56. Nordische Filmtage Lübeck 2014
Neue Heimaten (nicht) ganz normal
Kieler Filmemacher im Filmforum der Nordischen Filmtage
Das Filmforum ist bei den Nordischen Filmtagen das traditionelle Forum für jüngste Produktionen aus Schleswig-Holstein und Hamburg. Diesmal sind auch wieder einige Beiträge von Filmemachern dabei, die in Kiel leben und arbeiten oder von der Fördestadt aus in die große weite Filmwelt fanden. Und wie schon oft in den letzten Jahren kreisen solche Filme um das Thema Heimat und Fremde im wörtlichen wie übertragenen Sinne.
In Lars Jessens mit Katharina Wackernagel, Fritz Karl und Oliver Wnuk prominent besetzter TV-Komödie zieht die Patchwork-Familie Heller in eine Doppelhaushälfte in der Provinz und möchte „Bloß kein Stress“ (1.11., 16.45 Uhr) mit den neuen Nachbarn. Doch den bekommen sie, weil sie sich nicht nahtlos in deren zur Kleinbürgerei gewordenen Alternativkultur einfügen. Wie die Zugezogenen die verknöcherte neue Heimat entspannt aufmischen, erzählt der Meister der norddeutschen Heimatkomödie gewohnt hintergründig gewitzt.
Erstaunlich normal, aber nicht normiert geht es auch in einer Wohnstätte für schwerstbehinderte Menschen am Rande Kiels zu. In der Doku „Nachbarn rollen vorüber“ (29.10., 16.45 Uhr) beobachten Michael Sindt und Linnéa Kviske deren Bewohner im Alltag und anderen, manchmal auch etwas komplizierteren Lebenslagen. Das Credo des mit 119 Minuten vielleicht etwas lang geratenen Films: Das Besondere ist normal, die Normalität der Bewohner etwas Besonderes.
Wie frau aus der Fremde in einer neuen Heimat und Normalität ankommt, zeigt Helmut Schulzeck in „Manchmal denk’ ich jetzt auf Deutsch“ (30.10., 10.45 Uhr). Selbst mit einer kenianischen Frau verheiratet, interviewt er drei Kenianerinnen, die als Aupairs oder zum Studium nach Schleswig-Holstein kamen und dort deutsche Männer heirateten. Das Vorurteil, dass Kenianerinnen einen „Mzungu“ (weißen Europäer) vor allem wegen seines aus afrikanischer Sicht Reichtums heiraten, erweist sich dabei als ebenso unbegründet wie jenes, dass Afrikanerinnen die für einen Deutschen passenden Heimchen am Herd sind. Vielmehr berichten drei selbstbewusste junge Frauen (und auch einer ihrer deutschen Männer) von dem schwierigen gegenseitigen Anpassungsprozess, den sie aber souverän meisterten – und manchmal sogar schon „auf Deutsch denken“.
Das tun die meist afghanischen Flüchtlingskinder noch nicht, die Fredo Wulf bei einem Theaterprojekt mit deutschen Schülern begleitet hat. Das Projekt ist eine Begegnung zweier Welten, der Flüchtlinge und ihrer oft leidvollen Erfahrungen und der deutschen Schüler, die in einer umso friedlicheren und von Wohlstand geprägten Heimat aufwuchsen. Beide haben sie jedoch (Jugend-) Träume – zuweilen sogar ähnliche, die sie in „Ich habe einen Traum“ (30.10., 10.45 Uhr) auf die gemeinsame Bühne bringen.
Nicht nur Theater auch Kunst kann Heimat stiften. Für den aus Mettenhof stammenden Regisseur Christian Mertens war es das Deckengemälde „Klettergerüst“ von Peter Nagel im Bildungszentrum Mettenhof. Von diesem ausgehend porträtiert er in „Peter Nagel“ (31.10., 10.45 Uhr) den umtriebigen Maler, der an seine damalige Wirkungsstätte zurückkehrt und nun mit Schülern daran arbeitet, wie sie selbst so etwas gestalten können.
Auch die Kieler Kurzfilme im Filmforum befassen sich mit dem oft schwierigen Heimkommen. In Friedrich Tiedtkes „Zuhause“ (31.10., 22.45 Uhr) flieht eine Studentin nach einem heftigen Streit mit ihrem Freund aus der Großstadt ins idyllisch-ländliche Elternhaus. Doch auch da sind Heimat und Harmonie so trügerisch und kühl wie die verschneite Landschaft draußen. In derselben Programmschiene läuft auch die Premiere von Kaweh Kordounis „An diesem Sonntag“. An jenem stecken ein abgebrühter Geschäftsmann und eine idealistische junge Frau in einem Fahrstuhl fest, und es entspinnt sich ein dramatisches Kammerspiel auf kleinstem Raum. Ebenfalls ein Fahrstuhl ist Schauplatz und Symbol für das Auf und Ab im Leben und Kommen und Gehen aus dem Fremden ins Vertraute im experimentellen Kurzfilm „Ebene minus eins“ des Muthesius-Studenten Gor Margaryan. Er läuft in der Hoschulfilmsektion des Filmforums (30.10., 22.45 Uhr) wie auch Rike Hoppes „This Is About Senses and This Is About Happiness“, ein Mockumentary über eine ältere Dame, die zwischen Spitzengardinen und Blümchensofa die Heimat mit allen Sinnen neu entdeckt.
Das Leben ist dennoch kein Ponyhof, schon gar nicht im Western. In Kai Zimmers berittener Liebeserklärung an die Homies des Western, „On Horseback“, reiten die Cowboys, „die mich immer faszinierten, weil sie so allein ritten“, nicht nur in den Sonnenuntergang sondern auch „von einer zur nächsten Knallerei“. Die aus Found Footage trickreich und nicht unironisch Bild ins Bild montierte Videoinstallation ist in der Galerie quartier – feine Künste (Fleischhauerstr. 67, Vernissage: 30.10., 19 Uhr, Fr-Sbd 11-18 Uhr) zu sehen. (jm)
Filmforum bei den Nordischen Filmtagen Lübeck: 29.10. bis 2.11. im Cinestar 7. Infos und Programm unter www.filmtage.luebeck.de. Kartenvorverkauf online oder im Cinestar Filmpalast in der Stadthalle (Mühlenbrücke 11, Tel.: 0451/7030102, www.cinestar.de).