In die (Spar-) Schlitze des Kiez’ geschaut
Christian Hornungs Dokumentarfilm „Manche hatten Krokodile“ feiert Kiel-Premiere
Schon manche Dokumentarfilmer haben sich am Kiez von St. Pauli versucht. Ist ja auch kein Wunder, da laufen illustre Gestalten herum und haben noch illustrere Geschichten zu erzählen. Der aus Freiburg stammende, seit Jahren im Hamburger Karoviertel lebende Filmemacher Christian Hornung hat mit seinem Dokumentarfilm „Manche hatten Krokodile“ einen anderen Weg gesucht und damit ein kleines Filmwunder geschaffen.
Penibel wird verzeichnet, … (Foto: Tamtam Film, Christian Hornung)
Hornung kam nicht einfach mit der Kamera, er hat gut ein Jahr in Kiezkneipen wie dem „Utspann“, „Kaffeepause“ oder „Hong Kong“ recherchiert – nicht nachts um halbeins, sondern „auf der Reeperbahn morgens um elf“, wie das Hamburger Obdachlosenmagazin „Hinz & Kunzt“ treffend titelte. Denn für die Kiez-Bewohner, die Angeschwemmten und dort „Hängengebliebenen“, die Ex-Luden, -Stripperinnen und -Nutten, deren Geschichten er erzählen wollte, sind die Kneipen weniger ein nächtlicher Feierort als das tägliche Zuhause. Manche hielten ihn für „einen Irren, der nur Kontakt sucht“, aber nach beharrlichen vormittäglichen Tresensitzungen fassten sie Vertrauen zu ihm und erzählten ihre manchmal haarstäubenden Geschichten – dass der ein oder andere auch „Krokodile hatte“.
So weit, so gutes Material. Nur wie bastelt man die vielen Geschichten zu einer zusammen? Eine zufällige Beobachtung brachte Hornung auf die richtige Spur: Nämlich dass in solchen „Kaschemmen“ Sparschränke hängen. Wie die Eckkneipen eine aussterbende Alltags- und Begegnungskultur sind, so auch die Sparclubs. Man steckt, was man entbehren kann, in den Schlitz und erhält es, geprüft und penibel verzeichnet vom Kassenwart, am Ende des Jahres ausgezahlt. Um es auf die Bank zu tragen oder – zumindest einen Teil – bei der gemeinsamen Feier „auf den Kopp zu hauen“.
… wer was in die Spardose der Kiezkneipe einzahlt (Foto: Tamtam Film, Christian Hornung)
Anhand der Frage, warum so gespart wird – Altersversorgung oder einfach nur Spaß, gewann der Filmemacher Zugang zu seinen Protagonisten. Gelungen ist ihm damit nicht nur ein Porträt derer, sondern einer Subkultur, die langsam aber sicher ausstirbt. Auch insofern ist sein Film „ein wahrhaftiger und sehr authentischer Dokumentarfilmgenuss, der in knapp 90 Minuten in eine Welt einlädt, in der manche sich am liebsten an früher erinnern und manche trotzig nach vorne gucken“, so das Urteil der Filmbewertungsstelle, die dem Film das Prädikat „besonders wertvoll“ verlieh.
Premiere hatte die unter anderem von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein geförderte NDR-Produktion im Januar beim Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken und lief seither bei der Hamburger Dokumentarfilmwoche und zuletzt den Nordischen Filmtagen. Nun am Sonnabend in Kiel und tags zuvor in Neumünster. Denn auch dort fühlt man sich mit Eckkneipen mit Sparschlitzschränken verbunden. (jm)
Fr, 11.11.2016, 20 Uhr im KDW Neumünster (Waschpohl 20); Sa, 12.11., 20.30 Uhr, Kinowerkstatt der Filmwerkstatt Kiel im Kino in der Pumpe.
Infos zum Film: