62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012

Die Grenzen der Liebe

„Keep The Lights On“ (Ira Sachs, USA 2012)

Sieben Jahre nach seinem Sundance-Gewinner „Forty Shades of Blue“ (USA 2005) ist Independent-Regisseur Ira Sachs wieder mit einem fiktionalen Film auf der Berlinale vertreten. „Keep The Lights On“ hatte seine Weltpremiere bereits im Januar 2012 auf dem Sundance Film Festival und wurde also als internationale Premiere in Anwesenheit des Regisseurs, der Produzenten, der beiden vielgelobten Hauptdarsteller und des Kameramannes in der Berlinale-Sektion Panorama vor einem begeisterten Publikum aufgeführt.
Sachs erzählt die autobiografisch inspirierte Geschichte zweier junger New Yorker, die miteinander über zehn Jahre ein wechselhaftes Beziehungsleben führen. Ende der 90er Jahre arbeitet der dänischstämmige Dokumentarfilmer Erik unter widrigen Umständen an einer Künstlerbiografie über einen schwulen Fotopionier. Abgesehen davon, dass sich die Finanzierung seines Films schwierig gestaltet, besteht auch sein Liebesleben lediglich aus zufälligen, leidenschaftlichen, aber emotional unbefriedigenden sexuellen Begegnungen mit jungen New Yorkern. Das ändert sich als er den jungen Anwalt Paul kennenlernt. Die beiden beginnen eine ernsthafte Beziehung und ziehen als Paar zusammen. Anders als es sein geregeltes Berufsleben vermuten lässt, ist Paul jedoch keineswegs gefestigt. Er beginnt zu trinken und von leichten auf schwere Drogen umzusteigen. Erik feiert gerade seinen ersten Erfolg als Filmemacher (er gewinnt auf einer fiktionalen Berlinale den Teddy Award), als Paul für mehrere Tage verschwunden bleibt. Erik versucht vergeblich, seinem Partner zu helfen, eine Entziehungskur und eine Trennung der beiden sind aber unvermeidlich. Erik zögert, mit Paul erneut eine Beziehung einzugehen, denn die Chancen auf ein normales Leben nach seiner Rückkehr aus der Therapie sind gering. Tatsächlich wird Paul nach dem Klinikaufenthalt schnell rückfällig und stürzt schwerer ab als zuvor. Letztendlich sieht Erik keine andere Möglichkeit, als sich endgültig von Paul zu trennen.
Eine schwierige Liebe: Thure Lindhardt und Zachary Booth in „Keep The Lights On“ (Foto: Jean Christophe Husson)
Vor „Keep The Lights On“ hat sich Ira Sachs mit „Married Life“ (USA 2007) an einem Ausflug in die gehobene Unterhaltung mit namhaften Darstellern (Pierce Brosnan, Chris Cooper) gewagt. Mit seinem neuen Film ist er wieder zurück im Character-Driven Independent-Film, einer Spezies, die im amerikanischen Produktionssystem stets durchfällt. Anders als in Europa gibt es in den USA außerdem keine Fördersystem, die Finanzierung von „Keep The Lights On“ kam daher auch nur durch das Engagement der (New Yorker) Art Community, Film Community und nicht zuletzt der Queer Community zustande, wie Sachs auf der Berlinale verriet.
Ein Zuschauer im Premierenpublikum der Berlinale schätzte die Darstellung der Lebenswelt von Erik und Paul mit ihrem schnellen beziehungslosen Sex und harten Drogen als akkurat ein. Sachs geht es aber weniger um eine dramatisierte Bestandsaufnahme des schwulen Großstadtlebens als um eine ehrliche und unprätentiöse Chronologie einer „Love-gone-wrong“. Anders als der thematisch korrespondierende „Westerland“ (D 2012) in der Sektion Perspektive Deutsches Kino verzichtet Sachs gänzlich auf bedeutungstragende Filmbilder und verlässt sich auf das Spiel seiner Darsteller. Thure Lindhart als Erik und Zachary Booth als Paul gelingt es allein Dank ihres schauspielerischen Könnens, den Wechsel von einer rein sexuellen zu einer emotionalen Intimität glaubhaft zu machen. Die vielfältigen Wechsel in der Gefühlslage der Protagonisten bleiben in der Regie von Sachs zwar deutlich, werden aber nie als dramaturgisches Mittel für eine gesteigerte Anteilnahme des Zuschauers missbraucht. Ganz bewusst setzt Sachs die leichten, schwebenden Songs des 1992 an AIDS verstorbenen Musikers Arthur Russel als Gegengewicht zur emotionalen Last der Geschichte ein. Sachs erzählt überhaupt in einer Unaufgeregtheit, die bei allen dramaturgischen Höhen und Tiefen der Geschichte Raum lässt für die Frage, wie weit jeder von uns bereit ist, für eine Liebe zu gehen. Absolut verdient gewann Ira Sachs mit „Keep The Lights On“ den Teddy Award und macht damit den Traum wahr, den sein Alter Ego Erik im Film schon erleben durfte. (dakro)
„Keep The Lights On“, USA 2012, 101 min, Regie: Ira Sachs, Buch: Ira Sachs, Mauricio Zacharias, Kamera: Thimios Bakatakis, Schnitt: Affonso Goncales, Musik: Arthur Russel, Darsteller: Thure Lindhart, Zachary Booth, Julianne Nicholson, Paprika Steen u.a.
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