Grimme-Preis für Filme von Susanna Salonen und Till Franzen
Auf der Berlinale war Susanna Salonen noch skeptisch. Da half auch kein optimistisches Zureden. „Nee, ich glaube, ich gewinne ihn nicht. Ich hab das so im Gefühl“, meinte sie ehrlich abwehrend beim Kaffee-Plausch auf dem European Film Market im Martin-Gropius-Bau. Die Rede war vom diesjährigen Grimme-Preis, dem wichtigsten deutschen Fernsehpreis, den jetzt ihr Film „Patong Girl“ als einziger unter 14 nominierten in der Kategorie Fiktion gewinnt. In der ausführlichen Preisbegründung der Jury ist von einer „kitsch- und klischeefreie(n) Liebesgeschichte“ die Rede. Und in der Jury-Begründung heißt es einleitend: „Es gäbe so viele Fallen in diesem Film, so viele Szenen, die in rassistische, transfeindliche oder homophobe Klischees abgleiten könnten. Die Regisseurin und Autorin Susanna Salonen hätte das Thema „Transsexualität“ voyeuristisch aufziehen können, mit Schmuddelporno und Travestie-Glitzer – so, wie es schon oft gezeigt wurde. Zum Glück tut sie das nicht. Stattdessen erzählt sie sensibel die Geschichte des deutschen Teenagers Felix, der sich in die thailändische Fai verliebt. Fai ist ein ’Ladyboy’: geboren als biologischer Mann und zur Frau umoperiert. Felix erfährt davon erst spät, verzeiht Fai ihre Lüge aber schnell.“ (Quelle)
Liebe ist unabhängig vom Geschlecht – Szene aus „Patong Girl“ (Foto: Susanna Salonen)
Die gebürtige Finnin Salonen ist in Lübeck zur Schule gegangen, ist später als Kamerafrau zum Dokumentarfilm gekommen und hat als Autorenfilmerin eine ganze Reihe sehr persönlicher, bemerkenswerter Filme gemacht. „Patong Girl“, mit dem Salonen 2015 auch den Preis der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. für einen Langfilm beim 19. Filmfest Schleswig-Holstein gewann (Begründung der Jury: „Der Film spielt nicht nur mit den Klischees einer thailändischen Urlaubsumgebung, sondern stellt diese auf den Kopf. Dort, wo alle Liebe käuflich scheint, entwickelt sich eine ungewöhnliche ’Patong Girl’ schafft ein überraschend authentisches Bild einer vermeintlich bekannten Welt.“) ist ihr erster Spielfilm (vgl. das Interview mit Susanna Salonen beim 19. Filmfest Schleswig-Holstein). Sein dokumentarisch geschultes Erzählen profitiert von einer genauen Themen- und Ortskenntnis der Autorenfilmerin sowie einer akribischen Recherche, die ebenfalls dem Metier des Dokumentarfilmens geschuldet ist.
Filmemacherin Susanna Salonen
Die weiteren drei Grimme-Preise im Wettbewerb Fiktion gingen allesamt an Serien, darunter die Miniserie „Weinberg“ (Trailer auf Youtube) für den Bezahlsender TNT. Die Regie der sechs rund 50-minütigen Folgen führte neben Jan Martin Scharf, Till Franzen aus Flensburg, der seine Leidenschaft zum Film schon als Jugendlicher Anfang der 90er Jahre bei den alljährlichen Treffen der Super-8-Filmer auf dem novemberlichen Scheersberg unter Ulli Ehlers und Kurt Denzer pflegen durfte. Nach seinen Filmstudium in Ebeltöft (Dänemark) und Köln, gewann er mit seinem Abschlussfilm „Die große Operation“ 2004 in Neumünster den 2. Preis beim Hans-Hoch-Filmpreis für Nachwuchsfilmer aus Schleswig-Holstein.
Filmemacher Till Franzen
Mit „Weinberg“, der ersten deutschen Mystery-Serie, machte der TV-Sender TNT von sich Reden. Und die Jury hält mit ihrer Begeisterung nicht zurück, wenn sie unter anderem feststellt: „’Weinberg’ ist eine Serie aus dem Geist, mehr noch aus dem Gespenst der deutschen Romantik. Versatzstücke ihrer Nachtseite werden dicht ineinander verwoben. Eine Serie, die nicht nur E.T.A. Hoffmanns ’Sandmann’ und Freuds Rezeption verinnerlicht hat und mit den Topoi des zerrissenen Helden sowie der mechanischen Augen spielt, sondern die auch im ’Goldenen Topf’ desselben Dichters den Bodensatz aufrührt, bis die Schwaden des Alkohols nicht die Punschgesellschaft, sondern die aneinander gebundenen Kaltenzeller Familien um den Verstand bringen. Doppelter Boden, Spiegel- und Wiedergänger überall. Gestaltwerdung von Seelenzuständen: Ein Augapfelmodell auf dem Tisch der Lehrerin hält als ironischer Verweis die Stellung.
Romantisierend bricht das Unheimliche in die Realität der Spießbürger ein und verwirrt uns, bis Wahrnehmungserfahrung und Realitätsbegriff selbst auf dem Prüfstand stehen. Poes Raben wachen über der atmosphärisch dichten Nebelsuppe aus Mystery- und Heimatfilm. Mit Bildern, die wie sinnüberwältigende Bilderrätsel wirken, täuschend voraus- und zurückweisen, nirgends aber Touristenprospekte sind, sondern ein Zeichenuniversum eigenen Rechts. Szenen wie aus dem semiotischen Wunderhorn der romantischen Ironie.
Es grüßen ’Lost’ und ’Twin Peaks’. Dennoch ist ’Weinberg’ eine vollkommen eigenständige, Zitat verwandelnde Großleistung. SWR trifft LSD. Heimat trifft Horror. Bürgerliche Weinseligkeit mutiert zu schreckenerregender Beklemmung. ’Weinberg’ ist eine deutsche Serienproduktion, wie wir sie uns schon lange gewünscht haben.“ (Quelle) (Helmut Schulzeck)