„Shorty“ im Kieler Café Godot – Rückblick

Die ersten Gäste trudelten bereits eine Stunde vor dem Beginn der Veranstaltung ein. Als diese dann um 19 Uhr 30 wirklich startete, war kaum ein freier Zentimeter mehr zu finden in dem Raum vor dem großen an der Wand hängenden Bildschirm im Café Godot. Theater- und Filmemacher Thies John hatte geladen zur Kieler Kneipen-Kurzfilm-Rolle „Shorty zieht um die Häuser“. Sein Konzept sieht vor, Kurzfilme von Kieler Filmemachern heraus aus den Kinos und in diverse Kneipen und Cafés zu tragen.
Schon der Beginn am zweiten Abend dieser Art – der erste fand im Februar 2016 im JuMe statt – war ein kleines Schmankerl. Geboten wurde der Jürgen-Prediger-Preis-Gewinner aus dem Jahre 2015 „Der Mann, der zu viel musste“, eine Produktion der Kieler Comedy-Film-Gruppe „The Flying Discman“ (Regie: Benjamin Bräuer, Produktion und Kamera: Jessica Dahlke). Und wieder wurde die Zeitschleifen-Story mit viel Gelächter und Applaus bedacht.
„Warten im Godot“ war ebenfalls ein Beitrag für den letztjährigen Wettbewerb „Nur 48 Stunden“. Der Regisseur Kaweh Kordouni, gleichzeitig Wirt des Café Godot, hat darin Szenen des Wartens aus der Literatur zu einer kleinen Collage verbunden. Im Gegensatz zur Präsentation der nominierten Filme im Mai 2015 im Metro-Kino lief dieser intellektuell gefärbte Kurzfilm auch in unverfälschter Farbgebung.
Zweisprachig und in zwei Ländern, nämlich Deutschland und Brasilien, gedreht, ist „Taxi to Daydream“ von den Filmemachern Eder Augusto, Dirk Manthey und Ansgar Ahlers schon in der Machart eine Besonderheit. Auch inhaltlich wusste das Werk zu überzeugen, indem es eine fantasievolle Brücke zwischen den Erfahrungswelten der beiden Entstehungsländer schlägt.
Die kleine Fingerübung „Unser Film“ ist eines der ersten Werke von Torben Sachert, der darin schon vorweg nimmt, was er in späteren Filmen zur Vervollkommnung bringen sollte. Zwei Menschen sitzen im Kino und warten auf die Vorführung „ihres“ Filmes, wobei sie sich schon über den Inhalt unterhalten, sich dabei aber nicht einig sind. Als der Film beginnt, läuft auf der Leinwand dann genau die selbe Szene ab, die wir Betrachter bereits kennen: das Gespräch zweier Menschen in einem Kinosaal, die darauf warten, dass „ihr“ Film beginnt. Da dies alles als Plansequenz abläuft, also ohne Schnitt gedreht ist, verweist es schon auf spätere Sachert-Filme wie etwa „Bottom Up“ aus dem Jahre 2015, der bereits bei „Shorty 1“ im JuMe lief.
Hille Norden (zur Zeit der Entstehung noch Hille Paul) war beteiligt am Doku-Beitrag „An Expression of Freedom“, in dem die Freiheit der Musik im Jazz mit der Freiheit im eigenen Leben verglichen wird. Durch Interviews mit Musikern der Musikschule Lübeck und Mitschnitte von Bandproben gelingt es dieser kurzen philosophisch anmutenden Abhandlung, das Publikum im Café Godot auf eine Gedankenreise in die Bedeutung von Musik für die Musikschaffenden mitzunehmen.
„Inner Demons“ bildete im Anschluss den perfekten Kontrast. Der Horror-Kurzfilm von Johann Schultz und Hannes Gorrissen ist im Großen und Ganzen ein Ein-Personen-Kammerspiel, das keine echte Horror-Handlung zu bieten hat, dafür aber mit Bild- und Toneffekten für Gänsehaut sorgt. Ein Mann liegt in einem nicht näher beschriebenen kleinen Raum und versucht einzuschlafen. Doch sobald das Kerzenlicht erlischt, ist er seinen eigenen Dämonen ausgeliefert. Sämtliche Bilder sind genau geplant und nichts wird dem Zufall überlassen, so dass der Film den Betrachter zu beunruhigen versteht, bis die Auflösung für erlösendes Gelächter sorgt.
Auch Peter Ahlers hat es der Horrorfilm angetan. Sein Film „Weil unsere Liebe ewig ist“ handelt von einer Art Schwarzen Witwe, in deren Fänge ein junger Mann gerät, der auf eine Partner-Annonce geantwortet hat. Mit einigem Witz und auch einigem Sex sowie der hervorragenden Patricia Moresmau in der Hauptrolle punktet der Film zusätzlich mit einer originellen Story und schön konzipierten Bildern.
„Mutterliebe“ von Jackie Gillies ist sehr speziell. Im Grunde ein Monolog, erzählt dieser nur Zweieinhalb Minuten lange Film dennoch eine komplexe Geschichte über verletzte Gefühle und eine in der Vergangenheit angesiedelte Familientragödie. Ein empfehlenswerter Film mit Imke Büchel als Schwesternpaar voller Trauer und Verletzlichkeit.
Danach wartete auf die Kurzfilm-Fans eine echte Weltpremiere. „Wolke A7“, entstanden im 5. Semester der FH Kiel, Fachbereich Multimedia-Produktion, stammt von Jana Simann, Niklas Jandt und Leif Ziebarth. Verschiedene Menschen stehen in einem Stau auf der Autobahn. Durch den Zufall, dass ihre Autos nebeneinander zum Stehen kommen, entwickelt sich eine nonverbale Annäherung zwischen zwei Teenagern, die sich nur mit Zeichen und Blicken zu verständigen verstehen. Man lacht über Insassen anderer Fahrzeuge, tauscht sogar Telefonnummern aus. Dass über ihnen das Damoklesschwert eines plötzlichen tragischen Schicksals droht, erfährt der Zuschauer erst in den letzten Sekunden. Eigens für diesen Film komponierte Klaviermusik untermalt die zart angedeutete Teenie-Liebesgeschichte, die gerade dadurch entzückt, dass sie von den beiden Jungschauspielern Svea Christiansen und Henry Solf ohne Übertreibung und mit minimalen Gesten dargeboten wird.
Am Ende des Programms zeigte Thies John noch einmal seinen jüngsten Kurzfilm „Des Fleisches Lust“, eine skurrile Story über ein Kotlett, das ein Eigenleben entwickelt. Dieser Film entzieht sich einer genauen Genre-Einordnung, bedient er sich doch sowohl einiger Elemente des Gruselfilms wie auch der Komödie, bevor er mit seiner Schlusspointe für einen kleinen Schock beim Publikum sorgt.
Über 90 Minuten Programm und keine Sekunde Langeweile! Das schafft nicht jeder Kinofilm. Doch solch ein Kurzfilmabend lebt von der Abwechslung, den Genre-Wechseln, unterschiedlichen visuellen Stilen und natürlich einem Publikum, das bereit ist, sich immer wieder auf Neues einzustellen. Und dieser Art waren die Zuschauer im Café Godot, was sich auch darin widerspiegelte, dass nach einer Zugabe gefragt wurde. So bildete den Abschluss dieses spannenden Filmabends die Komödie „Inselaffen“ von Christoph Dobbitsch, der schon auf diversen Festivals zu sehen war und mit einer Art Who-is-who der Schleswig-Holsteinischen Filmszene aufwartet.
Eigentlich stellte sich am Ende des Abends nur die Frage, wie „Shorty 3“ denn bitte „Shorty 2“ toppen soll. (Thies John)
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