18. Filmfest Schleswig-Holstein 2014

„Gestern, gestern: liegt schon soweit zurück“

„Krugsterben“ (Lars Jessen, D 2013)

Lars Jessen hat einen schönen, leider nur zu kurzen Heimatfilm gedreht. Schon in seinem wunderbaren Spielfilm „Schimmelreiter“ konnte man sehen, wie verbunden der Regisseur seiner Dithmarschener Heimat ist. Jetzt hat Jessen im Rahmen des letztjährigen ARD-Gemeinschaftsprojekts „16 x Deutschland“ sich in dem 15-minütigen „Krugsterben“ um das zunehmenden Aussterben der Landgasthöfe seiner Gegend gekümmert und zugleich einer Zeit nachgesonnen, die vielleicht bald schon nur noch in Erinnerung aufgehoben endgültig vorbei sein wird.
„In den letzten 30 Jahren wurden in Schleswig-Holstein mehr als die Hälfte der Landgasthöfe für immer geschlossen“, teilt uns der Film zu Anfang auf einer Schrifttafel mit. Jessen führt uns nach Hennstedt, einer rund 2000 Einwohner umfassenden Mittelpunktsgemeinde in Dithmarschen. Die Blasmusik begleitet den Schützenfestumzug durchs Dorf. Zum anschließenden Fest für jung und alt bei Kaffee und Kuchen versammelt man sich notgedrungen in der für diesen Zweck umfunktionierten und zweckentfremdeten Sporthalle. Es fehlt an der passenden gastronomischen Alternative.
Früher hatte man neben acht Kneipen auch zwei größere Gaststätten mit Saalbetrieb am Ort, erzählt der ehemalige Gastwirt und Gasthofbesitzer Rolf Gosau, ein sehr sympathischer, immer noch recht staatlicher Mann mit schlohweißem Haar und freundlichen Augen, der stramm auf die 90 zugeht. Er führt uns durch seinen „Kaisersaal“, eine Gaststätte mit großem Saal, die er noch bis 2006 betrieben hat und erzählt von Bier, Köm und Boole und dem regen Vereinsleben, das ehemals in diesen Räumen seine Heimstätte gefunden hatte. Die Räumlichkeiten wirken zwar etwas ältlich, machen aber einen immer noch gediegenen Eindruck und scheinen pikobello gepflegt noch in Schuss zu sein.
Lars Jessen (l.) mit seinem Protagonisten Rolf Gosau (Foto: Lars Jessen)
Gosau erzählt weiter, wie sein Schwiegervater hier 1926 ein zusätzliches Kino im Saal eingerichtet hat. Er selbst hat in den Betrieb eingeheiratet, ihn seit 1954 selbst geleitet. Er schwärmt von den Veranstaltungen der Nachkriegszeit, als die Leute ein starkes Nachholbedürfnis für gemeinschaftliches Feiern hatten. So räumte man nach den Filmvorstellungen gemeinsam das bewegliche Gestühl beiseite, um anschließend Tanzvergnügen zu starten, schwärmt der durch die warmen Erinnerungen heitere Mann mit leuchtenden Blick.
Er bedauert, dass er jetzt auf seiner stillgelegten gastronomischen Immobilie sitzen bleibt, sich kein Nachfolger für den Gasthof findet. Der Gemeinde hat er ihn für 100 Tsd. Euro zum Kauf angeboten. Doch die lehnte ab. Die Instandsetzungen und Umbauten würden ca. 400 Tsd. Euro kosten, rechnet der Exbürgermeister vor. Das war den Gemeinderatsmitgliedern zu teuer. Da hat man lieber einstimmig trotz aller ästhetischer Bedenken den Entwurf eines modernistischen Kastens akzeptiert. Dafür will man den anderen, von der Gemeinde ersteigerten ehemaligen Saalbetrieb am Orte, „Tetens Gasthof“, abreißen und dort für 1,8 Mio. Euro den Neubau für die dörflichen Festivitäten errichten, wenn man die erhofften Landeszuschüsse von ca. 50 Prozent erhält. Rechnen scheint nicht die Stärke der ländlichen Politiker zu sein. Denn bei Ihnen kommt dann eine verbleibende Eigenleistung von rund 1 Million Euro raus, die man dann auch „in die Hand nehmen“ möchte.
Eine groteskes Trauerspiel, dem man sich gerne durch nostalgisches Nachsinnen zu Ivo Robic’ Schlager „Morgen“ (von Ende der 50 Jahre) entzieht: „Morgen, morgen, lacht uns wieder das Glück – gestern, gestern, liegt schon soweit zurück“. Der muntere Rolf Gosau lässt den Schlager in seinem Saal erklingen und tanzt fast durch die Räumlichkeiten. Schlagerkitsch, trivial, verträumt und anrührend zu gleich. Dazu lässt der Film eine ganze Reihe von Landgasthöfen Revue passieren, die in den letzten 12 Jahren in Dithmarschen geschlossen haben. Nur eine Neueröffnung mischt sich unter die Ansichten mit den festen Totalen. Dazu: „Morgen, morgen, sind wir wieder dabei – gestern, gestern, ist uns heut’ einerlei“. Schlagerzeilen wie ein ironischer Kommentar, der das vergebliche Bedauern vertreiben will. (Helmut Schulzeck)
„Krugsterben“, Deutschland 2012, 15 Min., Buch und Regie: Lars Jessen, Co-Regie: Rocko Schamoni, Kamera: Timo Moritz, Ton: Ulrich Fengler, Schnitt: Sebastian Schultz
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