Verbotenes Lichtspiel präsentiert:
Ballet of Bullets – Hongkong-Thriller von Johnnie To
Johnnie To Kei-Fung ist eine Anomalie im Filmkosmos, eine Ausnahmeerscheinung in vielfacher Hinsicht. Mit über 80 (!) Filmen als Produzent und/oder Regisseur seit seinem Debüt Anfang der 80er ist der heute 56-Jährige einer der langlebigsten und produktivsten Filmemacher, selbst für die blitzschnell produzierende Filmindustrie Hongkongs. Johnnie To hat sein Handwerk von der Pike auf zunächst beim Fernsehen gelernt, bevor er erst Anfang 30 mit einer Mainstream-Komödie seinen ersten Kassenschlager für das Kino inszenierte. Nicht untypisch für Hongkong-Regisseure wechselte To fortan die Filmgenres praktisch mit jeder neuen Produktion: Action, Fantasy, romantische Komödie und beinharte Crime-Thriller. Letztere sind heute sein internationales Markenzeichen, denn seine Filme sind allerspätestens seit seinem ultra-coolen Triaden-Bodyguard-Thriller The Mission (HK 1999) auf allen wichtigen Filmfestivals vertreten.
Anders aber als seine etwas älteren, international bekannteren Regiekollegen John Woo (The Killer, HK 1989; Face/Off, USA 1997) und Tsui Hark (Once Upon A Time In China, HK 1991; Knock Off, USA/HK 1998) hat Johnnie To die goldenen Jahre des Hongkong-Action-Kinos in den 80ern und seine Kritiker-Erfolge ab den späten 90ern nicht als Sprungbrett nach Hollywood genutzt, auch wenn er eigentlich alle Voraussetzungen dafür erfüllte. Stattdessen gründete er ausgerechnet nach dem Hongkong-Film-Boom 1996 mit seinem Kreativpartner Wai Ka-Fai die unabhängige Produktionsfirma “Milkyway Image”. Milkyways Erfolgrezept liegt in dem ausgewogenen Verhältnis von Mainstream-Popstar-Kino und gewagten Off-Beat-Produktionen, beides aber fest verwurzelt im traditionellen asiatischen Markt.
Der Reiz von Johnnie Tos Thrillern auf Filmliebhaber der westlichen Hemisphäre liegt in der unwiderstehlichen Mischung von traditionellem Genre, unkonventionellem Erzählen und einem eleganten visuellem Stil. Der bekennende Jean-Pierre Melville-Verehrer (Der eiskalte Engel, F 1967; Vier im roten Kreis, F 1970) verhandelt oft den Konflikt zwischen Männerfreundschaften und Gangsterloyalität, wobei die atemberaubend inszenierten Shoot-Outs nicht nur optische Highlights, sondern Ausdruck einer schicksalhaften Unvermeidlichkeit sind.
Johnnie Tos Beitrag zum Weltkino und seine Bedeutung für die Erneuerung des Genre-Kinos können kaum überschätzt werden. Dass diese modernen Klassiker hierzulande meist nur in die Videotheken gelangen, ist bedauerlich, sein “Ballet der Kugeln” gehört endlich auf die großen Leinwände. Verbotenes Lichtspiel bringt deshalb vier Hardboiled-Perlen in Kieler Spielstätten:
10.11.2011, 20:30, Luna Club
PTU (Johnnie To, HK 2003, OmU)
Der Schauplatz: Hongkong bei Nacht. Der faule Polizist Lo gerät beim Abendessen versehentlich in einen Bandenkrieg und verliert dabei seine Dienstwaffe. Dies löst eine gleichermaßen absurde, komische und hoch spannende Odyssee aus, in deren Zentrum neben Lo die Gangsterbande sowie die titelgebende Police Tactical Unit stehen. Johnnie Tos PTU – Police Tactical Unit (HK 2003) ist einerseits nahezu perfektes Genrekino der Marke Räuber & Gendarm und andererseits mit seiner kompromisslosen Erforschung der dünnen Grenze von Recht und Unrecht gleichzeitig so viel mehr. Wie stets erzählt der Meister des Hongkong-Actionfilms eine hoch spannende und wunderbar inszenierte Geschichte, die nächtlichen Irrungen und Wirrungen sind aber durch die daraus resultierende Komik nicht aufgelockert, sondern: noch intensiver. Die grandios gefilmten nächtlichen Straßen Hongkongs liefern den idealen Hintergrund dazu. PTU ist aber nicht nur ein Action-Festival, sondern auch ein Ideen-Spektakel: Los absurde Missgeschicke, die zufälligen Begegnungen der suchenden Parteien und die vielen kleinen Einfälle, die den Film so liebenswert machen, zeichnen PTU als einen der eingängigsten und gleichzeitig kunstvollsten Filme Johnnie Tos aus.
PTU – Police Tactical Unit, Hongkong 2003. Regie: Johnnie To. Darsteller: Simon Yam, Maggie Siu, Suet Lam, Ruby Wong, Wong Ho-Yin, Eddy Ko, Lo Hoi-Pang, Jerome Fung, Frank Michael Liu. Kantonesisch mit deutschen Untertiteln. Mit Einführung.
16.11.2011, 20:30, HansaFilmpalast
Mad Detective (Johnny To, & Wai Ka-Fai, HK 2007, OmeU)
Publikumserfolg und Kritikerliebling, klassischer Cop-Thriller und Mystery-Movie. Sentiment, Lachen, Nägelbeißen: Mad Detective liefert das alles und stellt ganz nebenbei die Regeln des Genres auf den Kopf. “Mad” Detective Bun war einst der talentierteste Profiler der Mordkommission in Hongkong. Seine außergewöhnliche Fähigkeit, die Psyche seines Gegenübers “sehen” zu können, bringt ihn schließlich selbst an den Rand des Wahnsinns: Nachdem Bun sich ein Ohr amputiert, wird er zwangspensioniert. Doch als mehrere schwere Verbrechen, ausgeführt mit einer vermissten Polizeiwaffe, ungelöst bleiben, wird Detective Bun von seinem Protegé Inspektor Ho reaktiviert. Buns ungewöhnliche Ermittlungsmethoden führen bald auf die Spur eines Kollegen … Mad Detective ist die elfte gemeinsame Produktions- und Regiearbeit von Johnnie To und Wai Ka-Fai, den beiden Gründern des unabhängigen Filmstudios “Milkyway Image”. Die bemerkenswerte Kreativpartnerschaft vereinigt erneut die unkonventionellen Drehbuchideen Ka-Fais mit der treibenden Inszenierung Tos zu einer filmischen Meisterleistung, die im Kinojahr 2007 in Hongkong alle Rekorde brach.
Mad Detective (San taam), Hongkong 2007, Regie: Johnnie To, Wai Ka-Fai. Darsteller: Ching Wan Lau, Andy On, Ka Tung Lam, Lelly Lin. Kantonesisch mit englischen Untertiteln. Mit Einführung.
22.11.2011, 20:30, Schaubude
The Longest Nite (Johnny To, HK 1998, OmeU)
Längste Nacht, kürzeste Brennweite: Johnnie Tos The Longest Nite ist eine Tour de Force durch die Triadenkriegslandschaft des nächtlichen Macao. In sorgsam arrangierten und spärlich beleuchteten Weitwinkel-Kompositionen begleitet die Kamera einen Auftragsmörder und einen korrupten Polizisten durch eine Nacht, in deren Zentrum die geplante Tötung eines Mafiabosses noch vor dem Morgengrauen steht. Nach und nach tritt dabei die Ohnmacht der Helden zu Tage sowie deren Unfähigkeit, Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse zu nehmen. Erinnert an David Finchers The Game (USA 1997) und natürlich immer auch an Noir mit seinen gebrochenen und gedoppelten Figuren, gefangen in den Mühlen des Systems. To, stets cinephil, durchsetzt den Film mit diversen Zitaten von Lynchs Lost Highway (USA 1997) bis zu Welles’ The Lady from Shanghai (USA 1947). Dass Wai Ka-Fais vor cleveren Ideen, Referenzen und zahllosen Plot-Twists überbordendes Drehbuch nicht baden geht, ist allem voran der schieren Energie und gestalterischen Geschlossenheit von Tos Inszenierung geschuldet. Dabei bringt das zahlreiche Einstellungen vignettierende Schwarz der Nacht häufig die Grenzen von Mise-en-Scene und Budget zur Deckung. Achterbahnfahrt und weitestgehend unbekanntes Meisterwerk, ist The Longest Nite an diesem Abend zum ersten Mal auf einer Leinwand in Deutschland zu sehen.
The Longest Nite (Am faa), Hongkong 1998. Regie: Johnnie To. Darsteller: Tony Leung, Lau Ching Wan, Maggie Siu, Lam Suet. Kantonesisch mit englischen Untertiteln. Mit Einführung.
30.11.2011, 20:30, Weltruf
The Mission (Johnny To, HK 1999, OmeU)
Mit The Mission spielt Johnnie To mit den Regeln des Gangsterfilms und den Erwartungen der Zuschauer an dieses Genre. Ein Gangsterboss wird beinahe Opfer eines Anschlags. Zu seiner Sicherheit werden fünf Profis mit unterschiedlichsten Fähigkeiten engagiert. Doch so hart kann der Panzer des Profitums gar nicht sein, dass er nicht splittert, wenn Leidenschaften einschlagen. Eine Standardsituation, nicht nur des Genres: Eine Gruppe wird aus kaum individuellen, stark typisierten Figuren zusammengestellt. Das befördert beides: Konflikte und ineinandergreifendes Funktionieren. Der Witz bei To: Er verwendet einen Großteil der Zeit nicht etwa auf den Nachweis der Fähigkeiten der Gruppe, sondern auf ihr Warten. Wir sehen nicht, was hinter den Türen der Macht geschieht, sondern wie sich die Leibwächter vor der Tür die Zeit vertreiben – und dabei die Form wahren müssen. Überhaupt Form: Feuergefechte sind nicht heiß und aus der Mitte des Geschehens heraus inszeniert, sondern cool und mit grandioser geometrischer Präzision auf die Leinwand gezirkelt. The Mission ist einer der Glücksfälle, die Johnnie To in Serie produziert. Selbstreflexiv, ironisch UND komisch. Aber: NICHT lächerlich. Und: SEHR elegant.
The Mission (Cheung fo). Hongkong 1999. Regie: Johnnie To. Darsteller: Anthony Wong, Francis Wong, Jackie Lui, Suet Lam, Simon Yam. Kantonesisch mit engl. Untertitel. Mit Einführung.