Gedenkveranstaltung: „Verstehen und Gedenken – Psychiatrie im Nationalsozialismus“
„Bei uns ist in Deutschland ja auch eine ganz besondere Situation, dass die Psychiater ja wirklich die Mörder damals ihrer Patienten waren. Das ist bei uns ja so etwas untergegangen.“ (Dorothea Buck in „Himmel und mehr“ von Alexandra Pohlmeier)
„Verstehen und Gedenken – Psychiatrie im Nationalsozialismus“, unter diesem Motto steht das Begleitprogramm zur Gedenkveranstaltung für die Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisation, die traditionell am ersten Samstag im Monat September an der Tiergartenstraße 4 in Berlin stattfindet.
Am Freitag, 3. September 2010 beginnt das Begleitprogramm um 14 Uhr in der Philharmonie mit zwei Vorträgen und einem Gespräch zwischen dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und der 93-jährigen Zeitzeugin Dorothea Buck, die selbst mit der Diagnose Schizophrenie 1936 zwangssterilisiert wurde und später nur knapp der „Euthanasie“ entgangen ist.
Um 19 Uhr wird der Film „Himmel und mehr – Dorothea Buck auf der Spur“ (www.himmelundmehr.de) im Babylon Mitte mit anschließendem Filmgespräch gezeigt. Der 90-minütige Film zeigt Leben und Werk der Hamburger Bildhauerin Dorothea Buck, die sich nach fünf psychotischen Schüben selbst von der Schizophrenie geheilt hat. 1917 geboren gerät sie mit 19 Jahren in eine schwere psychische Krise. Mit der Diagnose „Schizophrenie“ im Dritten Reich als „minderwertig“ abgestempelt wird sie 1936 in der Anstalt Bethel (heute Diakonie) zwangssterilisiert. Sie überlebt menschenunwürdige Behandlungsmethoden und die Sprachlosigkeit in psychiatrischen Anstalten. Entgegen der ärztlichen Unheilbarkeitsprognose (heute: chronisch krank) versucht Dorothea Buck zu verstehen, was sie in die Psychose getrieben hat, und entwickelt eine eigene Theorie ihrer Erkrankung. So findet sie schließlich den Schlüssel zu ihrer endgültigen Heilung. Untrennbar damit verbunden ist ihre Entwicklung zu einer ausdrucksstarken und vielfach ausgezeichneten Künstlerin.
Sie hat aber nicht nur sich selbst geholfen, sondern kämpft seit über 30 Jahren für eine menschlichere Psychiatrie, in der der Patient das Subjekt der Behandlung ist. Für ihr unermüdliches Engagement hat sie 1997 das Bundesverdienstkreuz und 2008 den Großen Verdienstorden für ihr Lebenswerk erhalten. Eine Entschädigung für die erlittene Zwangssterilisation im Sinne der Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus steht dagegen bis heute aus (siehe auch „Kontraste“/ARD vom 27.5.2010).
Der Filmemacherin Alexandra Pohlmeier hat die unnachahmlich lebhafte Dorothea Buck zwischen 2001 und 2008 in ihrer Hamburger Atelierwohnung besucht und auf ihren Reisen begleitet, um diese große Lebenserzählung festzuhalten. Ergänzt wird diese durch die Außenperspektive der jüngeren Schwester, die ein Schlaglicht auf die Rat- und Hilflosigkeit von Angehörigen von Menschen mit psychischen Problemen wirft. Akzentuiert eingeschnitten zeugt Dorothea Bucks bildhauerisches Schaffen von einer außerordentlich kraftvollen Persönlichkeit. „Himmel und mehr“ ist ein Film über eine mutige Frau – ein Film, der Mut macht.
Sollte Frau Buck gesundheitlich in der Lage sind, wird sie selbst nach dem Film anwesend sein und Rede und Antwort stehen.
Am Samstag (4.9.2010) Vormittag bietet sich die Gelegenheit zu einer Exkursion in die neu gestaltete Ausstellung „totgeschwiegen“ in den ehemaligen Wittenauer Heilstätten, später Karl-Bonhoeffer Nervenklinik in Berlin Reinickendorf. Um 14 Uhr beginnt an der Tiergartenstraße 4, das ist die Bushaltestelle hinter der Philharmonie, die Gedenkveranstaltung für die Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisation. Für die Veranstaltung in der Philharmonie muss man sich anmelden. Alle anderen Teile sind ohne vorherige Anmeldung zugänglich. Mehr unter www.psychiatrie.de (Lernen mit der Geschichte?) und im als PDF hier nachlesbaren Flyer.
„Himmel und mehr“ auf Kinotour
Alexandra Pohlmeiers Dokumentarfilm „Himmel und mehr – Dorothea Buck auf der Spur“ ist auch weiter auf Tour durch deutsche Kinos.
Folgende Termine stehen fest (die fehlenden Ort- bzw. Zeitangaben finden sich ständig aktualisiert unter www.himmelundmehr.de). Die Regisseurin ist bei allen Filmvorführungen anwesend und steht zu Gesprächen bereit.
- 1. September in Mönchengladbach
- 3. September in Berlin, 19 Uhr in Anwesenheit von Dorothea Buck und Alexandra Pohlmeier (siehe oben)
- 19. September in Koblenz, 11 Uhr
- 19. September in Weingarten/Ravensburg, 19 Uhr
- 6. Oktober in Worms, 17 Uhr
- 10. Oktober in Pfaffenhofen, 17.30 Uhr
- 11. Oktober in München, 18 Uhr
- 12. Oktober in Freiburg, 19.30 Uhr
- 13. Oktober in Rostock, 20 Uhr
- 14. Oktober in Merseburg, 14.30 Uhr
- 15. Oktober in Halle, 18 Uhr
Weitere Termine können gebucht werden: pohlmeier@himmelundmehr.de.
(nach einer Pressemitteilung von Alexandra Pohlmeier)