65. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2015

Over the Rainbow: „Glorious Technicolor“

Zum zweiten Mal nach der 1988er Reihe „Color – Die Geschichte des Farbfilms“ beschäftigt sich die Berlinale-Retrospektive mit dem Thema Farbe im Film: Aus Anlass des 100. Geburtstages der Firma Technicolor trat das George Eastman House an Retrospektive-Leiter Rainer Rother heran, und zusammen mit dem Museum Of Modern Art und dem Filmmuseum Wien wurde ein Programm technisch und künstlerisch wegweisender Technicolor-Filme kuratiert, das in leicht abgewandelter Form auch in New York und in Wien zu sehen sein wird.
„Toll Of The Sea“: Frühes Technicolor-Zweifarbverfahren konnte noch nicht überzeugen. (Fotos: Berlinale)
Der Name Technicolor steht bis heute insbesondere für die farbenprächtigen Musicals und Animations- und Abenteuerfilme aus den Hollywood-Studios der 40er und 50er Jahre. Tatsächlich begann die Geschichte des erfolgreichsten Farbfilmverfahrens im Jahre 1915, als Firmengründer Herbert T. Kalmus einen passenden Namen für das von ihm entwickelte Verfahren suchte. Seine Alma Mater, das Massachussets Institut of Technology, inspirierte ihn, so die Legende, zu „Technicolor“. Es sollte noch knapp zwei Jahrzehnte dauern, bis das Technicolor-Verfahren Nr. IV das unzureichende Zweifarbverfahren durch ein Dreifarbverfahren ablöste. Insbesondere zwei Filme verhalfen Technicolor Ende der 30er Jahre zum kommerziellen Siegeszug in den Kinos: Walt Disney’s erster Animations-Langfilm „Snow White And The Seven Dwarfs“ (David Hand, USA 1937) und das epische Bürgerkriegsdrama „Gone With The Wind“ (Victor Fleming, USA 1939).
„Snow White And The Seven Dwarfs“: Durchbruch mit Disney’s erstem Langfilm
Während das Zweifarbverfahren aufgrund der fehlenden Blautöne und oft ausgefranster Farbsäume noch als Kuriosität belächelt wurde, konnte Technicolor Nr. IV Kritiker und Publikum überzeugen. Anders als spätere Emulsionsverfahren wurden beim Technicolor-Verfahren durch Filter-Farbauszug der drei Farben Magenta, Cyan, Gelb in einer speziellen, äußerst schweren und teuren Kamera, drei S/W-Filme erstellt, die zum nachträglichen Drucken der Farbkopie dienten. Der Vorteil des Druckverfahrens lag in der Möglichkeit die Farbigkeit nachträglich zu beeinflussen. Filmemacher wie Victor Fleming lernten schnell, das dramaturgische Mittel der Farbe zu nutzen.
Leidenschaft in Rot: Vivien Leigh und Clark Gable in „Gone With the Wind“
Mitte der 50er wurde Technicolor dann durch Emulsions-Farbfilme wie Eastmancolor abgelöst. Zu aufwendig war das Drei-Streifen-Verfahren für das Filmen, allerdings blieb es für die Erstellung von Farbkopien mit der Option der Farbgestaltung weiter von Bedeutung. Mit dem Aufkommen der digitalen Medien und kommerziellen Neuauswertung von Filmarchiven in den 80er Jahren wurde klar, dass Technicolor-Filme verglichen z.B. mit Eastmancolor-Kopien deutlich besser erhalten waren. Während bei Emulsionsfilmen die Farbigkeit über die Jahrzehnte verblasste, blieben Technicolor-Farben hervorragend erhalten. Sofern die Drei-Streifen-Kamera-Originale archiviert wurden, konnten die Filme praktisch verlustfrei neu gezogen oder digital restauriert werden. Filmemacher wie George Lucas ließen in den 80ern sogar Archivkopien ihrer Filme ziehen. Die „Star Wars Special Edition“ DVD basiert z.B. auf Technicolor-Archivkopien. Die Firma Technicolor überlebte und verlegte sich in den letzten Jahrzehnten erfolgreich auf Film-Processing und Übertragung von analogen auf digitale Medien. 2010 benannte sich die französische Muttergesellschaft Thomson komplett nach der amerikanischen Tochter in „Technicolor“ um. Firmengründer Kalmus hätte sich wohl kaum eine unglaublichere 100-jährige Erfolgsgeschichte für seine Erfindung und Namensgebung vorstellen können.
Erdige Kerle, erdige Farben: James Stewart im Existenzialismus-Western „The Naked Spur“
Die Auswahl aus frühen Technicolor-Versuchen und den bekannten Klassikern wurde durch einige selten aufgeführte Produktionen insbesondere der Vierziger Jahre ergänzt. „Shepherd Of The Hills“ von Henry Hathaway (USA 1941) erzählt ein Vater-Sohn-Melodram in den Hoch-Plateau-Wäldern des Mittleren Westens. John Wayne spielt einen rauhbeinigen, aber innerlich zerrissenen Hillbillie, der seinem Vater den Tod der Mutter nicht verzeihen kann. „Shepherd Of The Hills“ nutzt wie auch der James-Stewart-Klassiker „The Naked Spur“ (Anthony Mann, USA 1953) das Farbangebot von Technicolor um das Grün und Braun der Wälder einzufangen. Je weiter die Protagonisten in Mann’s humanistischem und existenziellem Drama von einer zivilisierten Moral abrücken hin zu einem „jeder für sich“, desto mehr verschmelzen sie farblich mit ihrer Umgebung. Ein weiterer James-Stewart-Western, „Broken Arrow“ von Delmer Daves (USA 1950), nutzt die Farbkodierung von Kleidungsstücken zur Gesinnungsidentifizierung in diesem relativ frühen filmischen Bruch mit den Hollywood-Indianer-Stereotypen. Währen der unverbesserliche Krieger Geronimo durch Gelb als Antagonist gekennzeichnet wird, tragen der friedliebende Cochise und Friedensbotschafter Tom Jeffords (James Stewart) Blau.
The British Way: Technicolor orientiert sich am Expressionismus in „Black Narcissus“
Eine Hand voll Beispiele zeigt den Umgang europäischer Regisseure mit Technicolor: Michael Powell ließ für „Black Narcissus“ (Michael Powell, Emerich Pressburger, GB 1947), ein Kloster im Himalaya-Gebirge komplett in den britischen Pinewood-Studio entstehen. Durch die Kunst von Lichtsetzer, Matte-Zeichnern und insbesondere durch Art Director Alfred Junge und Kameralegende Jack Cardiff entstand ein von Vermeer und Van Gogh inspiriertes, intensives Farbdrama auf der Leinwand. David Lean’s langjähriger Kameramann Ronald Neame allerdings empfand den Einsatz von Technicolor und den damit einhergehenden Aufwand für Lichtsetzung und die behäbige Kamera als Behinderung. Für die Londner Familienchronik „This Happy Breed“ (David Lean, GB 1944) dimmte er die Farben und die Kostüme und einzelne Requisiten sorgten lediglich für Farbakzente. Jean Renoir setzte für sein humanistisches Adoleszenzdrama „The River“ (USA 1951) auf zurückgenommenes Spiel und natürliche Farben an indischen Originalschauplätzen.
Die natürliche Farbvielfalt Indiens in Jean Renoirs „The River“
Das Begleitbuch „Glorius Technicolor“ ist eine lesenswerte, detaillierte Abhandlung über das wohl berühmteste Farbverfahren der Filmgeschichte, mit zahlreichen Abbildungen, die Lust machen, die beschriebenen Filme noch mal auf den heimischen Bildschirm zu holen. Mittlerweile gibt es die meisten Filme in hervorragend restaurierten Fassungen, denn für gut erhaltenen Kopien hat Technicolor ja selbst gesorgt. (dakro)
„Glorious Technicolor“, erschienen im Verlag Bertz+Fischer, 2015, 180 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, ISBN 978-3-86505-238-4.
Die Reihe „Glorious Technicolor“ wird im April und Mai 2015 mit leicht veränderten Titel im Filmmuseum Wien zu sehen sein: „Glorious Technicolor“, Retrospektve der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin, veranstaltet von der deutschen Kinemathek in Zusammenarbeit mit dem George East Hous, dem Museum Of Moder Art, Ney Work und dem Filmmuseum Wien.
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