig nach Details herumzuschauen. Schon gar nicht auf den Cinemascope-Seiten links und rechts. Wozu also soll dann diese künstliche Bildverbreiterung gut sein?
Schnitt, Schnitt, Schnitt, das ist Film! Bloß nicht nachdenken oder gar etwas Interessantes nebenbei entdecken! Die Medienleute wollen den Ablauf der Dinge beherrschen, wollen das Publikum in bestimmte Richtungen manipulieren. Machtausübung ist die Devise. Geld schaufeln! Wir gesunden Filmemacher jedoch sollten uns nicht zu sehr davon beeinflussen lassen, sondern ganz gelassen und organisch unsere Bilder 4 : 3 (manchmal auch in längeren Einstellungen) gestalten. Schaut man sich z. B. die unterhaltsame TV-Serie „Sex and the City“ an oder alte Spielfilme der UFA, aus Hollywood und von Ozu, dann erkennt man das Wunder ausgewogener Bild-Komposition im 4 : 3 Format ohne großen Aufwand, jedoch mit großer Wirkung.
Ein richtiger Spielfilm braucht vor allem eine echte Geschichte, gute Schauspieler, interessante Motive und natürliche Bildgestaltung und manchmal auch Regie. Dann läuft der bewährte Laden. Die dienende Kameraführung funktioniert dabei am besten im 4 : 3 Format, das Edison 1889 nicht etwa erfunden hat, sondern nur als bereits vorhandene Form an sich nahm und als Kommerz-Norm festlegte. Mit praktischem Erfolg.
Darauf sollte man sich in der Branche wieder besinnen. Also habe ich meinen modernen Camcorder einfach mal auf 4 : 3 eingestellt. Erstaunlich wie harmonisch jetzt die Bildgestaltung gelingt. Manchmal sieht man ja vor lauter Bäumen den Wald nicht. Und der freut sich bestimmt auch über den alten, bewährten Bildausschnitt.
Gerade eben habe ich noch einen besonderen Einsatz des 4 : 3 entdeckt: Das Toilettenpapier ist öfter mal auch in diesem traditionellen Format geschnitten. Na also!
Kontakt zum Autor: moviedler@gmx.de
(Foto: Fotoformate, Wikimedia)
Danke für die Würdigung des in der Tat sehr konzentrierten Formates 4:3 und dass man es projektbezogen auch heutzutage im Kopf haben sollte. In den letzten Jahren sind mir drei neue Spielfilme in diesem Format begegnet. Schlimmer noch finde ich die momentane Fixierung auf das Scopeformat ohne den gewonnenen Raum zu nutzen für z. B. weniger Schnitte oder um mal zwei Personen gleichzeitig im Dialog zu zeigen. Stattdessen wird genauso nah an alles rangegangen wie beim Fernsehfilm und Köpfe ständig angeschnitten. Es wirkt wie der verzweifelte Wunsch wie Kino aussehen zu wollen, als ob das ohne schwarze Balken nicht möglich wäre. Mein Plädoyer ist also zumindest mal mehr im normalen Breitwand zu filmen und die GRÖSSE des Bildes zu nutzen. Auch im Kino ist oder sollte dieses Bild ja zwar nicht so breit aber dafür höher als Scope und somit größer wirken.