57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Menschen im Hotel
„Ich habe den englischen König bedient“ (Jirí Menzel, Tschechische Republik / Slowakische Republik 2006)
Der Regisseur Jirí Menzel, geboren 1938, ist ein alter Hase im Filmgeschäft und ein mehrfach preisgekrönter dazu: Den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film hat er ebenso erhalten (1968 für „Liebe ohne Fahrplan“) wie den Goldenen Bären (1990 für „Lerchen am Faden“). Doch auch so einem Filmschaffenden wird nichts geschenkt: Um die Filmrechte zu Bohumil Hrabals Roman „Ich habe den englischen König bedient“ hat Menzel Jahre lang kämpfen müssen. Und das hat sich gelohnt: Menzels Werk ist inzwischen von der Tschechischen Film- und Fernsehakademie (CFTA) als bester Film des Jahres 2006 ausgezeichnet worden; den „Böhmischen Löwen“ erhielten außerdem die Regie, die beste männliche Nebenrolle (Martin Huba) und die Kamera. In Tschechien strömen die Zuschauer nur so in den Film, mit seinen Besucherzahlen überflügelte er sogar den neuesten James-Bond-Streifen „Casino Royale“. Gut so, denn die tschechisch-slowakische Co-Produktion hat mit umgerechnet ca. 3 Mio. Euro ein Rekordbudget verschlungen. Und dies auch visuell wirksam eingesetzt: Der Film ist ein wahrer Augenschmaus.
Jan Díte (der Nachname bedeutet sinnigerweise „Kind“) ist die Hauptfigur der Geschichte, ein Mann, klein an Wuchs, aber mit einem großen Ziel: Millionär zu werden. Denn er weiß, was er an allen Menschen, reichen und armen, schon lange erkannt hat: Geld bewegt die Welt. Als Würstchenverkäufer fängt Díte an und arbeitet sich hernach von den untersten Stufen der Kellner-Hierarchie unbeirrbar nach oben – zuerst im Hotel Tichota, dann im Hotel Goldenes Prag, wo der Zuschauer sich an Art Déco-Interieurs schier nicht satt sehen kann. Als Hotelbediensteter darf man allerdings nichts sehen und nichts hören – und muss doch alles sehen und alles hören, das lernt Jan Díte schnell und versteht es gut für sich zu nutzen. Die Frauen lieben ihn, denn Díte versteht sich auf ihre Sehnsüchte und inszeniert so manches bildgewaltige Liebesspiel. Doch dann kommt die große Politik ins Lebensspiel des kleinen Mannes: die Einverleibung der Tschechoslowakei ins Hitler-Reich. Die letzte Hotel-Station von Dítes Karriere ist schließlich wieder das Tichota, das inzwischen als nationalsozialistisches Zuchtheim à la „Lebensborn“ fungiert. Und Díte wird tatsächlich Millionär – aber damit ist die Geschichte, weder seine persönliche noch die Weltgeschichte, lange nicht zu Ende …
Lange soll Regisseur Menzel nach seinem Hauptdarsteller gesucht haben, die Rolle des jungen Jan Díte verkörpert der Bulgare Ivan Barnev. Ansonsten wartet „Ich habe den englischen König bedient“ mit einer Garde höchst prominenter tschechischer und slowakischer Stars auf: Oldrich Kaiser in der Rolle des älteren Díte, Martin Huba in der Rolle des Oberkellners Skrivanek sowie die schöne Zuzana Fialová. In Tschechien bis dato wenig bekannt war Julia Jentsch, hier in der Rolle der sudetendeutschen Turnlehrerin Lisa, die schließlich Dítes Ehefrau wird, denn trotz seiner amourösen Erfolge verliebt er sich in die Deutsche, da sie genauso klein ist wie er. Jentsch, die vor zwei Jahren noch in Marc Rothemunds „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ die Titelrolle so beeindruckend verkörperte und hierfür den Silbernen Bären als beste Schauspielerin gewann, begegnet dem Zuschauer hier genauso überzeugend als unerbittlich Führer-treues Kraftweib. Julia Jentsch hat seit dem Berlinale-Erfolg als Sophie Scholl viel Theater gespielt und ist durch die Reisen im Dienste des vielfach preisgekrönten Sophie-Scholl-Films weit herum gekommen. Jirí Menzels genaue Vorstellung von filmischen Bildern habe sie „besonders beeindruckt“, so Jentsch. Dies wird bis zum Äußersten ausgereizt: Menzel inszeniert mit Jentsch und Barnev mit Hilfe einer Tricksequenz einen unübertrefflich satirisch-makabren Beischlaf.
Art Déco-gekrönter Augenschmaus: Ivan Barnev und Julia Jentsch (Foto: Berlinale)
Schelmengeschichten haben in Tschechien, dem Land des „braven Soldaten Schwejk“ Tradition. Dem Film „Ich habe den englischen König bedient“ liegt der gleichnamige Roman Bohumil Hrabals (1914-1997) aus den 70er Jahren zugrunde, der zunächst 1980 in Köln erschien und erst 1989, nach den politischen Umbrüchen in Europa, in Tschechien unzensiert publiziert werden konnte. Menzel, der auch seinen Oscar für die Verfilmung eines Hrabal-Romans bekommen hatte, merkt man die lustvolle Freude an der Umsetzung des Werkes seines Lieblingsautors an. Ein Autor, der, wie Menzel betont, eine heute seltene, weil liebevolle Perspektive auf die Menschen und all ihre Verfehlungen und Lächerlichkeiten einnahm. Mit dieser famos umgesetzten Grundstimmung wurde es Menzel offenbar auch möglich, ein Berlinale-Exempel zu statuieren: 2007 den ersten tschechischen Film seit 1990, als Menzel selbst den Goldenen Bären gewonnen hatte, im Wettbewerb der Berlinale zu platzieren. Willkommen auch in den deutschen Kinos! (gls)
Ich habe den englischen König bedient / Obsluhoval jsem anglického krále, Tschechische Republik / Slowakische Republik 2006, 118 Min., 35 mm. Regie: Jirí Menzel, Buch: Jirí Menzel (nach dem Roman von Bohumil Hrabal), Kamera: Jaromir Sofr, Schnitt: Jirí Brozek