Die heilige Familie

„Erklär mir Liebe“ (Florian Aigner, D 2010)


„Erklär mir Liebe“ von Florian Aigner hieß in der kürzeren Fernsehfassung „Eltern bleiben“ (WDR, September 2009) und titelte damit genauer das Thema dieses Dokumentarfilms, dass Ex-Liebes- bzw. Ehepaare nach der Trennung der gemeinsamen Kinder wegen noch eine Verbindung aufrecht erhalten und sich an einander „abarbeiten“. Mit gegenseitiger (Rest-) Liebe hat das meist nichts mehr zu tun, sondern nur noch mit der Liebe der Eltern zu ihren Kindern und dass sie eine gemeinsame Verantwortung diesbezüglich akzeptieren. (Selbst-) Erkenntnis und Postehekrieg halten sich dabei zu meist die Waage, der Schmerzen kein Ende und Mittendrin die Kleinen, als Opfer, die Mama und Papa haben wollen und sollen.
Als Prolog wählte sich Aigner die Beobachtung von Kindern bei einem weihnachtlichen Krippenspiel. Zum ersten Mal taucht hier das Bild der Heiligen Familie auf, das sich leitmotivisch in verschiedenen Gemäldedarstellungen durch den Film zieht. Das Jesuskind geborgen zwischen Joseph und Maria. Die Ehe als Schutzort für die Kinder, die damit ihren Hauptzweck erfüllt. Aigner zeigt Versuche, diesen Schutzort nach der Trennung irgendwie aufrecht zu erhalten, trotz aller Kollateralschäden. Er porträtiert dafür vier Elternpaare, zwei junge und zwei ältere, an denen sich das ganz alltägliche Leid, des Nicht-Mehr-Miteinander-Könnens abbildet. Wobei die älteren, schon länger getrennt lebenden Expartner reflektierter und abgeklärter über ihre vergangenen Schwierigkeiten erzählen können und der Schmerz nur noch in der Erinnerung durchlebt wird. Bei den jüngeren wird die Kamera zum mitleidenden Beobachter. Gerd bemüht sich um seinen kleinen Sohn Beren. Er holt ihn vom Kindergarten ab, geht mit ihm zum Spielplatz oder Pommes essen. Pauline akzeptiert das, kann ihre Aggressivität dem Exmann gegenüber oft jedoch nur mühsam unter der Decke halten. Gerd erzählt, dass sie sich praktisch mit der Geburt ihres gemeinsamen Wunschkindes von ihm „entliebt“ hätte. Er fühlte sich zurückgesetzt, auch körperlich, alles wurde nur noch „kindgerecht“ von ihr gemacht. Pauline bezeichnet Gerd genervt als nicht mehr tragbar. Die Ironie der Geschichte ist, dass erst mit dem gemeinsamen Kind eine gemeinsame Ehezukunft weder vorstellbar noch lebbar wurde. Und die Wunden sind noch nicht verheilt, Pauline stichelt, Gerd ironisiert.
Auch beim zweiten Paar traten die Schwierigkeiten erst offen nach der Geburt der Tochter zu Tage. Marlen, doch vorher scheinbar so emanzipiert (was auch immer damit von Tilman gemeint ist), erweist sich nun als wahres „Muttertier“ und fordert von Tilman die traditionelle Vaterrolle ein, mit der er sich überfordert fühlt. Ihre Wunschträume vom „bis ans Lebensende glücklich Sein“ zerplatzen, als er sie während ihrer zweiten Schwangerschaft verlässt. Sie sucht Erfüllung in ihren Kindern, will das vorherige Leben („immer Party machen, „¦ unterwegs sein“) nicht mehr. Das Bild der alleinerziehenden Mütter prägt sich ein, obwohl die Väter für ihre Kinder da sind. Lange verweilt die Kamera z.B. auf Pauline, wie sie allein mit ihrem Sohn im Kinderwagen an einer Ampel steht, daneben eine ganze Familie mit kleinem Sohn.
Tilman und Marlen mit Kind, Szene aus „Erklär mir Liebe“
Ein Jahr lang hat Aigner die Paare beobachtet. Es zeichnet sich mit der Zeit ab, dass die Eltern sich arrangieren. Man kann sich vorstellen, dass auch die Jüngeren ähnlich wie Peter und Ulrich an „symbolträchtigen Tagen wie zum Beispiel Weihnachten“ die traute Familie zelebrieren. Der Film endet ambivalent. Zum einen deutet sich an, dass Marlen und Tilman wieder zueinander finden könnten. Auf der anderen Seite zeichnet der Epilog ein doch eher trauriges Bild. Bei einem Museumsbesuch, bei dem wieder Gemälde von der Heiligen Familie eine Rolle spielen, erzählen Kinder von ihren geschiedenen Eltern. Nur ein Mädchen scheint dabei zu sein, dessen Eltern noch zusammen leben. Die Ausnahme? (Helmut Schulzeck)
„Erklär mir Liebe“, Deutschland 2010, 66 Min., Beta SP, Buch, Regie, Schnitt: Florian Aigner, Kamera: Henning Brümmer, Ton: Juri von Krause, Marc Witte, Musik: Moritz Gagern, Filmförderung: Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Kulturelle Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern, Filmbüro Bremen.
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