60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Panorama Spezial
Pop Music Saved My Life
“Goruden Suramba” (Yoshihiro Nakamura, JAP 2010)
Während die deutschen Autorenfilmer gerade den Genrefilm wiederentdecken, würfeln die asiatischen Filmemacher die Genres in den diesjährigen Berlinalefilmen bunt durcheinander: Koji Wakamatsu verlagert den Anti-Kriegsfilm mitten in ein Ehedrama (“Caterpillar”, JAP 2010), Yoji Yamada sprenkelt Dokumentarisches in sein in leichtem, romantischen Ton erzähltes Sozialdrama (“Kyoto Story”, JAP 2010) und Debütfilmer Arvin Chen verquirlt die romantische Komödie mit dem Kriminalfilm (“Au Revoir Taipeh”, TAI/USA/D 2010). Steigerung möglich? Und ob: Yoshihiro Nakamura haut Verschwörungsthriller und Komödie in den Mixer, gießt noch kräftig Verfolgungsjagden, Serienkiller und fiese Agenten drauf und gibt noch einen Schuss Romanze und Popmusik dazu. Heraus kommt der farbenfrohe “Goruden Suramba” oder in der englischen Übersetzung: “Golden Slumber”. Und die Augen muss man sich zunächst auch reiben, will man den stilistischen Wendungen folgen.
Lieferjunge Aoyagi (Masato Sakai) gerät überraschend in das Fadenkreuz von Staatsschutz und Medien, denn in ihm hat man den Bombenattentäter des jüngst gewählten Premierministers ausgemacht. Tatsächlich ist er nur der “Fall Guy” für eine Politverschwörung an höchster Stelle. Prompt tauchen im Fernsehen sehr glaubhaft gefälschte Bilder von Aoyagi auf, die ihn bei der Attentatsvorbereitung zeigen. Es beginnt eine rasante Flucht, in deren kuriosen Verlauf Aoyagi immer wieder wegen seines Status als D-Celebrity aus der Klemme geholfen wird: Vor Jahren hat er einer Popsängerin das Leben gerettet. Aber auch von anderer Seite bekommt Aoyagi unerwartet Hilfe: Ein alt gedienter Kleingauner weist ihm den Fluchtweg in die Kanalisation, und ein mysteriöser Serienkiller schaltet fiese Agenten aus. Schließlich kann Aoyagi mit Hilfe seiner Ex-Freundin und einem Studentenfreund zum Gegenschlag ausholen.
Auf der Flucht vor einener Verschwörung: Masato Sakai in “Goruden Suramba” (Foto: Berlinale)
Hat man sich erst einmal an den obskuren Genremix gewöhnt, wird “Goruden Suramba” zu einer unterhaltsamen Reflexion über das Erinnern und die Medien als kollektives, aber auch manipulierbares Gedächtnis. Die gefälschten Überwachungsvideos beweisen einer fernsehgläubigen Öffentlichkeit die Schuld Aoyagis und ziehen die Schlinge um seinen Hals schnell zu. Gleichzeitig sorgt seine mediengeförderte Popularität, genauer die der geretteten Popsängerin, für eine erfolgreiche Flucht. In Rückblenden erzählt “Goruden Suramba” von Aoyagi und seinen vier studentischen Freunden, die in nächtlichen Sitzungen ihrer “Fast Food Research Society” über Pop-Musik reflektieren. Der Titel stiftende Song “Golden Slumbers” von den Beatles entstand zu einer Zeit, als die vier Musiker bereits zerstritten waren. Doch die Musik führte sie wieder zusammen, das letzte Meisterwerk “Abbey Road” entstand. Die Erinnerung an die gemeinsame Studentenzeit und die geteilte Liebe für Musik bringt auch die ehemaligen Freunde dazu, Aoyagi aus seiner lebensbedrohlichen Situation zu helfen. Wer daran glaubt, für den wird es auch wahr: Popmusik rettet einem das Leben. (dakro)
“Goruden Suramba”, Japan 2010, 139 Min., 35mm, Buch: Yoshihiro Nakamura, Tamio Hayashi, nach dem Roman von Kotaro Isaka, Regie: Yoshihiro Nakamura, Kamera: Takashi Komatsu, Schnitt: Hirohide Abe, Ton: Yo Ishigai, Darsteller: Masato Sakai, Yuko Takeuchi, Hidetaka Yoshioka, Gekidan Hitori, Nao Omori, Sango Kitamura u.a.