48. Nordische Filmtage Lübeck
Taxi in den Abgrund
„Frozen City“ („Valkoinen kaupunki“, Aku Louhimies, Finnland 2006)
Martin Scorseses „Taxi Driver“ (USA 1976) scheint ein Leitmotiv im Filmschaffen des finnischen Regisseurs Aku Louhimies zu sein. Schon in „Lovers & Leavers“ (Finnland 2002, NFL 2002) zitierte er die Szene, in der Travis Bickle (Robert De Niro) sein Gegenüber so supercool, aber auch unfreiwillig komisch provoziert („You’re talking to me?!“ …), denn Louhimies’ unglücklich Liebende lernen sich dadurch kennen, dass sie beide ganze Szenen aus „Taxi Driver“ nachsprechen und -spielen können. War in „Lovers & Leavers“ das Schicksal auch schon eher ein unbezwingbar eigensinniges, aber auch komisches, so treibt Louhimies seinen Taxi Driver in „Frozen City“ direkt in den unweigerlichen Abgrund.
Veli-Matti (Janne Virtanen) lenkt sein Taxi durch das ewig verschneite Helsinki und wünscht sich, dass noch mehr Schnee fiele, „all den Scheiß zuzudecken“, all das Elend, das er täglich (und nächtlich) auf seinen Fahrten durch die Großstadt vor den Kühler und auf die Rückbank bekommt. Ein Elend, von dem er nicht weit entfernt ist. Zurück von einer zweimonatigen Studienreise, auf der sie einen feschen Franzosen kennengelernt hat, beendet Veli-Mattis Frau Hanna (Susanna Anteroinen) die Ehe und drängt Veli-Matti zum Auszug. In der neuen Wohnung haust er wie ein Vagabund, seine drei Kinder kommen zu den gelegentlich erlaubten Besuchen wie in ein Campinglager. Veli-Mattis Abstieg beginnt, er fängt an zu trinken, vergrault seine Fahrgäste, was ihn schließlich den Job kostet. Als er schließlich einen ihn ständig bedrängenden Nachbarn im Streit zu Tode schlägt, kommt er ins Gefängnis, obwohl er sich unschuldig glaubt. Hanna besucht ihn dort, für kurze Zeit scheint es, als könnten sich die beiden wieder einander nähern. Doch die Hoffnung trügt. Veli-Matti versucht sich am Zellengitter zu erhängen, aber nicht mal das gelingt. Gefängnisse bleiben Gefängnisse, ob ohne oder mit Gittern.
Taxi Driver im grauen Helsinki: Janne Virtanen in „Frozen City“ (Foto: NFL)
Louhimies erzählt diese Geschichte eines Abstiegs auffallend unspektakulär. Das Schicksal ereignet sich kühl, die Tragik bleibt transzendent wie Veli-Mattis Projektionen von gehabtem oder möglichem Glück. Der Protagonist gleitet allmählich und gleichsam automatisch in die Krise, kaum lassen sich in der Filmerzählung klassische Plot- oder Turning-Points ausmachen, das Drama schleicht so sanft, wie der Schnee durch die grauen Vorstädte Helsinkis weht. Die Kamera (Rauno Ronkainen) begleitet die Figuren wie durch einen Nebel. Bezeichnend etwa die Mise en scène im Gefängnisgespräch zwischen Veli-Matti und Hanna, eine quälend lange Einstellung, in der nicht nur viel geschwiegen wird, sondern wo man Veli-Mattis Gesicht nur im Spiegel der Trennscheibe sieht – längst schon Geist seiner selbst, verschwindend. Auch auf der Tonebene greift Louhimies zuweilen zu so starken Mitteln, indem er stellenweise den Ton ganz wegnimmt, was die immer quälendere Einsamkeit, das Taubwerden am und im Leben, dem Zuschauer antastbar vermittelt.
Was der Protagonist dagegen zu setzen hat, ist nur noch Sehnsucht. Fern aller Romantik, als puren Schmerz zeigt Louhimies, wie die Sehnsucht die Würde demontiert, wenn Veli-Matti sich in der Porno-Kabine einen runter holt, wenn das schließlich als Akt der Gnade seine Frau im Gefängnis-Separée wiederholt. Ein Schein von Nähe, wenn Nähe nur eine Sache von Körpern ist, geschunden von den Verletzungen der Seele.
Ein Film, der beeindruckt, indem er die Hoffnungslosigkeit der Existenz mit nichts beschönigt, eine Parabel auf die Überlegungen des Existenzialismus, nicht selten fühlt man sich an Sartres „Ekel“ erinnert. Der Jury des Kirchlichen Filmpreises Interfilm war das eine lobende Erwähnung wert, auch wenn sie irrt, am Ende des Films „die Hoffnung auf einen Neubeginn“ ausmachen zu können. Oder doch nicht? Vielleicht ist die Hoffnung, dem Abgrund illusionslos ins Auge sehen zu können, wie es „Frozen City“ tut. (jm)
„Frozen City / Valkoinen kaupunki“, Finnland 2006, 90 Min., 35 mm, Regie: Aku Louhimies.