58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Sex, Handys und Winnipeg: Das Forum der Berlinale eröffnet mit Guy Maddin und Isabella Rossellini

Zur Eröffnung am 8. Februar 2008 im Delphi Filmpalast zeigt das 38. Forum Guy Maddins neuen Film My Winnipeg und Isabella Rossellinis Kurzfilme Green Porno als internationale Premiere. My Winnipeg ist eine verliebt-grimmige Hommage an Maddins kanadische Heimatstadt, ein autobiografisches Märchen, das Dokumentaraufnahmen gewitzt mit Re-Inszenierungen, Familienfotos und alten Filmausschnitten kombiniert.

In ihren einminütigen Green Porno-Kurzfilmen unternimmt Isabella Rossellini bunt-kostümierte Expeditionen in den Mikrokosmos. Getarnt als männliches Insekt – als Glühwürmchen, Libelle und Spinne – spürt sie der aufschlussreichen Frage nach: Wie machen es die Insekten?

Isabella Rossellini hat hier auch Regie geführt und zeichnet als Ko-Produzentin verantwortlich. Die Green Porno-Kurzfilme wurden gleichsam als “Quickies” für mobile Abspielgeräte wie Handys und Videoplayer produziert. Sie werden daher im Forum nicht nur im Vorprogramm zu My Winnipeg gezeigt, sondern auch im Rahmen von Forum expanded zu sehen sein. In einer assoziativen Installation werden die drei Kurzfilme dem mikroskopischen Blick der Insektenforschung ausgesetzt.

Das lustvolle Experiment spielt sowohl bei Green Porno als auch in My Winnipeg eine gestaltende Rolle. Zur Eröffnung im Delphi kann das Publikum Guy Maddins Spieltrieb auch live erleben: Der Kommentar von My Winnipeg wird an diesem Abend vom Regisseur als Erzähler auf der Bühne selbst eingesprochen. Für die technische Realisierung sorgt der Berlinale-Partner Dolby Laboratories Inc. durch die Bereitstellung des Dolby ScreenTalk-Systems.

Guy Maddin zählt zu den eigenwilligsten und bekanntesten Filmemachern Kanadas. Isabella Rossellini und Maddin arbeiten regelmäßig an gemeinsamen Projekten, beide sind auch dem Berlinale-Publikum als kreatives Gespann bereits vertraut. Als Berlinale Special war 2006 ihr gemeinsamer Film My Dad Is 100 Years Old zu sehen, eine Hommage an Roberto Rossellini, den Vater der Schauspielerin. Einen Festivalhöhepunkt setzten sie zuletzt im Forum der Berlinale 2007 mit der spektakulären Inszenierung von Maddins Brand Upon the Brain! in der Deutschen Oper.

Mit Filmen aus 33 Ländern und allen Kontinenten zeigt das 38. Forum der Berlinale ein breitgefächertes und weltumspannendes Programm. Auch in diesem Jahr liegt ein Schwerpunkt auf dem experimentierfreudigen, unkonventionellen und ideenreichen Schaffen junger Filmemacher; insgesamt 16 Regiedebüts stellt das Forum vor. Auffallend häufig wird in den Filmen aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen erzählt – von einer Welt, in der es vielerorts keine Kindheit mehr gibt.

Der mexikanische Film La Frontera Infinita von Juan Manuel Sepúlveda erzählt vom nicht abreißenden Migrantenstrom quer durch Mittelamerika in Richtung USA; in der irischen Produktion Seaview von Paul Rowley und Nicky Gogan haben Migranten ihr Ziel Europa erreicht und sind doch in einem Niemandsland gefangen, der ehemaligen Ferienanlage Mosney nördlich von Dublin, wo sie oft jahrelang auf ihr Asylverfahren warten. Die Kindheit aber lässt sich nicht auf die vage Zukunft verschieben, und so sind es die Bilder von Kindern, die diesen Filmen ihre dringlichsten Momente geben.

In Pakistan spielt der australische Film Son of a Lion von Benjamin Gilmour, in dessen Mittelpunkt ein Junge steht, der einer von Waffengewalt und archaischen Traditionen geprägten Welt zu entkommen sucht. Eine interessante Parallele dazu findet sich in dem deutschen Regiedebüt Nacht vor Augen von Brigitte Bertele, in dem ein vom Einsatz aus Afghanistan heimkehrender Bundeswehrsoldat mit seinen Kriegstraumata den kleinen Bruder heimsucht.

In den drei philippinischen Filmen des Hauptprogramms sind die zentralen Figuren Kinder und Jugendliche. In der eleganten Großstadtparabel Tirador von Brillante Ma. Mendoza ebenso wie in der trügerischen ländlichen Idylle von Mes De Guzmans Balikbayan Box steht das listenreiche tägliche Überleben im Vordergrund, bei dem die Jungen den Alten oft einiges voraus haben. In Jim Libirans Regiedebüt Tribu, einem mitreißenden Spielfilm über die Jugendgangs des armen Stadtteils Tondo in Manila, ist die Gangkultur ein selbst organisierter Familienersatz, faktisch autoritärer als die bröckelnden traditionellen Familienstrukturen.

Auch in dem ugandischen Hiphop-Film Divizionz des Regiekollektivs Yes! That’s Us stellen sich die Protagonisten selbst dar. In den Slums von Kampala leben sie von Deals und glücklichen Zufällen, von Gefälligkeiten und Erpressungen. Selbst der scheinbar unschuldige Traum vom Erfolg als Musiker ist längst durch die harten Bedingungen des Überlebenskampfes korrumpiert.

Das französische Regiedebüt Regarde-moi von Audrey Estrougo zeigt, wie die jugendliche Subkultur in den Pariser Vorstädten selbst in Konventionen gefangen ist. Gleich zwei Mal hintereinander erzählt der Film von 24 Stunden in einer Cité, zuerst aus männlicher, dann aus weiblicher Perspektive, und evoziert dabei eine soziale Enge, die dem Individuum keinen Raum lässt. In die nordwestfranzösische Provinz folgt der französische Autorenfilmer Jacques Doillon in Le premier venu seiner jungen Protagonistin. In der Liebesbeziehung zum Erstbesten, dem sie begegnet, sucht sie nach der Intensität, die ihr das bourgeoise Elternhaus vorenthalten hat.

Stark vertreten ist im diesjährigen Programm auch das Filmland Japan. Ein Regiedebüt ist Asyl – Park and Love Hotel von Kumasaka Izuru, der auf dem Dach eines Tokioter Stundenhotels eine eigenartige Oase in der Großstadt entdeckt. Einander kreativ eng verbunden sind die Regisseure Hirosue Hiromasa und Takahashi Izumi, die sich in Higurashi respektive Musunde-hiraite auf ebenso sensible wie subtile Weise dysfunktionalen Liebes- und Familienbeziehungen widmen.

Dem Altmeister Wakamatsu Koji ist anlässlich der internationalen Premiere seines eindrucksvollen dreistündigen Spielfilms über die japanische Terrorgruppe United Red Army ein Tribut von drei historischen „Pinku eiga“ gewidmet. Neben Secrets Behind the Wall, mit dem der Regisseur 1965 im Wettbewerb der Berlinale für Aufsehen sorgte, zeigt das Forum die Klassiker Go, Go Second Time Virgin (1969) und Ecstasy of the Angels (1972).

In seinem Hauptprogramm zeigt das 38. Forum der Berlinale 36 Filme. Hinzu kommt das drei Titel umfassende „Tribute to Wakamatsu Koji“. Darüber hinaus präsentiert die Sektion mehrere Special Screenings, die demnächst vorgestellt werden.

Die Filme im Hauptprogramm des Forums 2008

  • Asyl – Park and Love Hotel (Asyl) von Kumasaka Izuru, Japan
  • Balikbayan Box von Mes De Guzman, Philippinen/Niederlande/Schweiz (IP)
  • Be Like Others von Tanaz Eshaghian, USA/Kanada/Iran (IP)
  • El Camino (The Path) von Ishtar Yasin Gutiérrez, Costa Rica/Frankreich (WP)
  • Corridor #8 von Boris Despodov, Bulgarien (WP)
  • Corroboree von Ben Hackworth, Australien
  • Diorthosi (Correction) von Thanos Anastopoulos, Griechenland (IP)
  • Divizionz von Yes! That’s Us, Uganda/Südafrika
  • Flipping out von Yoav Shamir, Israel/Kanada (IP)
  • La frontera infinita (The Infinite Border) von Juan Manuel Sepúlveda, Mexiko (IP)
  • God Man Dog von Singing Chen, Taiwan
  • Grandmother’s Flower von Mun Jeong-hyun, Republik Korea (IP)
  • Green Porno von Isabella Rossellini, Jody Shapiro, USA (IP)
  • Higurashi von Hirosue Hiromasa, Japan
  • Invisible City von Tan Pin Pin, Singapur
  • Leo von Josef Fares, Schweden (IP)
  • Loos ornamental von Heinz Emigholz, Österreich/Deutschland (WP)
  • Mafrouza/Coeur (Mafrouza/Heart) von Emmanuelle Demoris, Frankreich/ Ägypten (IP)
  • Musunde-hiraite (What the Heart Craves) von Takahashi Izumi, Japan (IP)
  • My Winnipeg von Guy Maddin, Kanada (IP)
  • Nacht vor Augen von Brigitte Bertele, Deutschland (WP)
  • Nirvana von Igor Voloshin, Russische Föderation (WP)
  • Paruthiveeran von Ameer Sulthan, Indien (IP)
  • Le premier venu (Just Anybody) von Jacques Doillon, Frankreich/Belgien (WP)
  • Regarde-moi (Ain’t Scared) von Audrey Estrougo, Frankreich (IP)
  • Seaview von Paul Rowley, Nicky Gogan, Irland (IP)
  • Shahida – Brides of Allah (Brides of Allah) von Natalie Assouline, Israel (WP)
  • Son of a Lion von Benjamin Gilmour, Australien/Pakistan
  • South Main von Kelly Parker, USA (WP)
  • Sweet Food City von Gao Wendong, Volksrepublik China (WP)
  • Tatil Kitabi (Summer Book) von Seyfi Teoman, Türkei (WP)
  • La terramadre (Motherland) von Nello La Marca, Italien (WP)
  • Tirador (Slingshot) von Brillante Ma. Mendoza, Philippinen
  • Tribu von Jim Libiran, Philippinen
  • United Red Army von Wakamatsu Koji, Japan (IP)
  • Victoire Terminus, Kinshasa von Florent de la Tullaye, Renaud Barret, Frankreich/Demokratische Republik Kongo (WP)
  • Yasukuni von Li Ying, Japan/Volksrepublik China

Tribute to Wakamatsu Koji:

  • Ecstasy of the Angels, Japan 1972
  • Go, Go Second Time Virgin, Japan 1969
  • Secrets Behind the Wall, Japan 1965

(nach Pressemitteilungen der Berlinale)

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