57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Liliput Preis 2007
Den Liliput Preis für die besten Bearbeitungen ausländischer Filme vergab der Bundesverband Kommunale Filmarbeit zusammen mit dem Verband der deutschen Filmkritik anlässlich der Berlinale am 15. Februar 2007 an die Filme „The New World“ und „The Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“.
Der dieses Jahr zum elften Mal verliehene Liliput-Preis versteht sich als Beitrag zur Qualitätsverbesserung der in deutschen Kinos gezeigten Synchronfassungen sowie als Impulsgeber für die Zunahme untertitelter Originalversionen.
Grußwort von Christian Brückner
Der bekannte Synchronschauspieler Christian Brückner, die deutsche Stimme von Robert de Niro, Robert Redford, Marlon Brando und weiteren Stars des Weltkinos, hat die Schirmherrschaft über den Liliput Preis übernommen. Im folgenden veröffentlichen wir sein Grußwort:
„Stütze, Herr Brückner, Stütze!“, rief mir der unvergessene Curt Ackermann vor etwa vier Jahrzehnten aus der Regiekabine zu.
Auch er „rief“, wie ich „rufen“ sollte, um einen großen Theaterraum zu füllen oder die Weiten der Prärie, denn im Kino gab es damals noch das Genre „Western“. Und Ackermanns Regie- und Tonaufnahme-Raum sah auch eher aus wie der Führerstand einer alten Straßenbahn, denn natürlich waren auch die technischen Bedingungen mit stilbildend für die Kunst der Synchronisation.
„Innen“-Akustik: Die reflektierenden Wände des Studios; „Außen“ – das schallschluckende Filzzelt, das die Unendlichkeit großer Räume (Prärie!) simulieren musste: Das alles kann man heute noch hören als reinen Soundtrack des theatralischen Synchronstils der 50er und frühen 60er Jahre.
Synchronisationen haben einige Metamorphosen mitgemacht seitdem, sind vor allem differenzierter geworden. Und werden als eigenständige Arbeit genauer wahrgenommen von der sehenden und hörenden Öffentlichkeit, zum Glück – und endlich!
Gleich geblieben ist, dass viele von ihnen schlecht sind und einige gut. Die Gleichbehandlung von Kinofilmen und dem Meer von Fernsehproduktionen aller vorstellbaren Arten ist der Kunst des Synchron schlecht bekommen.
Dass sich das – auch mit Hilfe des Liliput Preises – mehr und mehr ändert, ist unsere Aufgabe und Hoffnung! Alle, die in dieser Branche arbeiten, müssen dazu beitragen; nicht zuletzt die Produzenten sollten ihre Verantwortung sehen, bei der „Ware“ Synchronisation die „Kunst“ Synchronisation nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern zu provozieren, d.h. zu verlangen und zu pflegen.
Ich freue mich, dass mit dem Liliput Preis Qualität auf unserem Feld bewertet und öffentlich gemacht wird, und dass sie vor allem den Namen bekommt, der ihr lange nur zögernd zugestanden wurde.
Der Jury Dank für ihre unschätzbare Arbeit und dem Liliput Preis, der mit seinen 11 Jahren langsam den Kinderschuhen entwächst, eine weiterhin gute Entwicklung und zunehmende Anerkennung!“
Begründung der Jury
Es ist eine begrüßenswerte Entwicklung, dass mittlerweile bei der Bearbeitung ausländischer Filme häufig auf die Kombination von Untertitelung und Synchronisation zurückgegriffen wird – vor allem bei Filmen, in denen die Problematik mehrsprachiger Kommunikation eine große Rolle spielt. Der Liliput Preis 2007 für die besten Bearbeitungen ausländischer Filme geht an „The Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“ von Michel Gondry und an die deutsche Fassung von Terrence Malicks Meisterwerk „The New World“, die ebenso poetisch und vielseitig ist wie das Original. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang findet die Jury auch den Film „Babel“ von Alejandro González Iñárritu.
Liliput Preis für „The New World” (Terrence Malick, USA 2005), Verleih: Warner, Bearbeitung: Interopa, Berlin, Regie: Sven Hasper
„The New World“ war außer Konkurrenz im Wettbewerb der Berlinale 2006 gelaufen und hatte starke Anteilnahme hervorgerufen. Insofern wurde der Kinostart der deutschen Fassung zum mit Spannung erwarteten Ereignis.
Während in einer atemberaubenden Precredit-Sequenz die damals erst 14jährige Hauptdarstellerin Q’orianka Kilcher (übrigens eine direkte Inka-Nachfahrin) die Arme der Sonne entgegenstreckt, hört der Zuschauer aus dem Off ihre Stimme, die ihre Gedanken wie im stillen Gebet offenbart: „Komm, Geist! Hilf uns die Geschichte unseres Landes zu singen. Du bist unsere Mutter. Wir sind dein Maisfeld. Aus deiner Seele steigen wir empor.“ „The New World“ ist eine monumentale Meditation über kulturelle Kontraste und die Überwindung von Rassenschranken, ein Lobgesang auf die Natur und die Urvölker des amerikanischen Kontinents, die von Herrschaftsansprüchen fremder Zivilisationen – hier dem englischen Empire – bedroht werden. Und der Film ist eine auf wahren Begebenheiten basierende romantische Liebesgeschichte, von philosophischen Dimensionen. Die im heutigen Virginia beheimatete Powhatan Prinzessin Pocahontas rettet im 17. Jahrhundert durch ihre Güte den in indianische Gefangenschaft geratenen Eroberer John Smith (Colin Farrell) vor dem Martertod.
Die englischen Dialoge bzw. Gedankensplitter, die das Aufeinanderprallen fremder Völker und die daraus entstehende Liebe zwischen der in jeder Hinsicht unschuldigen Kindfrau und dem erfahrenen, aber melancholischen Seefahrer veranschaulichen, wurden sorgfältig ins Deutsche übertragen und von den Synchronsprechern einfühlsam interpretiert. Dabei sind die Versuche, sich die Sprache des jeweils anderen beizubringen, absichtlich etwas holprig geraten, was ihnen aber erst recht einen rührenden Charme verleiht. Lyrische Qualität haben hingegen die Off-Texte, die die Gefühlswelt der so unterschiedlichen Protagonisten zum Ausdruck bringen: „Alle Kinder des Königs waren bildschön, doch sie, die jüngste, war es in einem solchen Maße, dass sogar die Sonne staunte, wenn sie ihrer ansichtig wurde. Sie übertraf den Rest nicht nur an Schönheit und Gestalt, sondern auch an Scharfsinn und Geist“, bekundet Smith seine Bewunderung für Pocahontas.
Und über die Ursprünglichkeit der Indianer sinniert er: „Sie sind sanft, liebevoll, treu. Es fehlt ihnen jegliche Verschlagenheit. Hier ist Wirklichkeit, was ich stets für einen Traum hielt.“ Während er seine Leidenschaft nur noch rhetorisch hinterfragt („Liebe, sollen wir sie leugnen, wenn wir ihr begegnen?“), bringt sie die Hingabe zum ersten Mann in ihrem Leben mit der Hinwendung zum Göttlichen in Einklang: „Mutter, wo lebst du, im Himmel, in den Wolken, im Meer? Zeig mir dein Gesicht! Gib mir ein Zeichen. Wir steigen empor, wir steigen empor. Ich habe Angst vor mir selbst. Wie ein Gott kommt er mir vor. Was sonst ist das Leben, außer dir nahe zu sein? (…) Alles, um dir geschenkt zu werden. Und du mir. Ich werde dir treu sein, wahrhaftig. Zwei nicht mehr. Eins. Eins. Ich bin. Ich bin.“
Und doch wird sie die wahre Liebe später erst bei einem anderen weißen Mann finden (angenehm zurückhaltend gespielt von Christian Bale), der ihr alle Freiheiten lässt, sich zu entwickeln und zu entfalten. Er wird am Ende mit ihrem gemeinsamen Kind zurückbleiben, da Pocahontas bei ihrer Reise zum englischen Königshof eine tödliche Krankheit erleidet und bereits als junge Frau verstirbt. Der Film endet, wie er begonnen hat: Mit einem Gebet an die Sonne, das – begleitet von den rhapsodischen Klängen Richard Wagners – aus dem Off ertönt.
Auch bei den Nebenrollen wird in der Synchronfassung größtmögliche Authentizität gewahrt. So belässt man die Indianersprache weitgehend wie in der amerikanischen Version im Original, wenn die Ureinwohner miteinander reden, und untertitelt sie in deutsch nur in wirklich zwingenden Fällen. So kann man sich nahezu vollkommen ungestört auf diesen einzigartigen Reigen aus Bildern, Sprache, Musik und Gefühlen des Ausnahmeregisseurs Terrence Malick einlassen. (Marc Hairapetian)
Liliput-Preis für „The Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“ (Michel Gondry, F/I 2006), Verleih: Prokino, Untertitelung: Film & Fernseh-Synchron, München, Regie: Matthias von Stegmann
In „The Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“ erzählt Gondry eine einfache Geschichte. Der introvertierte Illustrator und Erfinder Stéphane kommt aus Mexiko nach Paris, um dort zu arbeiten. Sein Job langweilt ihn schnell, er verliebt sich in seine Nachbarin Stéphanie. Beides verarbeitet er in einer faszinierenden Traumwelt. Beide Welten durchdringen sich und kollidieren. Im Tagtraum ist er der gewandte Showmaster seiner eigenen TV-Show, im wahren Leben sind ihm die einfachsten Dinge zu kompliziert. Mit kindlichem Eifer denkt er sich die tollsten Sachen aus, um Stéphanie näherzukommen. Seine Fantasiewelt steht ihm dabei mehr und mehr im Weg.
Die Detailverliebtheit der Animationen ist beeindruckend. Großstädte und Weltmeere entstehen aus Pappkarton und Frischhaltefolie. Riesenspinnen tippen auf Schreibmaschinen, Papierschnipsel werden zu reißenden Flüssen, Skigebiete entstehen aus Wattebällchen. Am Ende des Films reiten Stéphanie und Stéphane auf einem Plüschpferd in den Sonnenuntergang. Der Film und sein Hauptcharakter leben von einer scheinbar unerschöpflichen naiven Kreativität.
Nichtverstehen und Aneinandervorbeireden machen die Beziehung der beiden Hauptcharaktere Stéphane und Stéphanie aus. Er spricht kaum Französisch, sie kann kein Spanisch. Also unterhalten sie sich auf Englisch. Die Verwirrungen auf der visuellen Ebene finden in den sprachlichen Verwirrungen der Originalversion ihre Entsprechung. Synchronisiert wurden nur die englischen Passagen, die französischen und spanischen sind untertitelt. Das macht großen Sinn, weil dieses Verfahren beiden ihre eigene Sprache lässt und die Vielschichtigkeit erhält, die filmisch so schön angelegt ist. Stéphane und Stéphanie reden nicht nur aneinander vorbei, sie haben auch ihre jeweils eigene Welt mit einer eigenen Sprache. Unübersetzbare Wortspiele und Missverständnisse enden so nicht in Albernheit, die Charaktere bleiben lebendig, mit all ihren Eigenheiten. (Jan Kühnemund)
Die Jury
- Jan Kühnemund (Gegenlicht, Oldenburg)
- Elfriede Schmitt (Kölner Stadtanzeiger, film-dienst, Funkkorrespondenz, WDR-Hörfunk)
- Marc Hairapetian (Spirit – Ein Lächeln im Sturm – www.spirit-fanzine.de, Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau, film-dienst, Ray)
(nach einer Pressemitteilung des Bundesverbands Kommunale Filmarbeit e.V.)