51. Nordische Filmtage Lübeck 2009
Kurzgeschnitten – Eindrücke vom Kurzfilmprogramm des Filmforums
Seestück, Kai Zimmer, 2009
Der in Berlin lebende Kieler Videokünstler Kai Zimmer entwirft mit „Seestück“ einen maritimen Bilderbogen seiner Heimatstadt Kiel und drückt ihr seinen unverwechselbaren Stempel auf. Zwar reihen sich sattsam bekannte Motive vom HDW-Kran über die Skandinavien-Fähren bis zum Nord-Ostsee-Kanal aneinander, doch Zimmer trachtet nach neuen Perspektiven, die zu überraschen suchen. Rhythmisch „zappt“ sich Zimmer durch die Postkartenansichten, mischt ungewöhnliche Details dazwischen. Die Tonspur entwirft er neu, Original-Atmo wird verschoben, die Soundbibliothek wird geplündert. Den frühmorgendlichen Seglern kräht ein Hahn entgegen und abends heulen die Wölfe an der Hörn. Selten ist der Humor in Zimmers Arbeiten so vordergründig und ohne Arg. „Seestück“ ist eine sichtbare Liebeserklärung an die Stadt an der Förde.
Gelb, Nils Strüven, 2009
Jungregisseur Nils Srüven verarbeitet seine eigenen Eindrücke der Metropole Berlin in der visuellen Fingerübung „Gelb“. Darren Arnofskis „Pi“ (1999) könnte Pate gestanden haben, wenn Srüven seinen Helden in einem Anflug von Panik vor einer rätselhaften Frau fliehen lässt. Nach einem Plot muss man nicht suchen, aber Strüven gelingt mit der nervösen Handkamera, Farbauszug und einem flirrenden elektronischen Soundtrack, für einen kurzen Moment die Großstadt-Paranoia fühlbar zu machen.
Brennendes Interesse, Grote/Oppermann, 2009
Gerald Grote und Claus Opermann illustrieren in „Brennendes Interesse“ eine kuriose Zeitungsmeldung über einen raffinierten Versicherungsbetrug. Oder ist es doch nur ein Treppenwitz der Justiz? Offensichtlich ist nur, dass das erfolgreiche Team Grote/Oppermann zusammen mit Komponist Chris Evans Ironside und Ausstatterin Maren Jaenisch wieder mit höchster Sorgfalt auf der visuellen und akustischen Ebene gearbeitet hat. „Brennendes Interesse“ ist vielleicht kein Film im engeren, dramaturgischen Sinn, bezeugt aber die Liebe Grotes und Opermanns zum Film alter Schule. „Brennendes Interesse“ ist aber auch Verneigung und Abschiedsgruß an die Sprecher-Legende Franz Joseph Steffens und den Schleswig-Holsteiner Künstler, Unterstützer der lokalen Filmszene und Charaktermimen in ungezählten Kurzfilmen, Jürgen Prediger.
Der Untermieter, Max Zähle, 2009
Jens und Birte ahnen nicht, dass sie sich mit den neuen Untermieter Max ein Kuckucksei ins Nest gelegt haben. Ungeniert dringt Max in die Intimzone seiner zunächst arglosen Vermieter ein und serviert schon mal das Sonntagsfrühstück direkt ans Bett und hängt auch die Dessous-Unterwäsche gleich mit auf. Bevor die Grenzen der Privatsphäre verteidigt werden können, ist es schon zu spät. Max Zähle legt eine amüsante Beobachtung moderner Wohngemeinschaften vor, die hier und dort noch etwas bissiger hätte ausfallen dürfen, aber unbedingt Unterhaltungsqualitäten besitzt und von einem soliden Darstellertrio getragen wird.
vorher/nachher, Sonja Marie Krajewski, 2009
Sonja Marie Krajewskis „vorher/nachher“, Gewinner des diesjährigen Cinegate-Kurzfilmpreises, bekam vom Publikum viel Zuspruch, reizte aber auch zur Kontroverse über die Erwartungen, die man an einen Film zum Thema Vergewaltigung haben kann. Eine junge Sportlerin trainiert joggend kurz vor einem Wettkampf. Die Zufallsbekanntschaft mit einem Jogger führt zu einer Vergewaltigung. Die junge Frau ist zwar psychisch völlig am Boden, sammelt aber alle Kraft, um doch noch am Wettbewerb teilzunehmen. Bewusst konzentriert sich Krajewski auf die Innenperspektive des Vergewaltigungsopfers, der Zuschauer erlebt die Tat und die Verzweiflung in den ersten Stunden danach unmittelbar. Diese erzählerische Beschränkung ist schon durch die Länge eines festivaltauglichen Kurzfilms bedingt, eine ungewöhnlich anmutende Formatwahl, um das Thema aufzuarbeiten. Konsequent verzichtet Krajewski daher auf den Nachgang einer Vergewaltigung, Anzeige, Prozess, Zurückfinden in den Alltag. Stattdessen gibt sie dem Opfer eine Stimme, die scheinbar zeitlich schon etwas entfernt aus dem Off über ihre Gefühle während und nach der Vergewaltigung räsoniert. Krajewski liefert stellvertretend für ihre Erzählerin ein Kondensat aus zahlreichen Gesprächen mit betroffenen Frauen. Die Zerstörung des Selbstbewusstseins der jungen Frau ist zunächst vollständig. Dass ihrer Figur nach einem solch schweren Einschnitt der Mut zum Weitermachen bleibt, ist der zarte Hoffnungsschimmer, den „vorher/nachher“ vermitteln kann.
Driving Élodie, Lars Henning, 2009
Im Film ist alles möglich, scheint uns Lars Henning mit seiner angedeuteten Romanze „Driving Elodie“ sagen zu wollen. So macht es Sinn, dass die in stimmungsvollen Bildern gefilmte Geschichte auf einem Film-Set ihren Ausgang nimmt. Der junge Set-Assistent Tim hat ein Auge auf die Hauptdarstellerin, die profilierte französische Schauspielerin Élodie Bouchez, die sich selbst spielt, geworfen. Als Tim Élodie in der Nacht zum Flughafen fährt, kommen sich die beiden unerwartet näher. Kameramann Carol von Burandt von Kameke zaubert eine Nachtatmosphäre, in der magische Momente möglich sind. Torben Bendig und Élodie Bouchez spielen überzeugend ein ungleiches Paar, das dem schicksalhaften Augenblick eine Chance gibt. Im Film ist eben alles möglich.
Terminal, Jörg Wagner, 2009
Mit seinem Festivalerfolg „Motodrom“ bewies Jörg Wagner ein hervorragendes Gespür für visuell starke Themen. Waren es dort menschliche Protagonisten, Stuntfahrer auf den Jahrmärkten, die ihre Höllenmaschinen mit Todesverachtung beherrschen, so geben in „Terminal“ die Maschinen den Ton an. Sie haben scheinbar die Herrschaft über eine künstliche, „verlorene Welt“ übernommen, der Mensch erscheint nur noch am Rande als kaum wahrnehmbarer Zwerg zwischen den Füßen der Giganten. „Terminal“ portraitiert den Containerterminal in Bremerhaven, verzichtet jedoch auf jeglichen, erklärenden Duktus. Wagner und sein Team, darunter die bewährten „Motodrom“-Kollaborateure Kamermann Peter Drittenpreis und Cutter Andrew Bird, inszenieren stattdessen ein unheimliches Ballet der Kräne, Hubwagen und Container, für das Felix Kubin einen flirrenden, elektronischen Soundtrack schrieb. „Terminal“ entwickelt über Rhythmus und ästhetische Kadrierung eine zwingende, visuelle Sogwirkung. Die lobende Erwähnung auf den Nordischen Filmtagen ist mehr als verdient.
Familie Rabel fährt in den Urlaub, Sarah Roloff, 2009
Sarah Roloffs naturalistisch inszenierte Familientramödie „Familie Rabel fährt in den Urlaub“ nach einer Kurzgeschichte des Kieler Autors Michael Hergt überzeugte auch nach wiederholter Sichtung. Roloff bewies insbesondere bei der Besetzung der Kinderrollen ein glückliches Händchen, doch das gesamte Ensemble trägt die Mischung aus genauer Beobachtung familiärer Spannung und feinsinnigem, teilweise skurilem Humor. Ungewollt liefert der Film auch einen zeitgemäßen Kommentar zur Situation allein erziehender Mütter. Ein Sieg der Phantasie auf filmischer und erzählerischer Ebene.
(dakro)