48. Nordische Filmtage Lübeck

Kafkaesker Showdown einer Ehe

„Prag“ (Ole Christian Madsen, Dänemark 2006)

Als Ehepaar, das potenziell in einer Krise steckt, sollte man nicht nach Prag reisen, in die Stadt Kafkas, in die des Golems. Schon gar nicht, wenn es um Tod geht, das quälend langsame Sterben einer Beziehung. Christoffer Hojholt (Mads Mikkelsen) muss dennoch hin, denn in der Stadt romantisch-surrealer Verdüsterungen ist sein Vater gestorben, der sich schon mal davonmachte, als Christoffer noch ein Kind war. Und wie das so ist, wenn man Fremden begegnet, begegnet man leider auch immer sich selbst. Und weiß plötzlich um diesen Fremden, der sich „Ich“, in Ehen auch „Wir“ nennt.

Ole Christian Madsen („Kira“, „Nordkraft“) inszeniert die durch den Tod des fremden Erzeugers aufbrechende Ehekrise zwischen Christoffer und Maja (Stine Stengade) als surreale Tragikomödie, als ein schwarz-romantisches Märchen vom Nicht-Verstehen. Das fängt schon damit an, dass die tschechischen Steckdosen nicht zu den Steckern westeuropäischer Laptops passen, dass Leichenhallen in Prag wie futuristische Fabriken ohne alle Menschen wirken, in denen Roboter die Särge hin und her fahren. – Kafka lässt grüßen, selbst noch im Plattenbau-Vorort, wo sich der Showdown des Ehepaars Hojholt fast schon als Persiflage solcher Szenen einer Ehe zuspitzt.

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Verzweifelte Szenen einer ehedem Ehe (Foto: NFL)

Man/frau versteht einander nicht, weil man sich selbst nicht versteht, welches alte Thema Madsen zuweilen komödiantisch auf die Spitze treibt. Ein Drama, das nicht der noch weiteren Rede wert wäre – man/frau kennt derlei -, verliehen ihnen Mikkelsen und Stengade wie auch Borivoj Navrátil als mephistophelischer Anwalt und, wie sich herausstellt, homosexueller Liebhaber des verstorbenen Vaters, nicht diese ungemeine schauspielerische Kraft des Sagens im Nicht-Sagen, im aneinander vorbei Reden, das doch das Ungesagte auf den Punkt bringt. Ein Film also, der weniger von seiner verworrenen (wie könnte es im alten, mystischen Prag anders sein?) Geschichte lebt, als von seinen Figuren, die ihm den lebendigsten Todeshauch einflößen, in einem bis auf die Spitze der Dichte getriebenen Kammerspiel.

Das Missverständnis wird zum Thema, wenn Madsen die Figur Christoffer auch noch auf Alena (wunderbar mädchenhaft zart: Jana Plodková) treffen lässt. Sie ist Tschechin, die Christoffers Vater den Haushalt führte und die Fassade des gutbürgerlichen Lebens lieh. Sie kann kein Englisch, Christoffer kein Tschechisch, die Kommunikation „Bett“ funktioniert dennoch für eine Nacht in Prag. Aber nicht für ein neues Leben nach dem Tod einer Ehe und des Vaters, dessen Schatten sich als allmächtig erweist. Was bleibt, sind Trümmer und die Erkenntnis, dass man aus jeder vermeintlich neu gewonnenen Heimat wieder weg muss, wie Christoffer aus dem Haus des Vaters. Wohin? Nach Prag, in die Gassen des Kafkaesken, das man gelegentlich auch als „das Leben“ bezeichnet (gls)

„Prag“, Dänemark 2006, 92 Min., 35 mm, Regie: Ole Christian Madsen.

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