60. Internationale Filmfestspiele Berlin: Wettbewerb

Unter Druck

„Der Räuber“ (Benjamin Heisenberg, Österreich, Deutschland 2010)

Ende der 80er Jahre hielten zwei spektakuläre Erfolgsgeschichten Österreich in Atem: Johann Kastenberger, ein bis dahin unbekannter Sportamateur, lief sich in mehreren Wettbewerben an die Spitze der österreichischen Marathonelite. Und „Pumpgun Ronnie“, ein Bankräuber der seinen Spitznamen seiner Waffe und der notorisch getragenen Ronald-Reagan-Maske verdankt, landete die längste Serie erfolgreicher Banküberfälle. Über mehrere Wochen fieberten die Österreicher in einer Art Robin-Hood-Stimmung mit, als Kastenberger zunächst als „Pumpgun-Ronnie“ überführt und verhaftet wurde und dann während eines Polizeiverhöres fliehen konnte. Die größte Fahndungsaktion in der österreichischen Kriminalgeschichte lief an.
Wie ein wildes Tier im Käfig dreht ein Läufer seine Bahnen im engen Innenhof einer Strafvollzugsanstalt. Sein Training setzt er in seiner Zelle ungerührt fort. Am Haftinsassen Johann Rettenberger (Andreas Lust) prallt jeder gut gemeinte Ratschlag seines Bewährungsbeamten erfolglos ab. Kaum aus der Haft entlassen, hat er schon den ersten Banküberfall verübt. Er ist präzise, eloquent und schnell. Zwischen den folgenden Banküberfällen und den Trainingseinheiten als Läufer scheint kaum ein Unterschied zu bestehen, sie gehen nahtlos ineinander über, und er hält beides mit dem Pulsfrequenzmesser fest. Rettenbergs hermetischen Panzer durchdringt nur seine Freundin Erika (Franziska Weisz), die den Ex-Häftling zunächst bei sich aufnimmt und dann seine Doppelidentität entdeckt.
Regisseur Benjamin Heisenberg („Schläfer“, D 2005) adaptiert für „Der Räuber“ den biografischen Roman von Martin Prinz, lehnt aber seine Figur des Johann Rettenberger lediglich an Kastenberger an. Heisenberg geht es um das Portrait eines von phänomenalen inneren Kräften getriebenen Mannes, der nicht anders kann, als seine Energie immer wieder im Laufen und in Banküberfällen zu kanalisieren.
Rennen unter Druck: „Der Räuber“ (Foto: Berlinale)
Heisenberg psychologisiert seine Figur bewusst nicht. Es gibt keinerlei Erklärungsversuche für Rettenbergers notorisches Verhalten. Stattdessen reduziert Heisenberg das dramaturgische Konstrukt auf die wesentlichen Handlungen Rettenbergers und verzichtet fast gänzlich auf Ausformulierungen auf der Dialogebene. Solche braucht es auch nicht, denn das hervorragende Spiel von Andreas Lust lässt den Druck spüren, unter dem Rettenberger zu jeder Zeit steht. Der Schauspieler Lust löst sich in der Figur auf wie der Läufer Rettenberger im Laufen. Das ist intensiv und höchst preisverdächtig.
Sonst bekannt für ruhige, teilweise minutenlange Einstellungen, löst Kameramann Reinhold Vorschneider die Dynamik der Lauf- und Verfolgungsszenen hoch auf und erschafft grandiose und atemberaubende Kamerafahrten. Vorschneider kann übrigens auf dieser Berlinale seine ganze Bandbreite demonstrieren, ist er doch durch Angela Schanelecs „Orly“ und Thomas Arslans „Im Schatten“ noch zweimal im Forum vertreten.
Neben „Im Schatten“ und „Im Angesicht des Verbrechens“ lässt „Der Räuber“ an so etwas wie die Rückkehr des Genre-Kinos im deutschen Film denken. Freude bereitet auf jeden Fall die hohe filmische Qualität von „Der Räuber“, die sich auf eine straffe Dramaturgie, brillantes Spiel und virtuose Kameraarbeit gründet. (dakro)
„Der Räuber“, Österreich, Deutschland 2010, Buch: Benjamin Heisenberg, Martin Prinz nach dem Roman von Martin Prinz, Regie: Benjamin Heisenberg, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Andrea Wagner, Benjamin Heisenberg, Ton: Marc Parisotto, Darsteller: Andreas Lust, Franziska Weisz, Markus Schleinzer u.a.

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