60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Wettbewerb

Unter Stadtneurotikern

„Please Give“ (Nicole Holofcener, USA 2010)

Manhattan, 10th Avenue: Dort befindet sich Kates und Alex’ stylisher Antiquitätenladen, und er läuft richtig gut. Das Ehepaar hat sich auf das Aufkaufen von Möbeln und Einrichtungsgegenständen bei Wohnungsauflösungen spezialisiert: Ihre Taktik, den Erben gerade verstorbener älterer Herrschaften die Gegenstände günstig abzukaufen, um sie dann mit großer Gewinnspanne wieder unter die Leute zu bringen, geht bestens auf. Als Ausgleich für ihr schlechtes Gewissen, den eigenen Wohlstand im Grunde auf dem Leid anderer aufzubauen, steckt Kate jedem, der für sie wie ein Obdachloser aussieht, erkleckliche Summen Bargeld zu, sucht sich jede Woche ein neues karitatives Ehrenamt und hält die 15-jährige Tochter Abby kurz an Taschengeld. Aber auch dadurch kann sie eines nicht verhindern: dass Rebecca, die in Kates und Alex’ Nachbarwohnung ein- und ausgeht, um ihre greise Großmutter Andra zu versorgen, die Nachbarn für gefühllose Kapitalisten hält, die nur auf den Tod ihrer Oma warten. Denn Kate und Alex sind die Eigentümer von Andras Wohnung und könnten, würde diese frei, einen durchaus attraktiven Durchbruch machen. Aber so weit ist es noch nicht, auch wenn Rebeccas Schwester Mary, eine Sonnenstudio-gebräunte Zicke, ebenfalls nichts gegen das Ableben ihrer widerborstigen Oma hätte. Andras 91. Geburtstag muss dafür herhalten, dass sich alle bei einem Essen in Kates und Alex’ Wohnung kennen lernen sollen. Dies bringt einiges ins Rollen …
Stadtneurotiker mit erbschleicherischem Geschäftssinn: Catherine Keener und Oliver Platt in „Please Give“ (Foto: P. Redlinski)
Die Regisseurin Nicole Holofcener schrieb zugleich das Original-Drehbuch zu „Please Give“, wie schon für ihre Komödien „Walking and Talking“ (1996), „Lovely and Amazing“ (2001) und „Friends with Money“ (2006). Die in ihrer Normalität absolut durchgedrehten Befindlichkeiten urbaner Menschenkinder in der Szenerie einer Metropole sind ihr Leib-und-Magen-Thema. Wenn sie selbst eine Geschichte schreibe, so Holofcener, komme eben so etwas heraus – ohne Humor im Blick auf die Menschen geht es nicht. Bereits zum vierten Male drehte Holofcener mit ihrer Freundin, der bereits zweifach Oscar-nominierten Catherine Keener, die die Rolle der Kate rührend verkörpert. Für Keeners Kate gilt wie für Alex (Oliver Platt), Mary (Amanda Peet), Rebecca (Rebecca Hall) und überhaupt alle Figuren in „Please Give“: Alle haben ihre Macken und Mängel – und behalten sie auch. Und sind allesamt zugleich nervig und liebenswert in einer ruhig und unpathetisch erzählten Story.
Eigentümliche Städter in Manhatten: Da liegt der Gedanke an Woddy Allen nicht fern. Interessanterweise gibt es einige persönliche Woody-Allen-Verzweigungen: Die Britin Rebecca Hall war Allens Vicky in „Vicky Christina Barcelona“ (2008), Amanda Peet spielte 2004 in seinem Werk „Melinda und Melinda“, und Nicole Holofcener selbst ist als Stieftochter von Allens langjährigem Produzenten Charles H. Joffe mit dem Meister verbunden.
Die eigentümliche Psychologie von Städtern inspiriert Filmschaffende eben unermüdlich. Holofceners stille Komödie, im Januar gerade auf dem Sundance Film Festival präsentiert, lief im Wettbewerb der 60. Berlinale außer Konkurrenz. Die besten Geschichten, sagt man, schreibt das Leben selbst. „Please Give“ wirkt so authentisch, dass es genauso gut nebenan hätte passieren können. (gls)
„Please Give“, USA 2010, 90 Min., D-Cinema/35mm Cinemascope, Buch, Regie: Nicole Holofcener, Kamera: Yaron Orbach, Schnitt: Robert Frazen, Ton: Stuart C. Deutsch, Darsteller: Catherine Keener, Amanda Peet, Oliver Platt, Rebecca Hall, Ann Marie Guilbert u.a.