Selbstamputation

Was wird aus dem Filmfest Schleswig-Holstein? – Nach dem 23. Festival ist der Fortbestand gefährdet

Ein Ausschnitt aus einem Erinnerungsartikel von mir anlässlich des 10. schleswig-holsteinischen Filmfestes Augenweide: „Am Samstag, dem 4. September 1993, fand das erste ’schleswig-holsteinische Filmfest Augenweide’ im Kieler Kommunalen Kino in der Pumpe statt. Wir wollten so viel und hatten doch nur einen Samstagnachmittag und -abend Zeit dafür: der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es sich lohnt, auch hierzulande in Filmförderung zu investieren. Wir wollten möglichst viele gute Filme zeigen, feiern und mit anderen über Filme aus Schleswig-Holstein ins Gespräch kommen. Im Programmfaltblatt hieß es von Linde Fröhlich, der damaligen Vorsitzenden des Vereins Kulturelle Filmförderung Schleswig Holstein, dazu unter anderem: ’Dabei möchten wir Ergebnisse unserer Arbeit präsentieren und eine Auswahl von Filmen zeigen, die im Rahmen der Kulturellen Filmförderung entstanden sind.’ Hinzukommen sollten, wie weiter unten zu lesen stand, ’Produktionen von Filmemacherinnen und Filmemachern, die keine direkte Förderung erhielten, ihre Talente aber aufgrund der kreativen Atmosphäre im Land entfalten konnten’.“
„Wir“, das waren schleswig-holsteinische Filmemacher*innen, die neben dem Filmforum Schleswig-Holstein auf den Nordischen Filmtagen Lübeck eine zweite Bühne zur öffentlichen Präsentation ihrer Werke haben wollten und zwar in Kiel. Und diese Initiative wurde ein Erfolg, auch deshalb, weil die Kulturelle Filmförderung SH mit der Filmwerkstatt Kiel mitzog, und zwar nicht unter anderen, sondern an vorderster Stelle.
Titelblatt des Programmfolders zur ersten Augenweide 1993
In den letzten Jahren kam es aus verschiedenen Gründen zu Umbrüchen, sowohl intern als auch extern, die nicht spurlos am Festival vorbei gingen. Doch das Filmfest konsolidierte sich gerade mit positiver Tendenz, verschiedene Neuerungen griffen, nicht zuletzt auch aufgrund des erfolgreichen Einsatzes von vielen aus der hiesigen Filmszene und des Vereins Filmkultur Schleswig-Holstein.
Strukturelle und organisatorische Basis aller Bemühungen und Heimat des Filmfests waren von Anfang an die Filmwerkstatt Kiel und das Kommunale Kino in der Pumpe.
Ende August teilte Arne Sommer, Geschäftsführer der Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH), dem Vorstand des Vereins Filmkultur Schleswig-Holstein e.V. und dem Kommunalen Kino in der Pumpe, nun mit, dass die Filmwerkstatt Kiel ihre bisherige Beteiligung am Filmfest Schleswig-Holstein beende. Die Filmwerkstatt wolle sich ihrer Kernaufgabe, der Betreuung der Filmschaffenden, und einem größeren Seminarangebot widmen. Die bisherige Förderung des Filmfests bliebe bestehen, die Filmwerkstatt werde sich mit einem Netzwerkevent (z.B. Filmfrühstück) ins Filmfest einbringen. (Nach einer vereinsinternen Mitteilung der Filmkultur Schleswig-Holstein e.V.)
Banner vom letzten Filmfest Schleswig-Holstein?
Eine auf den ersten Eindruck überraschende und in ihrer Konsequenz nicht nur sehr bedauerliche, sondern grundsätzlich zu kritisierende Entscheidung, die den Fortbestand des Filmfests mehr als gefährdet. Die Filmwerkstatt hat sie ohne jegliche vorherige, wenigstens fachöffentliche Diskussion mit den Betroffenen nur in Absprache mit Helge Albers, dem Geschäftsführer der FFHSH in Hamburg, gefällt. Anscheinend ohne jedwede Berücksichtigung der Gegenargumente und völlig intransparent, was den Entscheidungsprozess betraf, stellte man die Mitveranstalter, Filmkultur Schleswig-Holstein und Kino in der Pumpe, vor vollendete Tatsachen.
Nicht zu schweigen davon, dass die Aufkündigung der Beteiligung der Filmwerkstatt mindestens ein Jahr zuvor hätte angekündigt werden müssen, um dem Filmfest Zeit und Möglichkeit zu geben, sich strukturell und organisatorisch neu aufzustellen und so potentiell die Chance zum Fortbestehen unter einem anderen Dach zu ermöglichen. Dem Vernehmen nach wurden auch im Aufsichtsrat der FFHSH keine Bedenken bzw. Einwände geäußert.
Soll nach 23 Festivals in 26 Jahren so die Historie dieses kleinen, aber feinen Festivals, das Erhebliches für das Selbstwertgefühl der hiesigen Filmemacher*innen und die filmkulturelle Entwicklung des nördlichsten Bundeslandes geleistet hat, zu Ende gehen?
Nun mag man einwenden, dass die Filmwerkstatt Kiel ja „nur“ nicht mehr bereit ist, als Mitveranstalter aufzutreten. Das heißt in diesem Fall aber, dass ein entscheidender Leiter, der Organisator, und die damit verbundene eingespielte Infrastruktur des Festivals wegfallen.
Hinter der Entscheidung verbirgt sich ein bedauerlicher Wandel im Selbstverständnis der Filmwerkstatt Kiel. Sie verwehrt sich ohne große Not einer wichtigen Bühne, auf der sie ihre erfolgreiche Arbeit dokumentieren konnte, und entfremdet sich zugleich ein Stück von den Filmemacher*innen. Das schleswig-holsteinische Filmfest Augenweide, heute Filmfest Schleswig-Holstein, war immer auch ein Aushängeschild der Filmförderung und der Filmwerkstatt Kiel. Ein Indiz für die enge Beziehung zwischen hiesiger Filmförderung und den Filmschaffenden im Lande. Es bezeugte den besonderen Stellenwert der Institution Filmwerkstatt als Anwalt und Repräsentant für das Filmgeschehen im Land. Ein wichtiger Bestandteil, wenn nicht sogar der Markenkern der Filmförderung war und ist die Basisarbeit. Die Heranführung des Nachwuchses ans Metier. Diese Funktion hatte auch zu einem nicht geringen Teil das Filmfest SH, das neben langen Dokumentarfilmen gerade mit Kurzfilmen und kleineren experimentellen und dokumentarischen Arbeiten des Nachwuchses punkten konnte.
Mit der kreativen und tatkräftigen Hilfe des kleinen Teams der Filmwerkstatt und einiger ehrenamtlichen Mitstreiter*innen etablierte sich das Filmfest als ein Ort der Kommunikation zwischen hiesigen Filmschaffenden, der Film-Community und einer interessierten Öffentlichkeit. Auf dieser Kommunikationsplattform konnte die Filmförderung sehen, wo sich ihre Klientel befand. Der jeweilige Stand der Dinge fand seinen Niederschlag im Programm, bot der Öffentlichkeit einen buchstäblich „sicht“baren Rechenschaftsbericht und zugleich Filmschaffenden und Förderung Vergleich und Orientierung.
So führte das Festival, egal ob bepreist oder nicht, einen Wettbewerb (ein „Aneinandermessen unter kontrollierten Bedingungen“) durch, der eine absolute Notwendigkeit für eine nachhaltige Entwicklung der einzelnen Filmschaffenden sowie der hiesigen Community war. Die Filmemacher*innen wurden veranlasst, ihre Komfort-Zone zu verlassen, über den Tellerrand hinweg zu schauen und die eigene Arbeit/Leistung realistisch einzuschätzen.
Summa summarum war das Filmfest Schleswig-Holstein live vor Ort praktizierte Filmförderung, unverkennbar ein wichtiges Bindeglied zwischen hiesiger Filmszene und Filmwerkstatt Kiel und somit ein essentielles Standbein und Aushängeschild letzterer.
Weshalb man sich freiwillig dieses Instruments der Filmförderung begibt und das zu einem Zeitpunkt, an dem neue Ideen in Programm und fachlicher Begleitung beginnen, erste Früchte zu tragen, bleibt unverständlich und wird trotz aller vermuteten „buchhalterischen“ Argumente auch nicht einsehbarer.
(Helmut Schulzeck)
Der Dokumentarfilmer Helmut Schulzeck hat 1993 das „schleswig-holsteinische Filmfest Augenweide“, ab 2014 „Filmfest Schleswig-Holstein“, mit gegründet und gehört seitdem dem Festivalteam (zuletzt als Co-Kurator und Programm-Co-Moderator) ununterbrochen an.
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