Einfach so tun, als ob
Ein vorlauter Kommentar von Gerald Grote
Wenn ein Norddeutscher „Oha!“ sagt, dann lässt sich meistens noch was machen; sagt er hingegen „Oh-haua-haua-ha!“, dann ist meist landunter.
Was für ein Sommermärchen! Da schwor Jessica Dahlke (Vorsitzende des Vereins Filmkultur SH) mit Engagement die versammelten Filmemacher und Kulturschaffenden einer Festveranstaltung darauf ein, dass die hiesige Film-Szene zwar klein an der Zahl, aber groß in der Kreativität sei. Man müsse sich nur besser positionieren, um auch gesehen und wahrgenommen zu werden. Vielleicht sei es an der Zeit, etwas laut zu werden. Bei etwas mehr Nachdrücklichkeit bestünde die berechtigte Chance der Bemerkbarkeit. Das erhöhe die Strahlkraft des regionalen filmischen Schaffens. Zumindest bis Hamburg.
Eine atemberaubende Vision von besseren Produktions-und Präsentationsbedingungen bemächtigte sich augenblicklich der Besucher jener Veranstaltung. Sollte aus Dichtung endlich Wahrheit werden? Eine schillernd-schöne Seifenblase schwebte plötzlich durch den gut gefüllten Vortragsraum der Landesbibliothek, in ihrer Bewegung von den Anwesenden aufmerksam beobachtet.
Aber als dann nicht etwa ein hiesiger Filmer sich präsentieren durfte, sondern einer aus Hamburg vor das Auditorium trat und sich in Szene setzte, da zerplatzte jene Sommermärchen-Seifenblase mit einem leisen „Bluffff!“ Spätestens in diesem Moment musste allen Anwesenden unmissverständlich klar geworden sein, dass sie erneut einem Trugbild aufgesessen und die gut gemeinten Eingangsworte zu Durchhalteparolen mutiert waren. Was zunächst nach lauter Aufbruchstimmung klang, war dann doch nur eine leise Hoffnung, und so wurden alle Beteiligten zu Komplizen des konsenssüchtigen Kultur-Systems.
Man stelle sich nur mal das Unmögliche vor. Nämlich den Umstand, dass bei einer Festivität in Hamburg das Werk eines Kieler Filmers gewürdigt wird. Ich weiß, dass dieser abstruse Gedanke wahrscheinlich an Absurdität gar nicht zu überbieten ist. Er ist einerseits brüllend komisch und beschreibt andererseits eine schreiende Ungerechtigkeit. Womit wir wieder beim Thema wären. Der eingangs eingeforderten Lautstärke. Die schon vor ganz genau zehn Jahren kaum vorhanden war. Damals waren die Filmschaffenden in Schleswig-Holstein ebenfalls nicht groß hörbar, sondern höchstens kleinlaut.
Als die Politik am 11. Juli 2007 die Filmförderung Hamburg und die aus Schleswig-Holstein zusammenlegte, sprach man von ungeahnten Kooperationskräften in dem neuen, norddeutschen Filmland. Mit der perfiden Gewalt administrativer Täuschungsmanöver, zu der nur die Politik fähig ist, setzte man den Filmern die Räuberpistole auf die Brust. Denn die Politik duldet keinen Widerspruch.
Jedoch, die Wahrheit lässt sich nicht einschüchtern. Sie kann mit eindrucksvollen Zahlen aufwarten: Flossen Jahr für Jahr, bis 2007, mehr als 2 Millionen Euro in hiesige Filmvorhaben, so ist es jetzt gerade mal ein Viertel davon. Wobei der Kieler „Tatort“ mit einem Förderungs-Geschenk von 270.000 Euro einsam an der Spitze steht. Aber, bitteschön, warum bekommt diese Fernsehproduktion überhaupt Geld von der Filmförderung? Das fragte sich auch der Landesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht und monierte das eigenmächtige Finanzgebaren des Senders (vgl. Bericht des shz). Aber bislang macht der NDR als produzierende Anstalt keine Anstalten, seine Verschleierungstaktik aufzugeben.
Ähnlich dubios geht es aber auch bei der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) zu, die mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zusammenarbeitet, deren Geschäftspraktiken von Finanz-Experten als halbseiden und fragwürdig eingestuft werden.
Ich frage mich gerade, was wohl geschähe, wenn aus Protest ein Jahr lang kein einziges Filmvorhaben zur Förderung eingereicht werden würde? Wahrscheinlich würde man die Zeit nutzen, um sich noch mehr mit sich selbst zu beschäftigen. Und ein paar glamouröse Filmfestivals besuchen. Am besten, im sonnigen Ausland, aber sicherlich nicht in Schleswig-Holstein.
Schon gar nicht im nasskalten Frühjahr. Wenn das so genannte FILMFEST SCHLESWIG-HOLSTEIN um alljährliche Aufmerksamkeit und landesweite Bedeutung ringt. Aber leider nur in den beschränkten Räumlichkeiten der PUMPE sein wenig beachtetes Dasein fristet. Wahre Größe könnte man der Veranstaltung zubilligen, würde sie endlich mehrere Kinos in Kiel einschließen und mit einem ausgewählten Preisträger-Programm die Filmtheater (und Schulen) des Landes bespielen.
Bei den renommierten NORDISCHEN FILMTAGEN ist es nicht besser. Was nämlich dort schmerzlich vermisst wird, das ist das FILMFORUM SCHLESWIG-HOLSTEIN. Ein Schaufenster für das hiesige Schaffen mit Kurzfilm-Abenden, Werkschauen und Sonder-Vorführungen. Diese überaus wichtige Präsentationsplattform mutierte vor einiger Zeit zum beziehungslosen FILMFORUM und ist nun nicht mehr eine regionale Besonderheit, sondern ein profilloser Programmpunkt innerhalb des Festivals.
Die Filmer sollen also laut werden, damit man auf sie aufmerksam wird? Mit dröhnender Stimme wohlformulierte Sätze in die Welt setzen? Aus vollem Hals, ohrenbetäubend und markerschütternd? In Ordnung! Nie mehr wispern, raunen, drucksen! Schluss mit säuseln, stammeln, seufzen!?
Aber ohne Inhalte ist stimmliche Lautstärke nur in der Politik effektiv. Die Filmschaffenden brauchen redliche Aussagen, müssen die Dinge beim Namen nennen. Sonst sind sie nicht nur leise, sondern auch unlauter. Also, was ist nun mit der Filmszene im Land? Ist ihr Zustand noch „Oha!“? Oder doch schon „Oh-haua-haua-ha!“?
Ein kleiner Nachsatz: Sollte jemand diese Zeilen bemerken, freue ich mich über eine Rückmeldung; ich habe alle Worte auf jeden Fall ziemlich geräuschvoll in meine Tastatur gehämmert, selbstverständlich in Lautschrift.
(Gerald Grote)
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