Lebendiger Geschichtsunterricht
Kieler Hebbelschule zeigte Dokumentation „Bis an die Grenze“ von Gerald Grote und Claus Oppermann
Eine naheliegende Kooperation: Die Kieler Filmemacher Gerald Grote und Claus Oppermann gestalteten mit der Hebbelschule in Kiel einen besonderen Geschichtsunterricht. Die Produktionsfirma EinfallsReich und das Gymnasium liegen nur einen guten Kilometer voneinander entfernt. Also kam man auf die Idee, am Gedenktag des Mauerfalls gemeinsam den Dokumentarfilm „Bis an die Grenze“ vor 65 SchülerInnen des 10. Jahrgangs zu präsentieren. Wie passend, dass Gerald Grote einst Schüler der Hebbelschule war. „Es ist etwas Besonderes, wieder hier zu sein“, sagte er.
Für die SchülerInnen war der Besuch ebenfalls etwas Besonderes. Selten bekommt man die Gelegenheit, Filmemachern Fragen zu stellen. Zunächst schauten die Jugendlichen die 90-minütige Dokumentation über die Berliner Mauer an. Der Film erzählt mit außergewöhnlichen Super-8-Aufnahmen von Privatpersonen vom Mauerbau im Jahr 1961 bis zu ihrem Fall im Jahr 1989. „Es sind Bilder, die es vorher noch nie zu sehen gab“, erklärte Claus Oppermann. Eine persönliche Sicht auf deutsch-deutsche Geschichte. Und auch wenn der Film bereits von 2011 ist, ist der aktueller denn je. Denn er zeigt, wie unsinnig Mauern sind.
(v.l.) Claus Oppermann, Gerald Grote und Lehrerin Daniela Manthei im Gespräch mit den SchülerInnen (Fotos: Sven Bohde)
Anschließend begann die Fragestunde: „Wie lange hat es gedauert, den Film fertigzustellen?“ Die Antwort: „Anderthalb Jahre.“ Grote und Oppermann waren auf die Idee gekommen, machten einen Aufruf, um Filmmaterial zu finden, sammelten es ein, digitalisierten und schnitten es aufwendig zusammen. Zusätzlich führten die zwei Kieler Interviews mit Zeitzeugen. „Das war bestimmt sehr emotional, oder?“, wollte eine Schülerin wissen. „Und wie!“, meinte Grote. Denn viele BerlinerInnen haben aufgrund der Mauer den Kontakt zu Verwandten und FreundInnen verloren. Da flossen oft die Tränen – nicht nur in den Filmen, sondern auch während der Interviews.
Mit Zeitzeugeninterviews hat man sich an der Hebbelschule auch bereits beschäftigt. Im vergangenen Jahr hatten SchülerInnen einige KielerInnen zu ihrer Vergangenheit befragt. Die Ergebnisse in Form von Videos wurden im Flandernbunker präsentiert. Es war ein erfolgreicher Versuch, neue Medien im Geschichtsunterricht zu nutzen. Ähnlich wie nun mit Grote und Oppermann. „Ihr Film über die Mauer vermittelt Geschichte auf eine sehr persönliche Weise“, sagte Geschichtslehrerin Daniela Manthei, die die Filmvorführung – finanziert vom Hebbel-Alumni-Verein – mit ihrem Kollegen Philipp Wolter betreute. So würden die Schüler merken, dass jeder Mensch ein Teil Geschichte ist.
Dann wurde es technisch: Claus Oppermann hatte eine alte Kamera und Filmrollen mitgebracht. Damit erklärte er die Schmalfilmtechnik. Kamera und Rollen wurden durch die Reihen gegeben. So wurde alles sehr anschaulich. „Und wie digitalisiert man alte Filme?“ Grote und Oppermann verfügen über einen Filmscanner. Ein Lichtstrahl geht durch jedes einzelne Filmbild, so dass eine hochauflösende Kamera es aufnehmen kann und an einen angeschlossenen Computer schickt, der eine Videodatei erstellt. (Wer Filmmaterial digitalisieren lassen will, kann sich an EinfallsReich wenden.)
„Und kann man vom Filmemachen leben?“, wollte ein Junge wissen. „Du wirst nicht reich davon“, antwortete Oppermann. Dokumentarfilmer lebten sehr bescheiden. Nur 70 Prozent von ihnen könnten wirklich ihren Lebensunterhalt damit bestreiten. Es gehört viel Idealismus dazu, wie man Grote und Oppermann anmerkte.
Schließlich fragte die Lehrerin Daniela Manthei die SchülerInnen, welche Szenen ihnen im Gedächtnis geblieben seien. Die Bilder vom Bau der Mauer und die weinenden Menschen, die mit Taschentüchern ihren Verwandten zum Abschied auf unbestimmte Zeit winkten, lösten am meisten Emotionen aus. Denn den SchülerInnen wurde vor Augen geführt: Damals gab es keine Smartphones, um geliebte Menschen schnell zu erreichen.
Hebbel-Schülerin Lisbeth (16) ist eine der letzten ihrer Generation, die noch analoges Filmmaterial kennt
Die Schülerin Lisbeth erkannte im Film starke Kontraste: „Einige Szenen waren sehr traurig, aber es gab auch fröhliche Momente zu sehen.“ Die 16-Jährige ist übrigens die einzige der Jugendlichen, die schon einmal Schmalfilmmaterial gesehen hat. „Meine Patentante hat mir mal einen Film gezeigt“, erzählte Lisbeth. „Es war seltsam, weil es keinen Ton gab, dafür aber das laute Rattern des Projektors.“ Beim Film von Grote und Oppermann rattert nichts. Die zwei Dokumentarfilmer haben die stummen Filmelemente mit Ton und Musik unterlegt. Gerald Grote erzählte schließlich noch davon, wie schwierig es war, die Musikrechte zu klären. „Eine Woche vor der Premiere war noch nicht alles sicher.“ Die Schüler hörten gespannt zu. Geschichtsunterricht, wie er lebendiger nicht sein könnte. (Sven Bohde)