2. Int. Ocean Film Festival CineMare 2017
CineMare 2017 – Ein Streifzug durch das Festivalprogramm
Bereits der Eröffnungsabend des 2. CineMare International Ocean Film Festival 2017 offenbarte die Bandbreite des Programms, das den Festivalbesucher in den folgenden vier Tage erwarten sollte: Während man in der Empfangshalle des Zoologischen Museums Kiel schon einen Blick durch die Virtual-Reality-Brille auf die „Superhelden der Tiefsee“ (Isabel Beyer, D 2017) werfen konnte, gab es im Anschluss an die Eröffnungsansprachen zunächst mit „Ocean Contemporary Art Films“ eine kleine Reihe von Kunstfilmen, die auch während des ganzen Festivals zwischen den Vorstellungen auf Monitoren zu sehen waren, zusammengestellt von Kuratorin Katja Vedder (Art Objective).
Neben dem mit dem CineMare-Kurzfilmpreis gekrönten Boat-People-Flüchtlingsthriller „Bon Voyage“ (Marc Wilkins, SW 2016) fiel besonders die filmische Miniatur „Johanna Under The Ice“ des Fotografen Ian Derry (UK 2016) ins Auge. Derry zeigt die finnische Freitaucherin Johanna Nordlab bei einem in atemberaubend schönen Bildern festgehaltenen Tauchgang mit angehaltenem Atem (Apnoe) unter dem Eis eines zugefrorenen finnischen Sees. Nordblad kommentiert aus dem Off wie sie durch einen komplizierten Beinbruch zur Kaltwassertherapie und damit zum Apnoe-Eistauchen kam. In wenigen Sätzen bringt sie die Faszination des meditativen Sports auf den Punkt: Absolute Selbstbeherrschung und Respekt vor dem für den Mensch lebensfeindlichen Element Wasser ermöglichen eine Grenzerfahrung in der Natur.
360-Grad-Tauchgang via Blick durch die VR-Brille (Foto: dakro)
Einen ausführlichen Überblick von Jörg Meyer über das gesamte Filmprogramm am Eröffnungsabend gibt es hier.
Auf Faröer im rauhen Klima des Nordatlantiks liegen Natur- und menschliche Dramen dicht beieinander. Seit Jahrhunderten ernährten sich die Inselbewohnen zu einem guten Teil vom Walfang und Seevögeln. Die Tradition wird heute immer noch gepflegt, auch wenn der Bedarf aufgrund der einfacheren Versorgung mit importierten lebsnmitteln zurückgegangen ist. Insbesondere die Jagd auf und das Schlachten von Pilotwalen wird von Umweltschutzorganisation wie Sea Shepherd angeprangert und auch behindert. „The Island And The Whales“ von Mike Day (Schottland 2016) zeigt das Inselleben aus der Perspektive seiner traditionsbewussten Bewohner, unvoreingenommen und mit dramatischen, ungeschönten Bildern. Der Dokumentarfilm verrät seine Protagonisten nicht zugunsten einer einfachen Botschaft, sondern zeigt die Bewohner der Faröer in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Umweltschutz. Den Preis für ihre Wahl werden sie auf jeden Fall selber bezahlen müssen: Entweder Verzicht auf Tradition und damit der Identität als autarker Inselbewohner oder Inkaufnahme von gesundheitlichen Spätschäden durch das quecksilberbelastete Walfleisch. „The Island And The Whales“ wirft einen unsentimentalen Blick auf den Walfang durch Einheimische und vermittelt ein differenziertes Verständnis der Insulaner. Eine einfache Lösung wird es nicht geben.
Faröer – Zwischen Tradition und Umweltschutz (Foto: Filmstill)
Einfacher schienen die Dinge noch in den frühen Sechziger Jahren, als Naturdokumentationen noch weitgehend unbelastet von Umweltgefährdungen über die Flora und Fauna an exotischen, wenig erschlossenen Plätzen der Welt berichten konnte. Auf dem CineMare wurde die jüngst von der Heinz Sielmann Stiftung restaurierte Fassung des 1962 sehr erfolgreichen Kino-Naturfilms „Galapagos – Trauminsel im Pazifik“ von Dr. Hannes Petrischak, Leiter Naturschutz der Stiftung, vorgestellt. Dem Charme dieses wunderbar leichten, die Atmosphäre des unschuldigen Abenteuers atmenden Dokumentarfilms kann man sich nur schwer entziehen. Die langen Einstellungen und die Projektion auf der großen Leinwand vermitteln ein Vor-Ort-Gefühl und die angenehm subtil-dramatisierende Kommentar-Stimme von Robert Graf zieht in den Bann. Der Film erklärt die Besonderheit der Tierwelt auf den Galapagos und ihr Zustandekommen mit einfachen Worten, lässt stets Zeit für das Betrachten. Absolut kindgerecht und deshalb auch für die großen Kinder ungeheuer entspannend, die ganze Angelegenheit. Auch wenn man heute durch die hochaufgelösten und mit leichtesten, ferngesteuerten Gadget-Kameras aufgenommenen Naturbilder verwöhnt ist, muss man doch innerlich den Hut vor den damaligen Naturfilmern und ihrer Kameraarbeit ziehen: Mit ungeheurem Geschick und unendlicher Geduld müssen sie zu Werke gegangen sein.
„Galapagos“ – Unschuldige Abenteuer im Pazifik (Foto: Heinz-Sielmann-Stiftung)
„Chasing Coral“ (Jeff Orlowski, USA 2017) war der Publikumspreis-Dokumentarfilm-Gewinner des diesjährigen Sundance-Festivals im CineMare-Programm. CineMare ermöglichte ein exklusives Leinwand-Screening, denn der Dokumentarfilm ist eigentlich nur (auch in Deutschland) über den Streamingdienst Netflix zu sehen. Weltweit schreitet das umweltbedingte, sogenannte Ausbleichen – und damit Absterben – von Korallenriffen unaufhaltsam voran. Die Filmemacher und Meeresaktivisten des Chasing-Coral-Teams erklären und dokumentieren mit ihrem Film gleichzeitig das Phänomen des „Coral Bleaching“ und die Bemühungen, durch einen wissenschaftlichen Nachweis die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der Film setzt auf eine dynamische Erzählweise und einen einfachen Zugang zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen sowie drei Identifikationsfiguren: Den erfolgreichen Marketing-Profi, der ausstieg, um die Umweltkatastrophe an die Öffentlichkeit zu bringen, der junge Korallen-Nerd, den das Dokumentieren der sterbenden Korallenriffen dem Nervenzusammenbruch nahe bringt und den alten Korallen-Guru, der den Kampf um die Riffe noch nicht aufgeben kann. Gepaart mit traumhaften (und gleichzeitig deprimierenden) Blauwasser-Bildern und einem Hauch von Cousteau-Abenteuer ergibt „Chasing Coral“ eine sehr wirkungsvolle, emotionsgeladene Mischung, die keinen Naturliebhaber kalt lässt.
„Chasing Coral“ – Die traurige Wahrheit über das Korallensterben (Foto: Filmstill)
Einer der Gründe für die Verschmutzung der Weltmeere und die Belastung der Atmosphäre durch Abgase ist der internationale Schiffsverkehr und hier wiederum der Frachttransport über See, der den größten Anteil an Transportvolumen weltweit ausmacht. „Freightened“ von Denis Delestrac („Seeblind“, Spanien 2016) untersucht ganzheitlich nicht nur die Umweltbelastung durch Verklappung und Havarien auf hoher See oder den Abgasausstoß durch das Verbrennen von Schweröl der ständig größer werdenden Frachter. Delestrac erklärt ebenso die internationalen ökonomischen Zusammenhänge und die direkten, teilweise brutalen sozialen Auswirkungen des gnadenlosen Konkurrenzkampfes in der Schiffsindustrie und im Frachtgewerbe. Der aufwendig recherchierte Dokumentarfilm verlangt Aufmerksamkeit: zu vielschichtig ist das Thema, als dass es sich durch einen personifizierten „roten Faden“ dramaturgisch bändigen ließe. Umso mehr beeindruckt die formale Struktur von „Freightened“, die eine faktengespeiste Spannung über knapp 90 Minuten aufrecht halten kann. Eine der schwierigsten, aber kaum beachteten Herausforderungen unserer Industrie- und Konsumgesellschaft wird in „Freightened“ auf den Punkt gebracht.
„Freightened“ – Der hohe Preis der Seeschifffahrt (Foto: freightened.com)
Außer einer formidablen Eröffnungsfeier inklusive Live-Musik unterm Walskelett, bot das CineMare noch weitere Events rund um das Thema Wasser und Ozean: Am Samstagabend konnte man den Festivaltag im Luna Club entspannt bei kühlen Getränken und einem eher humorigen, aber qualitativ hochwertigen Kurzfilmprogramm beschließen. „Blue-Eyed Me“ (Alexey Marfin, UK 2015) zeigt auf witzige Weise, wie die Gen-Technik in ein paar Jahren das Lifestyle-geprägte Klonen von Haustieren nach persönlichen Vorlieben ermöglichen wird. „Estate“ (Ronny Trocker, FR/BEL 2016) nimmt das Foto eines gestrandeten Flüchtlings an einem Badestrand zum Ausgangspunkt einer visuell einfallsreichen Studie unseres Verhaltens angesichts des Flüchtlingsstroms nach Europa.
Rechtzeitiges Erscheinen oder frühes Buchen sicherte einen der wenigen, begehrten Plätze im Mediendom der FH Kiel am letzten Festivaltag. Ocean Mind Foundation-Gründer und Wal-Filmer Daniel Opitz inszenierte eine circa zwanzigminütige Multi-Media-Installation, in der ein kompletter Buckelwal-Gesang, begleitet durch sphärische Gitarrensounds des Berliner Klangkünstlers André Matov, visuell in eine 360-Grad-Projektion umgesetzt wurde. Eine Performance für alle Sinne und ein besonderes Erlebnis. Die Gesänge der männlichen Buckelwale sind noch immer nicht vollständig erforscht und erklärt. Sicher ist aber, dass sie eine intelligente, hochkomplexe Form der sozialen Kommunikation sind, nicht vergleichbar mit Brunftgesängen. Etwas von der Faszination, einen solchen „Sänger“ unter Wasser zu erleben, konnte man im Mediendom nachvollziehen. Ein toller Abschluss für ein hervorragend kuratiertes, liebevoll gestaltetes und professionell durchgeführtes Festival. (dakro)