63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013

(Fast) ohne Nebenwirkungen

„Side Effects“ (Steven Soderbergh, USA 2012)

Hier ein paar Betablocker vor dem Vorstellungsgespräch, dort ein gängiges stimmungshebendes Präparat bei seelischer Tieflage: das gehört im urbanen Amerika einfach dazu, weiß nicht zuletzt das Klischee. Aber weil man in den USA eben an die Möglichkeit der medikamentösen Hilfe glaubt, während man Psychopharmaka in Europa vorwiegend als Bedrohung sieht, hat Psychiater Dr. Jonathan Banks (Jude Law) sich fern vom alten Europa in New York City niedergelassen. Mit Frau Deirdre und Stiefsohn Ezra hat er gerade eine neue Wohnung bezogen, und auch seine Praxis befindet sich an repräsentativem Standort. In der Klinik, wo Dr. Banks außerdem arbeitet, wird eines Tages eine junge Frau eingeliefert: Emily Taylor (Rooney Mara) war mit Vollgas gegen eine Parkhauswand gefahren. Banks erkennt die Suizidabsicht und überredet Emily, sich von ihm behandeln zu lassen. So erfährt er, dass die Grafikdesignerin und ihr Mann Martin (Channing Tatum), ein Broker, gerade ihr gemeinsames Alltagsleben wieder erproben, nachdem Martin wegen Insiderhandels vier Jahre lang im Gefängnis gesessen hat. Doch Emily geht es nicht gut; sie ist apathisch, depressiv, frigide. Als Patientin der Ärztin Dr. Victoria Siebert (Catherine Zeta Jones) hat Emily bereits zahlreiche – leider kaum hilfreiche Erfahrungen mit Psychopharmaka hinter sich. Jetzt kann Dr. Banks sie davon überzeugen, das neue Präparat Ablixa einzunehmen. Emily geht es schlagartig besser. Doch sie beginnt zu schlafwandeln – und eines Tages findet sie ihren Mann erstochen in der eigenen Wohnung auf …
Opfer oder Täter? Rooney Mara und Channing Tatum in „Side Effects“
So ist es nunmal: Erwartungen an ein Filmerlebnis basieren verständlich genug vor allem auf den vorher bekannten Eckdaten, so auch bei „Side Effects“. Wenn man weiß, dass das kontroverse Thema Psychopharmaka eine Rolle spielt und kein Geringerer als Steven Soderbergh der Regisseur ist, liegt es nicht fern, sich darauf einzustimmen, dass Medikamentenmissbrauch als komplexe gesellschaftliche Problematik thematisiert wird und üble politische und/oder wirtschaftliche Verflechtungen bloßgelegt werden. Das wird sich der Regisseur von Filmklassikern mit (auch) politischen Anliegen wie „Erin Brokovich“ (2000) und dem vierfach Oscar-gekrönten Drama „Traffic“ (2001) wohl nicht nehmen lassen.
Steven Soderbergh ist tatsächlich ein Phänomen: Er ist als Filmschaffender nicht nur hochproduktiv, sondern beherrscht noch dazu vielerlei Genres – schon seit seinem leisen Psychodrama „Sex, Lügen und Video“ (1989), das mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, bis hin zu Gaunerkomödien wie „Ocean’s Eleven/12/13“ (2001/2004/2007).
In „Side Effects“ wird Emily Taylor jedenfalls angeklagt, ihren Ehemann erstochen zu haben. Als ruchbar wird, dass Banks ihr offenbar fahrlässig ein Medikament mit fatalen Nebenwirkungen verschrieben hat, wenden sich nicht nur die Kriminalpolizei, die Ärztekammer und die öffentliche Meinung gegen ihn, sondern auch die Pharmafirma, für die er gegen Honorar arbeitet, entlässt ihn aus ihren Diensten. „Bin ich der Gute oder der Böse?“ habe er nach der Lektüre des Drehbuchs gefragt, meint Jude Law. Seine Figur Dr. Banks stellt nach und nach fest, dass es in Emilys Krankheitsbild und ihrer Darstellung dessen Unstimmigkeiten gibt. Aber da hat er selbst seine Glaubwürdigkeit schon verloren.
„Side Effects“ ist ein Psychothriller ohne weitere Nachwirkungen, ausgestattet mit schönen Darstellern, die ihre Rollen elegant verkörpern. Zweifellos eine einkalkulierte Berlinale-Nebenwirkung: Starregisseur Soderbergh und seine Hauptdarsteller Jude Law und Rooney Mara lustwandelten leibhaftig über den roten Wettbewerbs-Teppich und scheuten diesen Einsatz in der Berliner Februar-Kälte also nicht. Ende April soll der Thriller in den deutschen Kinos anlaufen. – Doch, eines wirkt nach: die raffinierte Mezzo-Stimmlage von Rooney Mara. Immer verblendungstauglich. (gls)
„Side Effects“, USA 2013, 106 Min., DCP, Regie: Steven Soderbergh, Buch: Scott Z. Burns, Kamera: Peter Andrews, Schnitt: Mary Ann Bernard, Darsteller: Jude Law, Rooney Mara, Catherine Zeta-Jones, Channing Tatum
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