69. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2019

Was vom Wettbewerb übrig bleibt

Drei Erinnerungsfragmente von der 69. Berlinale, ein paar Wochen später notiert

Dieses Jahr hatte man bei vielen Besuchen der Pressevorführungen des Berlinale- Wettbewerbs das Gefühl, einer doppelten Pflichterfüllung beizuwohnen, die Gott sei Dank durch das Zusammentreffen und die anregenden Gespräche mit den KollegInnen aus aller Welt aufs glücklichste gemildert wurde. Pflichterfüllung der JournalistInnen durch ihr Interesse, das bessere, anregende und unterhaltsame Filmkunst verdient hätte. Und Pflichterfüllung für den Festivalchef Dieter Kosslick und seine Kuratoren des Wettbewerbs, die in Gänze betrachtet doch ein ziemlich braves und ereignisloses Programm zusammengestellt hatten, das Außergewöhnliches auf der Leinwand selten zuließ.
Schon seit ein paar Jahren habe ich den Eindruck, dass das Wettbewerbsprogramm der Internationalen Filmfestspiele Berlin von Ausnahmen abgesehen eher saft- und kraftlos die Festivaltage füllt. Und damit bin ich unter meinen vielen KollegInnen der Filmkritik nicht alleine. Ab und zu gibt’s ein Highlight, das einen beschwingt und überraschend zufrieden aus dem Berlinale-Palast entlässt. Aber insgesamt reißt es einem wirklich nicht vom Kinogestühl. Zu oft sehen wir “mittlere” Filme, die mehr wollen als sie zeigen (können?). Bleibt uns nur die Zeitverschwendung oder das Gefühl, beim Wettbewerbsbesuch, (nicht nur) womöglich einen sehenswerten Film aus einer anderen Sektion zur gleichen Zeit in einem anderen Kino verpasst zu haben?
“Grâce a Dieu” (“Gelobt sei Gott”) war dieses Jahr so ein Beispiel für einen “wollenden” Film. François Ozon hätte lieber einen Dokumentarfilm über dieses aktuelle Thema drehen sollen. Die dramaturgische Struktur, mit der der Film sein Thema angeht, ist sehr eng an die tatsächlichen Vorgänge des großen französischen Missbrauchskandals innerhalb der katholischen Kirche und ihrer jahrzehntelangen Verdrängung selbst durch die oberste Leitung angelehnt. Der episodischen Handlung gelingt es aber über weite Strecken nicht, einen gelungenen erzählerischen Bogen zu schlagen und daraus eine handlungstragende Geschichte zu entwickeln. Die gute Absicht liegt auf der Hand. Aber ein filmisches Drama mit all seinen Emotionen, die der Stoff nicht nur hergibt, sondern für einen Kinofilm geradezu verlangt, ist nicht entstanden. Stattdessen erzählt Ozon trocken und gedehnt die Abläufe der Aufdeckung nach. Als verdienstvoll wurde das von vielen Seiten hoch gelobt und sogar bepreist, ist aber als Film betrachtet vor allem eins: uninspiriert und langweilig.
Still aus “GraÌ‚ce aÌ€ Dieu” (Foto: Berlinale)
Einen wirklichen Aufreger wollte Fatih Akin mit seinem “Der Goldene Handschuh” rund um den Frauenmörder Fritz Honka (Jonas Dassler) auf dem St. Paulianischen Kiez der 70er Jahre präsentieren. Und die Berlinale scheute sich nicht, ihm aller ihrer frauenrechtsaffinen Bekundungen als Mitläuferin der Me-Too-Debatte zum Trotz dafür eine Wettbewerbsleinwand zu bieten. In diesem Zusammenhang hatte man seltsamerweise keine Befürchtungen als scheinheilig entlarvt zu werden.
“Der Goldene Handschuh” – Jonas Dassler als Fritz Honka (Foto: Berlinale)
Für mich war Akins Film der Tiefpunkt im Wettbewerb. Ein Besuch einer Filmvorstellung mit Honkas Episoden ist reine Zeitverschwendung und enervierend, es sei denn, man steht auf elend lange zelebrierte Meuchel- und Metzelszenen sowie öd triste Milieuklischees.
Mag es selbst so gewesen sein oder in Heinz Strunks Romanvorlage stehen … Auf der Leinwand funktioniert eine solche Umsetzung in Bilder und Handlung einfach nicht. Da mag die Ausstattung auch noch so sensationell authentisch wirken. Akin trägt einfach zu dick auf. Das macht den Film so unerträglich. Honka kommt mit seiner total entstellten Gesichtsfratze daher wie ein verunglückter, aus Frankenstein und Zombilein gemischter Klon. Und das Personal der titel-gebenden Kneipe gleicht einer Freakshow mit dem hier wirklich unseligen, zerzausten Hark Bohm in ihrer Mitte.
Doch bei aller Geduld und Leidensfähigkeit als Zuschauer: Das Schlimmste ist, dass Akin versucht (meinetwegen auch unabsichtlich, was das Ganze aber nicht besser macht), den Frauenfiguren als Opfern ihre Würde zu nehmen. Dass ihm das nicht gelingt, ist ganz allein den Darstellerinnen zu verdanken, die selbst in den trübsten Momenten der Instrumentalisierung ihrer alternden, welken Körper für den dumpfen, widerstrebenden Voyeurismus, zu dem der Film den Zuchauer einlädt, doch einen elementaren Überlebenswillen ausstrahlen, den das Drehbuch ihnen insgeheim doch abzusprechen scheint.
Was für einen Kontrast dazu bietet Nora Fingscheidts Kinderheits- und Sozialdrama “Systemsprenger”. Kraftvoll, glaubwürdig und spannend vom allerersten bis zum letzten Moment erzählt der Film von der unbändigen Sehnsucht der jungen Benni nach Liebe und Geborgenheit, die ihre rebellische Wut als Kampfmittel gegen die von ihr nicht zu akzeptierende Umwelt und deren Bemühungen, sie zu zähmen, einsetzt. Dabei entwickelt Helena Zengel als Darstellerin der Benni eine solche radikal ungestüme Energie, dass es nicht nur ihre “Zielpersonen” im Film, sondern auch den Zuschauer im Kino glatt umhaut.
“Systemsprengerin” Benni (Helena Zengel) (Foto: Berlinale)
Als unermüdliche “Systemsprengerin” zeigt Bennie der normierten und normierenden Umwelt ihre Grenzen auf. Für den Preis, mit ihrer Mutter zusammen leben zu dürfen, ist sie bereit, alle Regeln, die sich ihr in den Weg stellen, zu brechen, jegliche Struktur zu missachten und als personifizierte Verweigerung durchs Leben zu streiken. Dass die Mutter mit dieser überwilden Neunjährigen, die zum Opfer der hilflosen Verhältnisse und ihrer selbst wird, total überfordert ist, mag nicht überraschen. Doch schon bald wird auch klar, dass erst diese Mutter das Kind so hat werden lassen.
Aus dem mehrfach preisgekrönten eigenen Drehbuch hat Nora Fingerscheid einen intensiven Film gemacht, der neben dem Schicksal dieser sich total auflehnenden jungen Rebellin auch die oft sisyphoshaften Bemühungen von Erziehern, Psychologen und anderen Jugendamtsmitarbeitern beleuchtet und eine Lanze für deren nicht selten unermüdlichen Einsatz bricht. (Helmut Schulzeck)
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