Die Filmbriefe der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein (1989 – 2000) auf www.infomedia-sh.org

In der September-Ausgabe 2017 unseres Newsletters www.infomedia-sh.org starteten wir mit einer historischen Serie. Jeden Monat wird in chronologischer Folge eine Nummer des Filmbriefs der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. (heute Filmkultur SH) im PDF-Format zusammen mit einigen förderungsgeschichtlichen bzw. editorischen Anmerkungen veröffentlicht. Hier Filmbrief Nr. 5 vom April 1990.

Anmerkungen zum Filmbrief Nr. 5: Stiftung Schleswig-Holsteinische Cinémathèque

Der Filmbrief Nr. 5 vermeldet in einem relativ ausführlichen Text als neues institutionelles Mitglied die in Lübeck ansässige Stiftung Schleswig-Holsteinische Cinémathèque (SHC). Damit ist nun freilich kein Institut gemeint, das sich um Erhalt und Verbreitung von Film als Kulturgut kümmert, wie es bei dm Namensvorbild in Paris der Fall ist. Zwar sollen auch hier Filme archiviert werden, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Und so verkündet Stiftungsvorsitzender Joachim Steffen dem erstaunten Filmbrief-Leser, Aufgabe der Stiftung SHC sei es, „den Anteil von Schleswig-Holstein an der deutschen Film- und Kinogeschichte systematisch regional zu erforschen und die Filme und Sekundärliteratur zu archivieren“. Abgesehen davon, dass dieser Anspruch fast an heutige hypertrophe Forderungen erinnert, ist das schon 1990 ein hochgestecktes, wenn nicht erstaunliches Ziel. Hat Schleswig-Holstein bis zu der Zeit überhaupt einen Anteil an nämlicher Historie? – Ach ja, z.B. die Filme „Buddenbrooks“, „Die Mädels vom Immenhof“, Veit Harlans Storm-Verfilmung „Immensee“, und Hans Söhnker und Bernhard Minetti waren geborene Kieler, den Bauernsohn Detlev Buck aus der Gegend um Bad Segeberg nicht zu vergessen und natürlich die Nordischen Filmtage Lübeck. Aber wo will Steffen die Filmkopien hernehmen und wie will er sie fachgerecht konservieren und lagern? Alles unbeantwortete Fragen. Dessen ungeachtet sammelte Joachim Steffen fast manisch alles, was ihm in Sachen Film in die Hände fiel.
So gab es selbstverständlich eine gediegene, ständig wachsende, öffentlich zugängige Film-Präsenzbibliothek in den Räumen der Stiftung, in nächster Nachbarschaft zum Filmbüro der Kulturellen Filmförderung (im selben Gebäude in der Königstr. 21). Ein gebundener Katalog der Bestände für Stadtbibliothek, Schulen, Stadtbildstellen u.s.w. würde nach Steffens Worten gerade (April 1990) erstellt, aber zu keiner Zeit veröffentlicht. In die Stiftung wurde „filmhistorisches Material“, das „für die filmhistorische Forschung unentbehrlich“ ist, eingebracht, „wie Filmprogramme, Plakate, Fotos (…), Pressehefte, Zensurkarten, Werbematerialien, Nachlässe (…)“.
„Wohin soll sich der Filmfreund in Schleswig-Holstein wenden, wenn er sich biographisch und filmographisch mit dem Film beschäftigen will? Wer sich über die Geschichte des Films informieren wollte, war bis vor drei Jahren gezwungen, nach Berlin oder Frankfurt zu reisen, denn dort war das gesuchte Sekundärmaterial in der Stiftung Deutsche Kinemathek (SDK) und im Deutschen Institut für Filmkunde (DIF) vorhanden.“ Dieser kleine Absatz verweist auf Steffens große Vorbilder.
Trotz Überschätzung der eigenen Möglichkeiten entfaltete Steffen über Jahre hinaus eine wahre Sisyphustätigkeit: pflegte Literatur in die Bestände ein, schnitt Filmkritiken aus Zeitungen aus, legte eine Datenbank an, sammelte VHS-Kassetten, später DVDs, bemühte sich um materielle und finanzielle Spenden, ordnete eifrig, unermüdlich, aber letztlich auch, man möge mir den Ausdruck verzeihen, betriebsblind „Devotionalien“ der Filmgeschichte, die hier in Schleswig-Holstein letztlich nur wenige brauchten und nutzten. Getrieben von einer idealistischen Wunschvorstellung, seine Einrichtung zu einer allseits genutzten und anerkannten Anlaufstelle für Filmhistoriker und Cineasten zu machen, schien er nicht selten die Herausforderung zu unterschätzen, seinen ausufernden Stoff systematisch zu straffen und thematisch zu beschränken. Zugleich überschätzte er optimistisch das zukünftige öffentliche Interesse an seiner Einrichtung. Immerhin gelang es, über Jahrzehnte hinweg prominente Fürsprecher in den Stiftungsrat einzubinden, so z.B. in der Anfangszeit den damaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Björn Engholm, den Gründer und langjährigen Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Heinz Rathsack und den anerkannten Filmwissenschaftler Knut Hicketier.
Im November 2013 erschien in den Lübecker Nachrichten unter der Überschrift „Filmschatz schlummert in 1000 Kisten“ ein längerer Artikel über den Stand der Dinge, der schon im Vorspann die Malaise offenlegt: „Ein Kinofan will seine 7000 DVDs, 7000 Bücher und eine Datenbank für jedermann zugänglich machen. Aber es fehlt an Geld.“ Mit anderen Worten, trotz Steffens’ enthusiastischen Strebens und seines starken persönlichen Einsatzes, die Sammlung aufzubauen, will sie niemand haben, geschweige denn Geld dafür ausgeben. Da nützt auch die imponierende Auflistung der Sammlungsbestanteile, die wir in dem Zeitungsartikel finden, nichts:
„Steffens Sammlung hat es in sich: Sie besteht aus mehr als 7000 DVDs und Videos „” Stummfilmen, Schwarz-Weiß-Streifen, aber auch den jüngsten Kinofilmen der Nordischen Filmtage. 17000 digitalisierte Filmfotos plus fünf Regalmeter Pressefotos. 7200 Bücher von 1920 bis heute, darunter „Filmstars ohne Hüllen“ oder „Stars sexy serviert“ von 1964. Daneben gibt es 300 Ordner mit Presseheften, fünf Regalmeter Filmzeitschriften, zehn Meter mit ausgeschnittenen Filmkritiken aus Zeitungen, vier Meter Filmprogramme, dutzende Originalplakate wie das des Films „Buddenbrooks“ von 1959, Filmkalender, Zeitungsausschnitte und vieles mehr. Einzigartig: Steffen hat eine Filmdatenbank aufgebaut, die mehr als 24 000 Streifen beinhaltet und mehr als 30 000 Daten von Schauspielern und Regisseuren. Dort kann geforscht werden. Der Schwerpunkt liegt bei allem auf der nordischen Filmszene…“
Joachim Steffen (inzwischen bald 80 Jahre alt) ist bis heute auf seinem Traum „sitzen geblieben“. In Pappkartons und Kisten verstaut und in einer Lübecker Lagerhalle aufbewahrt wartet die Sammlung nunmehr schon seit Jahren auf Interessenten und eine sinnvolle Nutzung. Ihr droht der schleichende Tod durch Vergessen. Denn wer will sich im digitalen Zeiten noch mit Filmbibliotheken oder DVD-Sammlungen herumschlagen, womöglich noch mit alten, gedruckten Presseheften, Programmen, Kritiken, wo doch scheinbar alles so mühelos im Internet zu finden ist? In der norddeutschen Provinz wohl kaum einer, wenn der Schein nicht trügt. Steffens „Filmschatz“ wäre nicht die erste sorgfältig zusammengetragene Sammlung, die einfach „verschwindet“, obsolet ist, weil niemand sie hier will, mehr als ein „na und?“ für sie übrig hat, es kaum einen kümmert. So erging es z.B. auch zwei exzeptionellen Sammlungen von Filmliteratur in Kiel, der Medienbibliothek der Studentischen Arbeitsgemeinschaften im Kieler Studentenwerk und der Filmbibliothek der Arbeitsgruppe Film der Christian-Albrechts-Universität unter Kurt Denzer. (Helmut Schulzeck)

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