Interview mit Produzentin Ann Carolin Renninger zum Deutschen Kurzfilmpreis für „Maman Maman Maman“

Mit „Maman Maman Maman“ hat Regisseurin Lucia Margarita Bauer einen tragisch-komischen Kurzfilm übers Abschiednehmen geschaffen. Bereits zum zweiten Mal hat sie hierfür mit der Schleswig-Holsteinischen Produzentin Ann Carolin Renninger zusammengearbeitet, die jetzt mit dem Sonderpreis beim Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet wurde. Was die Arbeit mit Lucia so besonders macht und warum sie selbst im Abspann als „Wegweisern“ betitelt wird, verrät Renninger im Interview.

Der Film ist ein spannendes und komplexes Geflecht aus unterschiedlichen Medien. Wie lange hat die Arbeit am Film gedauert?

Ann Carolin Renninger: Wir hatten gerade Lucias ersten Film Die Schlange im Einmachglas beendet, das war 2013, als sie mir bei einem Telefonat von der Beerdigungs-Odysee ihrer Großmutter erzählte. Ich hab aufgehorcht und gesagt: „Luci, das wird dein nächster Film“. Sie zeigte mir einige Fotos der Überführung des Sarges von Deutschland nach Frankreich. Das Lachen im Weinen, das Absurde in dieser Trauer, schienen bereits wie ein fertiger Film. Man musste ihn also nur noch machen. Der Elan sprang auch gleich auf die Jury des Berliner Senats über, die den Antrag auf ein Recherchestipendium absegnete.

Filmemacherin, Goldschmiedin, Sängerin, Fotografin: Luca Margarita Bauer hat viele Talente

Die Arbeit am Film konnte also nahtlos beginnen – und bald darauf wurde Lucia schwanger. Die Erfahrung des Mutterseins hat den Film, den wir anfänglich schon fertig vor uns sahen, vielleicht auf viel weitläufigere Bahnen gelenkt und ist am Ende zum titelgebenden Momentum geworden. Diese Verschiebung der Lebensprioritäten war ein wichtiger Punkt im Prozess, denn die Verschiedenartigkeit der Materialien im zunehmend verschlungenden Rohschnitt wuchs von Jahr zu Jahr an. Dies wäre vermutlich immer noch der Fall, wenn nicht die Förderreferentin des Films gewesen wäre, die dann doch irgendwann mal die Akte schließen wollte. Und hier ist der Filmwerkstatt Kiel in zweierlei Hinsicht zu danken: erstens für den gegebenen Freiraum und die Geduld und zweitens für den notwendigen Druck zur finalen Ausführung. Denn das, was sich über mehrere Jahre angesammelt hatte, wurde in nur wenigen Wochen verdichtet und zum fertigen Film arrangiert. Und da gab es dann schon die eine oder andere schlaflose Nacht. Die Premiere des Films war dann im Januar 2019 in Rotterdam.

Wenn die Familie im Film zusammenkommt, ist immer was los.

 

Im Abspann stehst du als „Wegweiserin“. Erzähl uns ein bisschen, wie du zu dem Titel gekommen bist.

Ann Carolin Renninger: Dies entspricht eben viel eher dem, wie wir uns und unsere Arbeit wahrnehmen. Lucia und ich kennen uns schon sehr lange, aus einer Zeit vor dem Filmemachen. Unsere Zusammenarbeit fühlt sich sehr familiär an. Daher erschien es uns als konsequent, mit den üblichen Zuschreibungen eines Filmabspanns zu brechen und nach eigenen Begriffen zu suchen. So auch beim dem, was sicher früher oft „Schnitt“, dann „Montage“ und nun zunehmend Editor nennt. René Frölke firmiert bei uns unter „Arrangement“. Was einer Arbeitsweise Rechnung trägt, die eher dem Produzieren von populärer Musik ähnelt. Denn hier ist es wichtig ist, den persönlichen Stil des Musikers herauszulesen und gegebenenfalls zu vervollständigen.

„Wegweiser“ trifft wiederum meine Arbeit sehr gut – denn es geht mir darum, Irrwege soweit wie nötig mitzugehen. Zu beobachten, welche Sackgassen relevant sind und welche gegen Wände führen und dies rechtzeitig zu erkennen. Und dann eben wieder auf einen Weg zu weisen. Und so haben wir uns für diesen Titel entschieden.

 

Produzentin Ann Carolin Renninger, die mit joon film ihre eigene Produktionsfirma in Schleswig-Holstein hat.

 

„Maman Maman Maman“ ist bereits deine zweite Zusammenarbeit mit Lucia Margarita Bauer. Wie seid ihr bei „Die Schlange im Einmachglas“ zusammengekommen?

Ann Carolin Renninger: Ich habe Lucia Margarita Bauer vor fast zwanzig Jahren in Straßburg kennengelernt. Wir haben dort beide studiert – sie an der Kunsthochschule und ich habe ein Austauschsemester an der Uni gemacht. Eigentlich haben wir uns kennen gelernt, weil mir die eleganten Lederschuhe ihres Mitbewohners so gut gefielen. Eines Tages besuchte ich ihn und war von da an mit Lucia befreundet.

Lucia zog weg aus Straßburg, weil sie das Studium als zu einengend empfand und ging nach Berlin zum Studium an die UdK. Wir sahen uns nur noch ab und an, aber etwa zehn Jahre später, als ich auch nach Berlin zog, wurde unsere Freundschaft wieder enger. Sie erwähnte ihren Abschlussfilm „Die Schlange im Einmachglas“ und war etwas unsicher damit. Gemeinsam mit René Frölke schaute ich mir den Film an – und wir waren beide sofort überzeugt von der unorthodoxen Erzählweise. Der Rhythmus des Schnitts und die Einbeziehung von Schrift und diversen Materialien, von Super8 bis 90er Jahre Mobiltelefonsounds, war bereits zu ihrem ganz eigenen Stil verschmolzen. Es war das perfekte Chaos. Wir haben Lucia bestärkt, den Film genau so zu lassen. So fing unsere Zusammenarbeit an. Wir schickten den Film nach Nyon und der damalige Festivalleiter Luciano Barisone lud ihn umgehend ein.

 

Regiseurin Lucia Margarita Bauer wirft einen Blick in die Familiengeschichte

 

Was unterscheidet Lucia von anderen Filmemacherinnen?

Ann Carolin Renninger: Mich faszinierte schon damals, als wir uns kennen lernten, wie Lucia mit einem sehr unkonventionellen Zugang der Realität begegnete – und diese oft mit ihrem Humor außer Kraft setzte. Diese Eigenart hat sie sich bewahrt und sie scheint durch jede ihrer Arbeiten auf eine sehr sensible und humorvolle Weise durch. Oft sind es die einfachen Dinge des Lebens, die in ihren verwandelnden Blick geraten. Ich denke, dass ihre Ausbildung als Goldschmiedin dabei ebenso Einfluss hat, wie ihre Sammelwut und ihr Talent als Sängerin, Mutter und Fotografin. Lucia ist mit 15 aus ihrem Zimmerfenster gestiegen und hat sich ihre eigene Welt erobert. Einen Teil der Reise, auf die sie sich damals begab, erzählt sie ja in ihrem ersten Film „Die Schlange im Einmachglas“.

Ich denke, sie unterscheidet sich, indem sie sich eben nicht unbedingt als Filmemacherin sieht, sondern einfach erzählen möchte. Sie schließt nichts aus, sondern nimmt an und gibt weiter. Sie gibt sich dem Chaos hin. Es ist stärker als sie. Lucia bedient sich mit einer großen inneren Freiheit bei den Dingen, die ihr begegnen. Das ist eine sehr großzügige Art des Filmemachens, weil es nicht in erster Linie um sie selbst geht, sondern um die Geschichte, die ihr widerfahren ist.

 

Die Überführung der toten Großmutter von Deutschland nach Frankreich: Eine kleine Odyssee

 

Erst der Förderpreis für Filmkunst der Deutschen Nationalgalerie, jetzt der mit 20.000 Euro dotierte fakultative Sonderpreis beim Deutschen Kurzfilmpreis. Was macht „Maman Maman Maman“ so besonders?

Ulrich Matthes sagte bei der Preisverleihung für den Förderpreis für Filmkunst, dass der Film ihn aufgrund der „oszillierenden Schichten“ an eine Lektüreerfahrung von „Erinnerung sprich“ von Nabokov erinnerte. Dies zeigt, wie sie es schafft, Dinge in Bewegung zu bringen, die ein paar Schichten tiefer liegen. So sind in den Film, scheinbar wild eingestreut, Buchcover aus der Bibliothek ihres Vaters eingearbeitet. Wo sie herstammen erfahren wir allerdings nicht, vielmehr bilden sie eine Art tiefenpsychologische Ebene, die sich assoziativ in die Handlung webt und auf diese wie eine Horizonterweiterung wirkt.

Ich könnte noch vieler solcher Details aufzählen, sie alle bewirken eine veränderte Raum-Zeit-Erfahrung des Zuschauers. All das ist nur möglich, und das zeichnet den Film aus, weil grundsätzlich das bewegte Bild, der Ton, grafische Elemente, Titel und Untertitel als Elemente gleichberechtigt nebeneinander stehen und in ihrem eigenen Rhythmus gemeinsam an der Erzählung arbeiten.

Im Jahr 2017 hast du gemeinsam mit René Frölke dein Regiedebut gegeben: „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ lief auf der Berlinale und hat für viel Aufsehen gesorgt. Orientierst du dich in Zukunft mehr in Richtung Regie oder eher Produktion?

Ann Carolin Renninger: Für mich spielen die Kategorien keine so große Rolle. Für mich steht immer im Mittelpunkt, dass das, was ich tue, machbar und menschlich bleibt. Ich sorge dafür, nicht an zu vielen Projekten gleichzeitig zu arbeiten und bei der Finanzierung achte ich darauf, größtmögliche Freiheit zu haben. Denn nur mit dieser Freiheit ist es möglich, Filme zu machen, die anders sind, die Schneisen ins Konforme schlagen. Ich arbeite sehr eng mit René Frölke zusammen, der auch mein Lebenspartner ist, und wir unterstützen uns bei allen Projekten gegenseitig. Das ist natürlich eine luxuriöse Haltung, die nicht leicht mit dem Geldverdienen zu vereinen ist. Ein ziemlicher Spagat, bei dem wir immer wieder auf die Probe gestellt werden.

Momentan sieht es so aus, dass ich mit den Filmemacher:innen, mit denen ich bereits arbeite, weiter mache und ansonsten vor allem meine eigenen Sachen umsetzen möchte. Dies betrifft neben dem Filme- auch das Büchermachen, eine andere Leidenschaft von mir.

 

Allerlei Briefe, Fotos und Gegenstände wurden in den Film mit eingewoben – so auch dieser Buchrücken

 

Bis vor Kurzem hast du noch in Berlin gelebt, jetzt bist du in deine Heimat Schleswig-Holstein zurückgekommen. Kontrastreicher geht es wahrscheinlich nicht. Was gefällt dir als Filmemacherin an Schleswig-Holstein?

Ann Carolin Renninger: Wir leben sehr zurückgezogen auf dem Land und diese Ruhe und die Nähe zur Natur lassen natürlich viel mehr inneren Freiraum als das Leben in der Stadt. Außerdem bin ich hier geboren und merke, dass der Landstrich und vor allem die Ostsee eine sehr beruhigende, klärende Wirkung auf mich hat. Es gibt weniger Ablenkung, aber auch weniger Input, was beides seine Vor- und Nachteile hat. Nach zehn Jahren in Berlin scheint es ein angemessener Schritt zu sein. Wir sind noch eng mit unserem Netzwerk in Berlin in Kontakt und erst langsam verknüpft es sich auch hier oben ein wenig. Aber das Wachsen braucht Zeit.

Stills: Lucia Margarita Bauer/joon film; Porträt Ann Carolin Renninger: René Frölke/joon film; Titelbild: Die Großmutter der Regisseurin zu Lebzeiten: Babet Berger
(zuerst erschienen auf www.ffhsh.de)
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